Raumplaner: "Der Wiener Stadtplanung fehlen Konzepte"

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Raumplaner Reinhard Seiß attackiert im "Presse"-Interview die Wiener Stadtplanung: Es fehlten übergeordnete Konzepte, viele Projekte seien urbanistisch absurd und dienten nur den Interessen der Investoren.

Die Presse: In der Neuauflage Ihres Buches „Wer baut Wien?“ gibt es eine Bilanz der letzten Jahre. Was hat sich geändert? Merkt man eine grüne Handschrift in der Stadtplanung?

Reinhard Seiß: Eher in der Verkehrspolitik, bei der Parkraumbewirtschaftung oder den Tarifen im öffentlichen Verkehr. Planungspolitik hingegen ist eine langfristige Materie. Da sieht man die zwei Jahre, die Grün in Wien mitregiert, noch nicht immer. Viele Projekte, die jetzt gebaut werden, sind lange vorher beschlossen worden.

Aber Sie erwarten Unterschiede zu der Zeit, als die SP in Wien allein regierte?

Man wird die grüne Regierungsbeteiligung vielleicht eher an dem erkennen, was nicht gebaut wird. Vermutlich würde es Projekte wie auf den Komet-Gründen jetzt nicht mehr geben: ein Bauvorhaben, das keine wirtschaftliche Entsprechung hat und reine Spekulation ist, getragen von der Hoffnung, irgendwann einen Fonds zu finden, der es kauft. Man kann hoffen, dass Planungen, bei denen es derart massive Bedenken der Anrainer gibt, nun abnehmen.

Sie haben oft kritisiert, dass in Stadtplanung und Bauwesen viel „Unsauberes“ passiert sei. Könnte sich in Sachen Korruption in Wien nun etwas ändern?

Es gibt jetzt in der Stadtregierung durch den Koalitionspartner ein Regulativ, das umso wichtiger ist, je länger eine Fraktion zuvor allein an der Macht gewesen ist. Denn über die Jahre verkrusten die Selbstreinigungsmechanismen einer jeden Partei. Ich gehe davon aus, dass es deutlich weniger Widmungs- und Bauanträge gibt, die einfach durchgewinkt werden.

In der Stadtplanung haben auch mächtige Beamte viel zu sagen. Welche Rolle spielen die?

Ich denke, viele Beamte haben aufgeatmet, als Maria Vassilakou das Ressort übernommen hat. Unter dem früheren Stadtrat Rudolf Schicker dürfte nicht gerade ein offenes, pluralistisches Klima geherrscht haben. Mitarbeiter mit konträren Ansichten hatten keinen guten Stand. Das dürfte besser geworden sein. Natürlich entwickelt eine Beamtenschaft ein Eigenleben. Aber da sind zuletzt auch personelle Wechsel vollzogen worden.

Schickers Planungspolitik kommt in Ihrem Buch nicht gerade gut weg.

Das ist nicht nur mein Urteil, und es geht nicht um Schicker allein. Wiens Städtebau der letzten 20Jahre steht für eine planungspolitische Gesinnung, die die Interessen von Grundeigentümern und Investoren über das Wohl der Stadt stellte. Deutsche Kollegen kennen auch aus ihrem Umfeld miserablen Städtebau mit dunklen Hintergründen. Aber wenn die die Wienerberg City besuchen, bleibt ihnen die Spucke weg. Schicker hat einige problematische Flächenwidmungen geerbt. Aber in seiner Zeit wurden auch absurde Projekte wie Town Town, Monte Laa oder Wien Mitte, um nur einige zu nennen, durchgeboxt.

Aber es gibt Stadtentwicklungspläne, in denen die Stadt guten Willen zeigt.

Dort sind zwar hehre Grundprinzipien enthalten, etwa: Wir wollen eine durchmischte Stadt, wir wollen weniger Autoverkehr, wir wollen qualitätvolle öffentliche Räume. In der Praxis sah dies aber meist anders aus. Am Monte Laa wurde etwa ein urbaner Stadtteil versprochen, realisiert wurde ein Wohnquartier ohne nennenswerten öffentlichen Verkehr. In Town Town entstand ein reines Büroviertel, das zu allem Überfluss vom Markt gar nicht nachgefragt und erst durch Magistratsabteilungen gefüllt wurde. Das ist ein Verstoß nicht nur gegen planerische, sondern auch gegen ökonomische Prinzipien. Die Politik rettet so die Immobilienbranche vor Spekulationsverlusten auf Kosten der Steuerzahler.

Also gibt es bei Büroimmobilien viele Fehlplanungen und -investitionen?

Wien hat seit Jahren einen beträchtlichen Leerstand an Büroflächen, dennoch werden immer neue errichtet. Etwa der Perrault-Turm in der Donau City. Dort entstehen neben einem Hotel vor allem Büros, die wohl noch länger leer stehen und irgendwann mit Mietern, die zum Teil von anderswo abgeworben werden, gefüllt werden. Wenige Meter daneben stehen im Saturn Tower seit Jahren Büroetagen leer. Das ist ein hoch spekulatives Business, das meiner Meinung nach der Steuerung seitens der Planungspolitik bedürfte. Dasselbe gilt auch für den großflächigen Einzelhandel. Der Wiener Stadtplanung fehlen für all das aber Konzepte. Generell gibt es keine wirksamen Instrumente für eine übergeordnete Stadtplanung.

Es gibt den Stadtentwicklungsplan...

Der Step gibt ja nur die grundsätzliche Stoßrichtung der Stadtentwicklung vor. Darunter gibt es keine Planungsebene mehr bis hin zum Flächenwidmungs- und Bebauungsplan. Der ist aber so detailliert, dass er nicht dazu angetan ist, über den Tellerrand eines einzelnen Projekts hinauszuschauen. Dazwischen fehlt etwas. So entstehen eben sechs-, acht- oder zehngeschoßige Großbauten neben kleinen Einfamilienhäusern. Der Aufschrei der Anrainer ist logisch, wenn dies übergangslos, ansatzlos und mangels übergeordneter Pläne scheinbar willkürlich geschieht.

Zur Person

Reinhard Seiß studierte Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien, er arbeitet als freier Fachpublizist und Autor zum Thema Raumplanung. Das Mitglied des Beirats für Baukultur im Bundeskanzleramt gilt als heftiger Kritiker der Wiener Stadtplanung. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2013)

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