Ottakring - Simmering: Getrennte Wege

Ottakring Simmering
Ottakring Simmering (c) Clemens Fabry
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Die traditionellen Hochburgen der Arbeiter, der Armut und der Industrie, lange wie statistische Zwillinge an den Enden der U3, entwickeln sich seit Jahren in unterschiedliche Richtungen.

Arbeiterbezirk. Das Attribut schmückt Simmering und Ottakring heute immer noch. Und doch haben sich der elfte und der sechzehnte Bezirk in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich auseinanderentwickelt. Denn während Ottakring zunehmend hip geworden ist – die deutsche „Zeit“ bezeichnete ihn gar einmal als „Idyll für eklektische Besserverdiener“ –, wird Simmering in der Öffentlichkeit nur bedingt als attraktiver Bezirk wahrgenommen. Schon allein an den Wohnungspreisen lässt sich das ablesen – während Wohnen in Ottakring zunehmend teurer wird, gehören Wohnungen im elften Bezirk zu den billigsten in der ganzen Stadt. Auch beim Wahlverhalten lässt sich ein Unterschied herauslesen – man nehme etwa die Zahl der Grünwähler als Indikator, sie gelten als jung, urban und meist akademisch gebildet. In Simmering kamen die Grünen bei der Nationalratswahl Ende September nicht über acht Prozent, in Ottakring wählten sie mehr als 18 Prozent. Umgekehrt liegt der Anteil der FPÖ-Wähler, der auch ein Indikator für Unzufriedenheit sein kann, in Simmering mit 31 Prozent rund elf Prozentpunkte höher als in Ottakring.

Aber woran liegt das? Wie haben sich die beiden einst klassischen Arbeiterbezirke derart auseinanderentwickelt? Einige Fakten und Thesen rund um Simmering und Ottakring – was sie trennt und was sie verbindet.


Was die Bezirke um die heutigen Enden der U3 seit jeher trennt, ist die Lage: Da in Wien, so wie in vielen europäischen Städten, eine Westwetterlage vorherrscht, liegen die gehobenen Wohngegenden eher am westlichen Stadtrand, weil dort die Luft noch sauberer ist, die alten Industriegebiete wurden dagegen eher am südöstlichen Rand der Stadt platziert (siehe auch Punkt Industrie). Das Ottakring westlich der Maroltinger- und Sandleitengasse ist seit jeher Sitz der Besserverdiener – aktuell auch des Bürgermeisters. Auf den hügeligen Ausläufern des Wienerwalds finden sich Schrebergärten und kleine Villen mit Blick über die Stadt. Bescheidener als die Häuser im Cottageviertel, aber doch ein Idyll über Wien. Und die Hügel quasi als Barriere, die das Wachsen von kleinen Satellitensiedlungen, von Konglomeraten aus Wohnsilos, wie sie im Süden und Osten Wiens gewachsen sind, verhindert. Etwas tiefer als das Villenviertel liegt die Vorortlinie, um die sich Industrie und Werkstätten angesiedelt haben, noch tiefer in Richtung Zentrum das dichte, schachbrettartige Wohnviertel nahe des Gürtels.


Glashäuser und Gemüsefelder. Simmering ist rund zweieinhalbmal größer als Ottakring und gilt als sogenannter Flächenbezirk. Insgesamt ist der elfte Bezirk deutlich weniger dicht besiedelt als der sechzehnte. Was auch daran liegt, dass rund 44 Prozent des Bezirks Grünfläche sind. Etwa die Hälfte davon wird für die Landwirtschaft genutzt, rund ein Drittel entfällt auf Parkflächen– dazu zählt auch der Zentralfriedhof, der flächenmäßig zweitgrößte Friedhof Europas.

Grün und ländlich wirkt dabei vor allem der Bezirksteil Kaiserebersdorf. Hier finden sich neben Glashäusern und Gemüsefeldern auch Kleingartenanlagen und Einfamilienhäuser. Allerdings wurde die dörfliche Atmosphäre in den 1970ern durch den Bau großer Plattenbausiedlungen wie etwa in der Thürnlhofstraße oder am Muhrhoferweg durchbrochen. In den 1990er-Jahren folgte der Ausbau des Stadterweiterungsgebiets Leberberg am Ostrand Wiens. Ein Gebiet, das den Ruf als sozialer Brennpunkt hat. In der Gegend einfach stehen gelassene Einkaufswagen von Supermärkten gehörten lange Zeit zum Ortsbild.

Kernsimmering, also die Gegend rund um die Simmeringer Hauptstraße zwischen Südost-Tangente und Laaer Ostbahn, wo auch die U3 ihre Endstation hat, ist deutlich dichter besiedelt. Gründerzeithäuser wechseln sich mit neuen Wohnbauten ab. Die alte Vorstadt ist eine Wohngegend, wie es sie auch in Ottakring gibt.

Und doch ist Ottakring anders. Vor allem der Bereich rund um den Brunnenmarkt hat sich als wahrer Bevölkerungsmagnet erwiesen. Der Markt wurde saniert, der Yppenplatz umgestaltet und 2010 neu eröffnet. Die Stadt und der Bezirk haben sich das rund fünf Millionen Euro kosten lassen, inklusive der Sanierungen und Wohnhausneubauten wurden insgesamt rund 40 Millionen Euro in das neue Brunnenviertel investiert. Das Grätzel ist heute wohl das, was man einen In-Bezirk nennt. Und das spiegelt sich in den Immobilienpreisen und in der immensen Nachfrage um den Yppenplatz und den zahlreichen Umbau- und Sanierungsprojekten Privater wider.


