Frau vor U-Bahn gestoßen: Ein Jahr bedingt

Prozess nach Stoß vor Wiener U-Bahn
Prozess nach Stoß vor Wiener U-Bahn (c) Presse (Fabry)
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Ein 51-Jähriger war wegen schwerer Körperverletzung angeklagt, weil er eine Kenianerin in Wien auf die U-Bahn-Gleise gestoßen hat. Er erhält eine bedingte Haftstrafe.

Ein 51 Jahre alter Elektriker, der am 5. Jänner 2013 knapp vor Mitternacht eine 36-jährige Kenianerin in der U-Bahnstation Taborstraße auf die U-Bahn-Geleise gestoßen hatte, ist am Donnerstag im Straflandesgericht zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt worden. Gegen den Mann war ursprünglich wegen versuchten Mordes ermittelt worden. Angeklagt wurde er schließlich wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung. Für Richterin Gerda Krausam war aber auch keine Absichtlichkeit gegeben: "Das Ziel, eine schwere Körperverletzung herbeizuführen, war nicht nachweisbar."

Der Mann habe sich "in einer Stress-Situation befunden", konstatierte die Richterin in der Urteilsbegründung. Bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren für eine schwere Körperverletzung gemäß § 84 Strafgesetzbuch (StGB) erschien ihr eine einjährige Bewährungsstrafe angemessen, "da sich der Angeklagte reumütig gezeigt hat, einer Beschäftigung nachgeht und integriert ist". Die wegen Unterlassung der Hilfeleistung mitangeklagte Ehefrau des Elektrikers wurde freigesprochen.

Der 51-jährige Elektriker hatte in seiner Einvernahme erklärt, er sei "leicht verärgert" gewesen. Daher habe er die Frau auf die U-Bahn-Geleise gestoßen.

Proteste gegen Urteil

Das nicht rechtskräftige Urteil gegen den Mann hat unmittelbar nach der Verhandlung für lautstarke Proteste farbiger Prozessbeobachter gesorgt. "Das ist Mordversuch! Keine Körperverletzung!", riefen die Zuschauer. Besonders die Frau, die damals die verletzte Kenianerin begleitet und den Stoß vor die U-Bahn mitangesehen hatte, echauffierte sich: "Das ist Rassismus! Das war Mordversuch!"

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Während der Elektriker seine einjährige Bewährungsstrafe annahm, meldete Staatsanwältin Dagmar Pulker dagegen volle Berufung an. Sie war weder mit der rechtlichen Qualifikation der Richterin noch dem Strafausmaß einverstanden. Auch gegen den Freispruch für die mitangeklagte Ehefrau des 51-Jährigen legte Pulker Rechtsmittel ein.

Turbulenter Prozess

Auch zu Prozessbeginn hatte es Donnerstagvormittag im Gericht tumultartige Szenen gegeben. Nach der Einvernahme des Mannes sowie seiner Mitangeklagten protestierten zunächst zwei Zuhörer mit einem Transparent und Zwischenrufen ("We want Justice!" "We need Justice!") gegen die in ihren Augen unzureichende Anklage.

Nachdem die Richterin die Störversuche zunächst erfolgreich unterbinden konnte, indem sie einfach "Ruhe!" zurückbrüllte, eskalierte die Situation: Ein besonders aufgebrachter Zuhörer sprang auf, rannte zur Anklagebank und blieb wenige Zentimeter vor dem Elektriker stehen, um ihm "Das ist Mordversuch!" ins Gesicht zu schreien. Der Angeklagte blieb erstaunlich ruhig und ohne mit der Wimper zu zucken sitzen, während seine Lebensgefährtin sich in den hinteren Bereich des Gerichtssaals flüchtete, berichtet die Austria Presseagentur aus dem Gericht.

Justizwache sorgt für Ruhe

Die Richterin verständigte daraufhin telefonisch den Sicherheitsdienst. Als auch vor dem Gerichtssaal lautstarke Schreie ertönten, trat die Justizwache auf den Plan. Ein Beamter blieb während der weiteren Verhandlung im Saal, um gegen allfällige weitere Zwischenfälle vorgehen zu können. Die zwei Störenfriede, die den Saal zwischenzeitlich verlassen hatten, wurden von einem weiteren Beamten am neuerlichen Betreten gehindert.

Auf einen Blick

Der 51-jährigen Elektriker hat am 5. Jänner 2013 in der U-Bahnstation Taborstraße eine 36 Jahre alte Kenianerin vor die U-Bahn gestoßen. Zuvor soll er die Frau angeblich rassistisch beschimpft haben.

Dem Angeklagten, gegen den zunächst wegen versuchten Mordes ermittelt worden war, wurde nun von der Staatsanwaltschaft absichtliche schwere Körperverletzung vorgeworfen. Die Lebensgefährtin des Mannes wurde wegen Unterlassung der Hilfeleistung mitangeklagt und freigesprochen.

Der Angeklagte behauptete, die 36-Jährige und ihre ebenfalls aus Kenia stammende Freundin hätten am Bahnsteig laut telefoniert und ihn auf seine Bitte, die Lautstärke zu senken, bespuckt.

Nach dem Urteil zeigte sich der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser in einer Presseaussendung "erschüttert" über den Ausgang des Strafverfahrens. Dieses sei "nicht nachvollziehbar", hielt er fest: "Die generalpräventive Wirkung - also die Frage der Abschreckung - einer solchen Straftat wurde komplett außer Acht gelassen. Rassistische Beschimpfungen kommen ohnedies leider viel zu häufig vor. Wenn jetzt rassistisch motivierte körperliche Übergriffe praktisch bagatellisiert werden, ist das ein gefährliches Spiel."

(APA)

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