Eine mutmaßlich kriminelle Organisation steht ab 13. Mai in Wien vor Gericht. Es geht um Schutzgelderpressung im Rotlichtmilieu. Das Verfahren sprengt bisherige Dimensionen.
Wien. So einen Mafiaprozess gab es in Österreich noch nie: Nicht weniger als 43 Verhandlungstage, verteilt auf die Monate Mai, Juni, Juli, August, sind bereits anberaumt. Weitere könnten folgen. Hauptangeklagter ist der einst als „Rotlichtkönig“ gehandelte Geschäftsmann St. (42).
Ihm wird vor allem Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB, der sogenannte Mafiaparagraf) vorgeworfen. Der Prozessauftakt ist am 13. Mai im Straflandesgericht Wien angesetzt. Ebendort rechnet man jetzt schon, wie es nüchtern heißt, „mit großem Andrang“. Ein Aufmarsch von bis zu hundert Zeugen ist bei dem Verfahren gegen insgesamt sechs Angeklagte, vertreten von vier Verteidigern, zu erwarten.
Auch drei Sachverständige, ein Wirtschaftsprüfer und zwei Mediziner, sind bereits geladen. Während der Ermittlungen war ein „großer Lauschangriff“ (Abhören von Wohnungen/Lokalen) vorgenommen worden. Insgesamt stellt die Verhandlung in dieser Dimension so manches große Wirtschaftsstrafverfahren in den Schatten.
Die Aufzählung der Anklagepunkte gegen St. liest sich wie ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch: Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, schwere Erpressung, schwere Nötigung, versuchte absichtliche schwere Körperverletzung, Freiheitsentziehung, schwere Nötigung, schwere Sachbeschädigung und betrügerische Krida werden dem in Niederösterreich lebenden Kroaten zur Last gelegt.
Nach langer U-Haft wieder frei
St. ist bereits (ebenso wie der Zweitangeklagte, A., 46) zwei Jahre lang und damit die gesetzlich erlaubte Höchstfrist in U-Haft gesessen. Da die Justiz mit ihren Ermittlungen bzw. mit der Vorbereitung des Prozesses nicht innerhalb dieser Frist fertig war und somit auch nicht mit der mündlichen Verhandlung begonnen werden konnte, musste man ihn auf freien Fuß setzen. Das war bereits vor einem Jahr. Befürchtungen der Anklage, St. könnte sich absetzen, bewahrheiteten sich seither nicht. St. verhält sich unauffällig. Sein Anwalt Christian Werner (dieser vertritt auch A. und einen weiteren Angeklagten) sagt: „Wir werden uns in allen wesentlichen Punkten ,nicht schuldig‘ bekennen.“
Der Hauptvorwurf gegen alle sechs Angeklagte, Männer im Alter zwischen 42 und 57, teils massiv vorbestraft – so weist etwa das Strafregister eines 46-jährigen Arbeiters satte 20 Vorstrafen auf –, ist eben die Mitgliedschaft in einer „unternehmensähnlichen Verbindung“, die auf schwere Erpressung, aber etwa auch auf Abgabenhinterziehung ausgelegt gewesen sein soll. Diese Verbindung habe, so Staatsanwältin Susanne Kerbl-Cortella in ihrer 20-seitigen, der „Presse“ vorliegenden Anklageschrift, „einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft im Bereich der Rotlichtlokale und eine Bereicherung im großen Umfang, nämlich die Erzielung von unversteuerten Gewinnen (. . .)“, angestrebt.
Abgeschirmt habe sich die Gruppierung, indem sie „einen Ehrenkodex des Stillschweigens über Vorgänge im Wirkungsbereich der Organisation verhängt“ habe.
Stoßrichtungen sei es gewesen, „Lokalbetreiber zu monatlichen Zahlungen sogenannter Schutzgelder“ zu nötigen. Vor allem Rotlichtlokale in Wien seien im Visier der Gruppierung gestanden. Wer nicht zahlen wollte, sei laut Anklage von „gewalttätigen“ Mitgliedern der Organisation eingeschüchtert und/oder misshandelt worden. Auch Säureanschläge auf Lokale seien verübt worden.
Urteile für 14. August geplant
Aus der Anklage: „Von 1998 an bis zumindest ins Jahr 2009“ sei es St. und anderen gelungen, „gewerbsmäßig, das heißt um aus der Begehung der Straftaten ein fortlaufendes Einkommen zu erzielen (. . .), Schutzgeldbeträge zu kassieren“. Ein „milieubekannter Trupp“ habe „stets die Angst davor ausgelöst, Opfer von Gewalttaten zu werden“. 2003 sei etwa der Geschäftsführer eines Lokals in Schärding (Oberösterreich) in der Nacht aus dem Bett gezerrt, gefesselt, schwer misshandelt und mit dem Auto in ein 25 Kilometer entferntes Lokal gebracht worden. Dort sei er gezwungen worden, einem Lokalbetreiber, bei dem er in Ungnade gefallen war, Rede und Antwort zu stehen.
Der Schöffensenat (Vorsitz: Stefan Erdei) hat das Ende des Prozesses für den 14. August geplant. Für alle sechs Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)