Zeugenschutz: Vorwürfe gegen die Republik

(Clemens Fabry)
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Für Drogenfahnder verriet S. Heroindealer und korrupte Polizisten. Dann fiel er aus dem Zeugenschutz. Protokoll einer Geschichte über Mafia und das schwierige Geschäft mit Informationen.

Wien. Immer wieder dreht sich S. um und schaut zur Eingangstür des schäbigen Cafeś in Wien Hütteldorf. „Seit über zehn Jahren bin ich auf der Flucht“, sagt er. Nun ging der Mann, der einst am Zeugenschutzprogramm des Innenministeriums teilnahm, zum Gegenangriff über. Einst verriet er Heroindealer und korrupte Polizisten an die Drogenfahndung, arbeitete als Informant für den Verfassungsschutz und ausländische Dienste. Vergangenen Donnerstag klagte er die Republik. Die, behauptet zumindest S., habe ihn an seine ehemalige Organisation verraten. Der Prozess fand wegen Geheimhaltungsinteressen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Urteil gab es noch keines. Weil eine Reihe von Zeugen nicht erschien, wurde die Verhandlung vertagt.

Die Geschichte ist für die Behörden eine Premiere. Noch nie zuvor hat sich eine Person, die in einem Zeugenschutzprogramm gewesen ist, über die Qualität dieser seit 1998 angebotenen „Dienstleistung“ beschwert. S.'s Vorwurf wiegt schwer: Beamte aus dem Polizeiapparat hätten seine Identität aus Rache weitergegeben, ihn sehenden Auges sprichwörtlich zum Abschuss freigegeben.

Ob es wirklich so gewesen ist, wissen wohl nicht einmal alle Beteiligten selbst ganz genau. Das Spiel des Gebens und Nehmens für Informationen aus der Halbwelt ist ein gefährliches. Für beide Seiten. Das Führen von Doppelleben, gegenseitige Manipulationsversuche, der psychische Druck und die Angst vor dem Auffliegen lassen die Grenzen zwischen Realität und Legende manchmal verschwimmen. Aber von Anfang an.

Zeugen- statt Personenschutz

Zu Beginn der 1990er-Jahre reiste S., ein Kurde, illegal von Griechenland aus per Lkw in Österreich ein. In seiner Heimat, der Türkei, war er politisch für die kurdische Unabhängigkeitsbewegung tätig. Auch hierzulande nahm er rasch zur Kurdenszene Kontakt auf. Dort nannte man ihm – er konnte in seiner Lage keiner legalen Arbeit nachgehen – einen möglichen „Job“. Das Angebot: Mitarbeit beim Vertrieb von Heroin aus der Türkei. Der Zweck: Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts und Unterstützung der politischen Aktivitäten in der Heimat.

Man war sich schnell einig. Als S. jedoch begann, sich für Details in der Organisation zu interessieren, bemerkte er ziemlich schnell, dass das die Bosse nicht unbedingt guthießen. Damals, 1994, wandte er sich wegen des kurdischen Umfelds an die Staatspolizei, das heutige Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, bat um Personenschutz, und bekam das Angebot, als Informant der Drogenfahndung und der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Edok) in der Drogenbande zu bleiben. Gegen Bezahlung. Im Auftrag der Republik.

S. entpuppte sich als gute Quelle. Im Rahmen der Operation Kassandra gerieten jedoch nicht nur Drogenbarone, sondern auch korrupte Polizisten ins Visier der Ermittler. Die Situation für S., der als sogenannte Vertrauensperson (VP) für die Behörden tätig war, wurde immer gefährlicher. Schließlich schlug man ihm folgendes Prozedere vor: Wenn er beim Büro für Interne Angelegenheiten (BIA, heute BAK) und vor Gericht aussagt, kommt er in das Zeugenschutzprogramm (siehe nebenstehenden Artikel). S. willigte ein. Das war 1999.

Nach der Verurteilung von Drogenboss Adnan C. und eines Polizisten, der ihn für wertvolle Geschenke deckte (C. nannte den Fahnder laut Ermittlungsakten „den Wolfgang mit den langen Haaren“), wurde S. buchstäblich ein neuer Mensch. Name, Lebensgeschichte, Umfeld: Die Experten des Bundeskriminalamts schufen ihm eine Identität mit einem sicheren Wohnort nahe Amsterdam. Bis 2002 ein Fax aus Wien kam. Die Republik kündigte ihm die Teilnahme am Zeugenschutzprogramm. Später, sagt S., will er noch herausgefunden haben, dass Kollegen des entlassenen Beamten seine Identität an die Drogenmafia weitergegeben haben. Aus Rache. Als Entschädigung dafür verlangt er heute die Verurteilung der Republik und 35.000 Euro Schadenersatz im Zuge einer Amtshaftungsklage.

„Zund“ für Polizei und Dienste

Das Innenressort will die Vorwürfe unter dem Hinweis auf das laufende Verfahren inhaltlich nicht kommentieren. Ein Sprecher des Hauses betonte jedoch, dass man vor Gericht eine „konträre Sichtweise“ vertrete.

Weitere Recherchen legen den Verdacht nahe, dass der Ärger des Hauses über seinen ehemaligen Informanten mit dessen Aktivitäten nach seiner Aussage zu tun hat. Gerade mithilfe des Zeugenschutzes von der Bildfläche verschwunden, diente sich S. mit seiner neuen Identität nämlich umgehend anderen Sicherheitsbehörden an. Darunter, so steht es in den Unterlagen, Drogenfahndern aus Zürich und Salzburg, die u.a. genau in jener Szene ermittelten, aus der S. zuvor aus Sicherheitsgründen verschwunden war. Nebenbei betätigte er sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem britischen Auslandsgeheimdienst als Zundgeber.

Ganz offensichtlich dauerte es eine Weile, bis man auch im Ministerium davon Wind bekam, ihn darauf hinwies, dass er damit sich selbst und auch andere Informanten der Polizei aus dem gleichen Umfeld gefährde. „Als er dann auch noch anfing, immer höhere Forderungen für seine Informationen zu fordern, ist einigen der Kragen geplatzt“, sagt ein Beamter, der damals in die Affäre verwickelt gewesen ist.

Ob zu Recht, oder nicht, das muss nun das Gericht klären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2013)

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