"Drechsler"-Alternativen: Wo Nachtschwärmer essen

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Die lange Nacht im Café Drechsler ist Geschichte. Welche Zuflucht bleibt, wenn die Bars schließen? Und wo gibt es noch warme Küche um fünf? Eine nächtliche Suche.

Das Ende kam schneller als gedacht. „Letzte Runde“, sagt die Kellnerin einen gefühlten Moment nach der ersten, keine halbe Stunde später macht sie Ernst. „Fünf Minuten“, sagt sie und wischt wie zum Beweis den Tisch ab. Und der Großteil ihrer Kellnerkollegen in den Bars, den Restaurants und den Beiseln dieser Stadt tut es ihr um diese Zeit gleich: zwei Uhr. Während der Woche heißt das meist Sperrstunde. Die Küchen sind um diese Zeit gewöhnlich schon lange kalt.

Und auch in einer der Instanzen des Wiener Nachtlebens bleibt sie das fortan: im Café Drechsler. Nachdem mit dem Salz & Pfeffer in der Joanelligasse, fünf Minuten entfernt vom Drechsler, eine der Kultlocations nächtlichen Essens vor wenigen Jahren zugesperrt hat, gibt das Drechsler die Nachtschicht auf: Nach dem Sommer wird es nicht wie bisher von Donnerstag bis Samstag um zwei Uhr zu- und um drei Uhr wieder aufsperren. Frühstück gibt es fortan erst ab acht Uhr. Das legendäre Nachtcafé – Geschäftsführer Manfred Stallmajer spricht von 90 Jahren als morgendliches Marktcafé – beugt sich dem Nichtraucherschutz. Ein Umbau zum gesetzeskonform getrennten Nichtraucher-/Raucherlokal sei zu aufwendig. Und Nachtbetrieb als rauchfreies Café lohne sich nicht, dafür sei die Konkurrenz zu groß (Zum Bericht).

Zu viel Konkurrenz? Nach zwei Uhr früh? Die meisten Lokaltüren sind da zu. Hinter einer ist Licht, der Schlüssel steckt, aber die Barfrau sperrt noch auf. Wie lange das Clique-Claque in der Piaristengasse denn offen habe? Bis drei, sagt sie, bringt Spritzer, Krügerl und die Karte: Leberkäsetoast, Suppen, nicht näher definierte „Schmankerln“ um 5,60 Euro. Als wir gehen, ist es nach drei, der Schlüssel steckt noch, wer hereinwill, der wird bescheiden, aber doch bekocht. Ein bisschen mehr warme Auswahl gibt es ein paar hundert Meter weiter, im Café Bendl in der Landesgerichtsstraße. Einer Institution mit Patina, aber berühmt für das Zeremoniell: die Bierdeckel-Schlachten. Oder das Verhandeln um den Einlass, um die letzte Runde. In dieser Nacht ohne Erfolg. Stehen an Wochenenden Paprikahendlragout oder Kalbsrahmgulasch bis in den Morgen (offiziell bis vier) auf der Karte, schüttelt die Kellnerin donnerstagnachts nur noch den Kopf.

Weiter – zur Wolke. Immerhin Wiens einziges deklariertes „Nightrestaurant“, fünf Minuten entfernt vom Karlsplatz. Gewöhnlich wird dort bis fünf Uhr gekocht, heute nicht: Sommerpause. Der Marsch zur nächsten Station wird zu lang. Stopp im Wettcafé? Noch offen? „Na, seit acht nimma, aber i bin eh da“, sagt der Wirt, sperrt doch auf, schenkt zwei Achterln ein. Ein Spieler kommt vorbei, es ist halb fünf, er setzt sich zum Automaten. Es sind triste Orte wie dieser, an denen Wien frühmorgens noch lebt. Die traurigen Reste der Nacht. Oder betrunkene Runden, die bei der Gräfin vom Naschmarkt einfallen. Einer Institution der Wiener Nacht. So bekannt sie ist, so schlecht ist heute ihr Ruf. Überteuert, unfreundlich, ungemütlich heißt es. Ein Spritzer kostet 4,50 Euro, dazu gebe es – auch um fünf Uhr – eine Grillplatte für zwei um 50 Euro oder ein Frühstück de luxe um 16,40 Euro. Der kleinen Poltergesellschaft, der Schleier hängt schon schief, sind Preise egal, sie ordern Omelett und Sekt. Auch die geschminkten Männer in Leder in der Ecke nehmen keine Notiz vom Morgengrauen. Im Radio läuft der Wecker von Ö3, auf der Wienzeile setzt der Berufsverkehr ein.

Der Weg zurück in die Wiener Nacht ist kurz. Über den Naschmarkt, von der Linken auf die Rechte Wienzeile: Minuten nach dem Morgengrauen bei der Gräfin ist es wieder Nacht. Und tiefer als im Goodman kann die Nacht nicht sein. Der Türsteher winkt durch, der Kellner, ganz in Weiß, bringt die Karte. „Gibt's schon Frühstück?“ Es gibt die ganze Karte. Thunfischsalat, Thai-Suppe, geröstete Knödel mit Ei zu moderaten Preisen – serviert wird in der Bar oder im Restaurant.

„I bin ganz einfühlsam“. Aus dem Club im Keller dröhnt die Musik, an der Bar schläft ein dicker Mann, am Nebentisch trinken junge Muskelmänner Champagner, der Kellner serviert reichlich Frühstück um fünf Euro. Gebäck, Schinken, Käse, Gemüse, Salat, Kaffee. Angeblich schmeckt es sogar. Die Appetitzügler gibts gratis dazu: Die zwei Männer an der Bar, die versuchen, die letzten Reste der Nacht zum gemeinsamen Heimgehen zu bewegen. „I bin ganz einfühlsam“, sagt er der Blonden beim Gehen ins Ohr.

Zwei Tische weiter bahnen sich andere Liaisonen an. Zwei Prostituierte, ein beleibter Mann besprechen den Ablauf, wieder und wieder knetet er die nackten Beine der Frau. Flucht auf das WC. Schniefgeräusche aus der Kabine. Flucht aus dem Lokal. Draußen scheint die Sonne, auf dem Naschmarkt sind die Standler unterwegs, Bäcker verkaufen Kaffee, Kellner räumen Tische ins Freie. Acht Uhr. Das Drechsler öffnet. Es ist ruhig, einzeln sitzen Frühstücksgäste an ihren Tischen. Das alte Nachtcafé? Überdrehter Ausklang der Partynacht im Drechsler? Das war einmal.

Asyl bei Nacht

Warmes Essen gibt's spätnachts etwa im Café Europa (bis vier), im Restaurant Wolke (bis fünf), im Robert Goodman (drei Uhr früh bis zehn) oder bei der Gräfin vom Naschmarkt.

An den Wochenenden auch im Café Bendl (bis mindestens vier Uhr), im Motto (bis halb drei) oder im Café Concerto (After-Hour-Betrieb mit DJ und Frühstück ab sechs Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2013)

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