Mariahilfer Straße: "Weniger Platz führt zu weniger Stau"

MARIAHILFER STRASSE NEU: BEGEGNUNGSZONE
MARIAHILFER STRASSE NEU: BEGEGNUNGSZONEAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Ab Mittwoch wird die Mariahilfer Straße für Autos gesperrt. Verkehrsplaner Harald Frey erklärt, warum Staus ausbleiben werden und der Verkehr auch in den angrenzenden Bezirken binnen weniger Tage geringer wird.

Die Presse: Sie sagen, Ängste vor Staus um die Mariahilfer Straße seien umsonst, Modelle, die diese prognostizieren, falsch. Was ist der Fehler?

Harald Frey: Sie berücksichtigen Änderungen des Verhaltens nicht. Es geht um simples Vermeidungslernen. Habe ich keinen Erfolg mehr, stelle ich mein Verhalten um. Im Verkehr habe ich enorme Elastizitäten – ich kann meine Autoroute zeitlich oder örtlich verlagern oder ein anderes Verkehrsmittel nutzen. Überall, wo man Kapazitäten für den motorisierten Individualverkehr reduziert hat, haben wir jetzt weniger Stau. Und umgekehrt, siehe Südautobahn. Staus sind ein Zeichen für ein attraktives System. Der Glaube, Staus zu reduzieren, indem ich es noch attraktiver mache, ist ein Kurzschluss. Durch den jahrzehntelangen Ausbau haben wir nur Stauanlagen maximiert.

Worauf müssen sich die Wiener nun einstellen? Von welchen Verkehrsströmen gehen Sie hier, im sechsten und siebten Bezirk, aus?

Die Mariahilfer Straße hat ein großes Einzugsgebiet, die U-Bahn wird eine noch größere Rolle für den Einkaufsverkehr spielen. In den Anrainerbezirken wird der Autoverkehr zurückgehen, ähnlich wie es im ersten Bezirk war, nachdem die Kärntner Straße zur Fußgängerzone wurde. Heute kommen 95 Prozent der Menschen öffentlich in den ersten Bezirk. Das System ist enorm flexibel. Und die Bezirke werden profitieren, indem die Fußgängerströme ins Hinterland wirken.

In Ihrem Modell beziehen Sie sich auf Statistiken zur Verkehrsreduktion während der Fußball-EM oder nach Einsturz der Reichsbrücke. Reagieren Autofahrer auf Einzelereignisse nicht anders?

Die Wirkung ist dieselbe, ich muss mein Verhalten ändern. Dauert etwas nur einen Monat, schiebe ich eine Fahrt vielleicht auf. Aber: Zwei Drittel des Verkehrsaufkommens in Wien sind Arbeits- und Pendelverkehr, er ist nur bedingt flexibel. Studien zeigen, dass dort, wo lange Baustellen waren, etwa jene um die U2-Station Taborstraße, im ganzen Umfeld weniger Verkehr war.

Das klingt, als seien Fußgängerzonen/Sperren ein Pauschalmittel gegen Staus.

Sie sind gut, um mehr Leute für das Zu-Fuß-Gehen, Radfahren oder den öffentlichen Verkehr zu begeistern, gut für das Stadtklima und, wie hier, für die Wirtschaft: Wo heute ein Auto parkt, haben dann zehn Menschen mit zehn Brieftaschen Platz.

Parkplätze sind ohnehin Mangelware. Nun diskutiert man ein Streichen der Stellplatzverpflichtung, um Wohnraum billiger zu machen. Eine gute Idee?

Auf jeden Fall. Die Wohnbauträger wollen das schon längst flexibilisieren. Der Zwang, Stellplätze zu bauen, ist für sie kontraproduktiv, in Berlin wurde die Pflicht schon abgeschafft. Auch in Wien ist die Auslastung gerade in den Randbereichen gering. Das gehört reformiert, die Stellplatzverpflichtung stammt ja aus dem Jahr 1938. Hitler hat sie für sein Ziel der Massenmotorisierung erfunden. Genauso wie die Radwegsbenützungspflicht, damit die Fahrbahnen frei werden.

Diese Pflicht wird derzeit schrittweise gelockert. Wird das Shared-Space-Modell, wie auf der „Mahü“, gelingen?

In den Shared-Space-Zonen sehe ich kein Problem, in der Fußgängerzone müssen Radfahrer dann Schritttempo fahren. Wer rasch in die Stadt will, soll zum Beispiel in die Gumpendorfer Straße ausweichen. Die Mariahilfer Straße wird auch dort wirken: Habe ich im Umfeld weniger Autoverkehr, wird es attraktiver, Rad zu fahren.

Die Gumpendorfer Straße wird im Zuge der Neugestaltung zur Tempo-30-Zone. Wie viel länger brauche ich dann mit dem Auto vom 15. in den ersten Bezirk?

In der Gumpendorfer Straße oder in der Burggasse liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit – rechnet man Wartezeiten ein – heute deutlich unter 50 km/h. Bei Höchstgeschwindigkeit 50 brauche ich Ampeln, bei 30 nicht unbedingt. Eine Ampel weniger, und Sie haben die Verlustzeit herinnen. Schnelle Verkehrssysteme sind in Summe nicht schneller: Die Autos sind in ganz Wien heute genauso schnell wie Kutschen vor 100 Jahren.

Fürchten die Busfahrer der Linie 13A das Passieren der „Fuzo“ zu Recht?

Ich glaube nicht, dass es zu Konflikten kommt. Die Fahrgasse wird farbig markiert und nur einen Bruchteil der Fläche ausmachen. Die parkenden Autos sind weg, ich habe freien Blickkontakt. Eine neuerliche Abtrennung wäre unnötig.

Wo in Wien könnten Fußgängerzonen noch sinnvoll sein?

Dieselben Planungsfehler wie in der Mariahilfer Straße sehe ich in der Landstraßer Hauptstraße: Von Wien Mitte bis zum Rochusmarkt wäre sie als Fußgängerzone sehr attraktiv. Große Defizite gibt es am Stadtrand, in der Wagramer Straße oder am Floridsdorfer Spitz. Fußgängerflächen wurden massiv reduziert, was dort einst war, konzentriert sich nun in Einkaufszentren.

Überblick

Harald Frey arbeitet als Wissenschaftler und Verkehrsplaner am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien und befasst sich dort unter anderem seit der Planungsphase mit dem neuen Verkehrskonzept für und rund um die Mariahilfer Straße.

Dieses neue Konzept wird ab dieser Woche umgesetzt: Bis Mittwochabend, 20 Uhr, können Autofahrer zum letzten Mal die Mariahilfer Straße komplett passieren, dann wird diese gesperrt, um Markierungen aufzutragen. Freitagfrüh startet der Probebetrieb nach dem neuen Konzept: Die Zonen zwischen Getreidemarkt und Kirchengasse und zwischen Andreasgasse und Kaiserstraße werden Begegnungszonen. Der Kernbereich wird zur Fußgängerzone.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2013)

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