Psychotherapie: „Ein unerträglicher Zustand“

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Die neue Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, Maria-Anna Pleischl, plädiert für mehr Gerechtigkeit bei der Behandlung psychischer Störungen.

Die Presse: Heute ist der Tag der seelischen Gesundheit. Wie seelisch gesund oder krank sind denn die Österreicher?

Maria-Anna Pleischl: Was die Häufigkeit von Störungen angeht, sind wir kein auffälliges Land. Aber in der Versorgung müsste sich einiges ändern. Wir wünschen uns, dass mehr Geld aus der Allgemeinheit in die ärztliche Versorgung von psychischen Störungen läuft. Wir haben sehr viel Geld auf der pharmazeutischen Seite, aber sehr wenig auf der psychotherapeutischen Seite.

Von den 900.000 psychisch Erkrankten haben nur 35.000 einen Kassenplatz.

Ja – und etwa noch einmal so viele finanzieren sich die Therapie selbst. Wir sind eine junge Profession, die Mediziner haben eine sehr potente Stellung in diesem Land. Seit Anfang der 1990er haben wir das Psychotherapiegesetz. Auf gleicher Augenhöhe mit den Medizinern sind wir noch nicht, weil wir kein Universitätsstudium haben. Meine Forderung ist eine universitäre Ausbildung.

Seit 21 Jahren ist die kassenfinanzierte Psychotherapie gesetzlich verankert, umgesetzt wurde das nie. Warum nicht?

Laut Gesamtvertrag bekommt jeder Therapeut den Vertrag mit einer Krankenkasse und jeder Patient eine Therapie. Die Umsetzung ist ganz schwierig, weil wir neun Bundesländer mit sozialversicherungstechnisch unterschiedlichen Strukturen haben. Der Wunsch nach einem Gesamtvertrag bleibt bestehen. Aber wird sind auch realistisch, nach 20 Jahren, und zu Gesprächen bereit für einen flexiblen Rahmenvertrag, der diese Strukturen berücksichtigt. Er soll für ganz Österreich bestimmte Vorgaben abdecken, aber es muss nicht immer jeder Punkt in jedem Bundesland erfüllt sein. Wir wünschen uns Clearing-Stellen in jedem Bundesland, wie in Oberösterreich. Da sind wir in guten Gesprächen mit dem Hauptverband und mit der Wiener Gebietskrankenkasse.

Was soll die Clearing-Stelle machen?

Sie ist die oberste Kontrollinstanz eines Landes, hier wird der Patient zugewiesen, und hier bekommt die Therapeutin ihren Vertrag. Und sie soll jene herausfiltern, die nicht krankheitswertig sind. Es gibt Anfragen für einen Kassenplatz bei Eheproblemen. Das ist keine krankheitswertige Störung und soll nicht bezahlt werden.

Gibt es zu wenig Therapeuten oder zu wenig Kassenplätze?

Es gibt zu wenig Kassenplätze, eindeutig.

Und warum?

Weil die Krankenkasse die Plätze limitiert. Die Frage müsste die Krankenkasse beantworten. Also, wir stehen bereit. Die Kasse argumentiert damit, dass die Strukturen fehlen, um die Effizienz zu kontrollieren.

Was sind die häufigsten Krankheitsbilder?

Sicher Angststörungen und Depressionen. Dazu kommen Zwänge, der ganze neurotische Formenkreis. Der psychotische ist in wesentlich geringerem Ausmaß vertreten.

Wie sieht es mit „Modekrankheiten“, wie Burn-out, aus? Werden die wirklich mehr?

Ich bin nicht mehr ganz jung, habe schon mehrere „Modestörungen“ mitgekriegt: die multiple Persönlichkeit, Borderline, Mobbing, Burn-out. Das hat aber kaum Einfluss in der psychotherapeutischen Praxis.

Wie lauten Ihre gezielten Forderungen an die Politik?

Eine Zugangsgerechtigkeit, dass Menschen, die Hilfe brauchen, sie auf jeden Fall bekommen, auch bei dem Therapeuten, den sie möchten. Das ist ein unerträglicher Zustand. Wir haben eine Kassenanzahl an Plätzen zwischen zwei und fünf pro Woche und Therapeut. Wenn dann jemand kommt und dringend Hilfe braucht, wird er weiterverwiesen, weil er der Sechste ist.

Sollen alle einen Kassenplatz bekommen, oder nur die, die kein Geld haben?

Das ist ganz schwierig. Es gibt ja seit 1991 eine erhöhte Sozialabgabe, damit Psychotherapie über die Kassen finanziert wird. Da sagt schon einmal der Gleichheitsgrundsatz, dass jeder Patient gleich zu behandeln ist. Aber der erste Schritt wäre für alle, die es brauchen und kein Geld haben. Der weitere Schritt wäre dann: jeder, der krank ist.

Wann soll der Rahmenvertrag kommen?

Der Wunsch ist bei den Psychotherapeutinnen sehr dringlich, 20 Jahre Warten hat auch ein Stück zermürbt. Je früher desto besser.

Wird es 2014 so weit sein?

Nein, sicher nicht.

ZUR PERSON

Maria-Anna Pleischl. Im Juni wurde die Psychotherapeutin, Sozialwissenschaftlerin und Diplomkrankenschwester zur Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP) gewählt. Der ÖBVP vertritt rund 3000Therapeuten und 37 Ausbildungseinrichtungen. Pleischl ist außerdem Generalsekretärin des Österreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG). [ ÖBVP ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2013)

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