Ringen: Wiener Bubenträume von Olympia

Wiener Bubentraeume Olympia
Wiener Bubentraeume Olympia(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Martin Dirninger)
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Würde Wien Olympia-Stadt, Wiens Ringer wären automatisch qualifiziert. Aber dem antiken Sport droht das Olympia-Aus. Wiens Ringer kämpfen dagegen an. Der Sport hat ein Imageproblem.

Es könnte eine Schulhofrangelei sein. Wie Sebastian, acht, den drei Jahre älteren Lukas um die Knie greift und ihn zu Boden wirft, wie die zwei Buben dort miteinander ringen. Wären da nicht die genauen Griffe und Hebel, der höfliche Handschlag der beiden vor dem Kampf, die Kommandos des Trainers. Bevor diese fallen, scherzen die zwei, turnen durch den Saal im Trakt C des Ernst-Happel-Stadions.

Es gibt nicht mehr viele Kinder wie Sebastian und Lukas, die in ihrer Freizeit ringen. Dabei hat sich genau für sie in Wien ein historisches Zeitfenster geöffnet. Im Sommer 2028, wenn Wien – sofern die Wiener bei der Volksbefragung einer Bewerbung zustimmen und diese dann auch erfolgreich sein sollte – die Spiele austrägt, könnten heutige Nachwuchsringer automatisch bei Olympia starten. Schließlich dürfen Gastgeber in jeder Disziplin antreten. Sebastian und Lukas wären dann 23 bzw. 26 Jahre alt. Im besten Ringeralter sozusagen. Allerdings: Die Sache hat einen Haken, eine geradezu bittere Pointe. Denn so wie es aussieht, werden die beiden wohl eher auf der Tribüne sitzen und anderen Kampfsportlern zuschauen. Genau in dem Moment, in dem die Stadt über Olympia abstimmen lässt, plant das Internationale Olympische Komitee (IOC), Ringen 2020 aus dem Programm zu streichen. Zu wenig populär sei der antike Sport, zu wenig beachtet von Zuschauern, Sponsoren. Der internationale Aufschrei der Ringer war groß, nachdem das mögliche Aus bekannt geworden war.

Wiener Ringer sind „entsetzt“. Martin Schlagenhaufen spricht von „Entsetzen“ bei den Wiener Ringern. Der vielfache Staatsmeister und WM-Ringer – im Zivilberuf ist er Cobra-Polizist – ist heute Trainer. Er will das Image seiner Disziplin retten, Ringen sei eine der ältesten Sportarten der Welt, die solle nicht in Vergessenheit geraten. „Man braucht zum Ringen Vielseitigkeit, Kondition, Beweglichkeit und Kraft“, sagt Martin Schlagenhaufen. Und doch, die Zahl der Mitglieder der heimischen Ringervereine stagniert. Wer nicht als Kind beginnt, wird selten Ringer. So gehen die Ringer nun in die Schulen, trainieren mit Schülern im Turnunterricht, versuchen, sie zu begeistern. Seit sieben Jahren betreibt der Verein Technopool das Projekt „Sport in die Schulen: Gewaltprävention – Integration – Erziehung und Talentefindung“. Seit Kurzem kommen auch erwachsene Einsteiger wieder: Dafür sorgt der Boom der Mixed Martial Arts (Free Fight), bei denen vor allem Ringer und Judoka gefragt sind. Und auch Frauen ringen – für diese, erzählt der Trainer, sei Ringen seit 2004 deutlich reizvoller geworden, als der Sport auch bei Frauen olympisch wurde.

Es könnte ein kurzer Aufwind gewesen sein. Karl Schlagenhaufen, Martin Schlagenhaufens Vater und Obmann des Klubs Technopool, bezeichnet das drohende Olympia-Aus als „Ohrfeige für unseren Einsatz“ – noch aber wollen die Ringer um ihren Sport kämpfen und intervenieren. Formal muss die Entscheidung im September bei der IOC-Vollversammlung schließlich noch bestätigt werden. „Man müsste es den Leuten wieder schmackhaft machen“, sagt Martin Schlagenhaufen. Aber für Marketing fehle das Geld, auch Sponsoren sind rar. Daher gibt es auch kaum Profis – und wenn, dann sind sie Heeressportler – wie Amer Hrustanovic, Österreichs einziger Starter bei den Spielen 2012 in London.

Der Sport hat ein Imageproblem. Bilder brutaler Kämpfe bulliger Männer, schmerzverzerrter Gesichter im Unterarmwürgegriff, dem „Schwitzkasten“, tauchen auf. „Man hat bei Ringen immer gleich Sumo-Ringer oder Catcher im Kopf“, sagt Martin Schlagenhaufen. Das griechisch-römische Ringen aber sei „ein Kampfsport, bei dem es kaum Verletzungen gibt. Ein spielerisches Training. Es geht um Gleichgewicht, Kraft und Kontrolle des Körpers.“ Und um einen fairen Kampf – gerade bei Kindern würden Aggressionen durch das Training schwinden.

Einst war Wien Zentrum. Trotzdem: Anderen Kampfsportarten gegenüber hat Ringen sukzessive verloren. Allein in Wien gibt es heute 26 Karatevereine, 18Taekwondo-Vereine. Den Ringern sind fünf Wiener Klubs geblieben, dort trainieren etwa 100 bis 120 aktive Ringer. Österreichweit gibt es, so die Zahlen des Ringsportverbandes, 31 Vereine. Einst war Wien mit zehn Klubs Österreichs Zentrum der Ringer. Nach und nach ist der Sport aber im Westen populärer geworden. In Salzburg und Vorarlberg gibt es nach wie vor Orte, in denen die Jugend fast geschlossen ringt. Aber die Wiener Ringer, so Martin Schlagenhaufen, werden stärker. Nicht zuletzt, weil mit Zuwanderern gute Ringer und starke Trainingspartner kämen. In anderen Ländern, Russland, zentral-asiatischen Staaten oder den USA, sei Ringen ja Volkssport.

Bleibt das IOC bei seinen Plänen, fällt Ringen auf einen Kandidatenstatus zurück – und würde diesen mit Klettern, Wakeboarding, Wushu, Karate, Baseball, Squash oder Rollschuhsport teilen. Für Ringer eine bittere Perspektive, war ihr Sport doch schon in der Antike und auch seit 1896, seit den ersten Spielen der Neuzeit, olympisch.

Für die Wiener Mädchen und Buben, die sich jeden Montag zum Training im Praterstadion treffen, ist Olympia noch ein fernes Ziel. Aber doch, die Aussicht auf Wettkämpfe, Weltmeisterschaften, gar Olympia in der eigenen Stadt, motiviert. „Das würde man ihnen abrupt nehmen“, sagt der Trainer.

Ringer in Österreich

31Ringervereine
gibt es in Österreich derzeit, wobei im Westen tendenziell mehr gerungen wird als im Osten. In Wien – einst dem Zentrum der heimischen Ringer – gibt es heute fünf Vereine.

100bis 120 – so viele Ringer sind in den Wiener Vereinen derzeit etwa aktiv. Die Ringer versuchen, über Schulen den Nachwuchs zu erreichen, auch aus der wachsenden Free-Fight-Szene kommen Nachwuchsringer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2013)

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