Was die Aufwertung der Gebäude in Ottakring brachte, ist schnell erklärt. Die Mieten und die Wohnungspreise gingen in die Höhe – und die Jungen, Kreativen und Besserverdiener entdeckten den Charme der Gegend. Was auch daran liegt, dass in den benachbarten Innergürtelbezirken kaum mehr verfügbarer Wohnraum vorhanden war. Gerade die Bezirke sieben und acht sind und waren dank Nähe zur Universität Wien für Studenten attraktiv. Diese machten nun den Schritt über den Gürtel und sorgten so für eine Belebung in Ottakring.

Der besondere Reiz dabei war die Mischung aus studentischem Publikum und den Migrantencommunitys, die rund um den Yppenplatz und auf der Ottakringer Straße eine lebendige Szene bilden. Tatsächlich liegt der Migrantenanteil in Ottakring deutlich höher als in Wien gesamt. Aber Ottakring als Sinnbild des migrantischen Wiens, als Hotspot der Communitys aus Ex-Jugoslawien und der Türkei, das mag rund um den Brunnenmarkt stimmen, für den gesamten Bezirk ist es eher ein Klischee: Der Migrantenanteil in Rudolfsheim-Fünfhaus, in der Leopoldstadt, in Margareten und der Brigittenau ist noch höher.


Kebab und Juweliere. Was in Ottakring beklatscht wird, nämlich die große Heterogenität der Bewohner, findet am Beispiel Simmering deutlich weniger Beifall. Vor allem alteingesessene Bezirksbewohner kommen nicht damit klar, dass große Teile der Simmeringer Hauptstraße von Kebabbuden, türkischen Frisören und Juwelieren dominiert werden – und dazwischen dem einen oder anderen Wettbüro. Das kleine Handwerk und Gewerbe, lange Zeit eine große Stärke im elften Bezirk, findet sich heute kaum mehr. Menschen, die früher in Simmering lebten und heute zu Besuch kommen, sprechen gar davon, wie „abgesandelt“ die Gegend wirkt.

Dabei ist der Ausländeranteil in Simmering mit rund 20 Prozent sogar deutlich niedriger als in Ottakring. Und doch hat es bei der Mischung noch nicht gefunkt. Möglich, dass die Studenten als Katalysator fehlen, der die ethnische Durchmischung als positiv begreift. Das könnte sich aber bald ändern – denn rund um die Gasometer ist erst kürzlich die Base 11 eröffnet worden, ein Studentenheim mit mehr als 300 Wohneinheiten. Und da Studentenheime in Zentrumsnähe nach und nach verschwinden (indem sie etwa zu Designhotels umgebaut werden), könnte sich auch das studentische Leben deutlich stärker in die Außenbezirke verlagern. Mit der U3 gelangt man von Simmering aus ohnehin relativ schnell in die Innenstadt.

Der Anschluss an die U3 hat den elften Bezirk deutlich näher ans Zentrum gerückt. Doch das brachte nicht nur Vorteile – gerade für die Geschäftswelt auf der Simmeringer Hauptstraße gingen damit auch viele Kunden verloren, die nun schnell auf die Kärntner- oder die Mariahilfer Straße fahren konnten. Umgekehrt nützen aber nur wenige Menschen die U-Bahn, um zum Einkaufen nach Simmering zu kommen. Das Einkaufszentrum im Gasometer etwa erwies sich mangels Kundenfrequenz als veritabler Flop.


Schon allein aus geografischer Sicht ist Simmering die naheliegende Wahl für zahlreiche Industriebetriebe. Wegen der Westwetterlage ziehen die Abgase von der Stadt weg. Dass Einrichtungen wie die Müllverbrennung, die Entsorgungsbetriebe, das Elektrizitätswerk aber auch die Tierkörperverwertung, die man nicht unbedingt vor der Haustüre haben will, hier angesiedelt wurden, ist also kein Zufall. Dazu kommt, dass Simmering recht tief liegt – und sich damit auch perfekt als Standort für die Kläranlage – am tiefsten Punkt der Stadt gelegen – erweist. Das natürliche Gefälle sorgt dafür, dass die Abwässer ganz natürlich dorthin fließen, wo sie gereinigt werden. All das mag bei der Attraktivität des Bezirkes ins Kalkül gezogen werden – de facto sollte es jedoch keine allzu große Rolle spielen, schließlich liegen all diese Betriebe nicht in unmittelbarer Nähe zu größeren Wohnsiedlungen. Und der Essiggeruch auf dem ehemaligen Mautner-Markhof-Gelände im Herzen Simmerings, der ist Geschichte. Hier werden großflächig Wohnungen errichtet.


Olfaktorisches Lebensgefühl. Industrie bestimmte allerdings auch lange Zeit die Geschicke in Ottakring. Vor allem entlang der Vorortelinie haben sich Fabriken und Werkstätten angesiedelt. Und nach wie vor bestimmen zwei Großbetriebe das olfaktorische Klima des Bezirks – das allerdings auf eine eher angenehme Weise: Der Schokogeruch von Manner aus dem benachbarten Hernals und der Malzgeruch der zentralen Ottakringer Brauerei. Auch die Kaffeerösterei Julius Meinl und Staud's Konfitüren und Delikatessen tragen zur positiven Identität des Bezirks ganz massiv bei.

Hans Staud hat selbst als einer der Pioniere und eine der zentralen Figuren am Brunnenmarkt an dessen Weiterentwicklung mitgewirkt. Und die Ottakringer Brauerei hat ihren Hauptplatz geöffnet, um dort unter anderem Feiern und Konzerte zu veranstalten. Im heurigen Sommer sorgte man zudem mit den Brauwochen geradezu für Volksfeststimmung.

Es sind Orte wie dieser, der Vorplatz der Brauerei im Sommer, die das Lebensgefühl in Ottakring prägen. Der Yppenplatz mit den studentischen bis schicken Menschen in den Gastgärten, die Ottakringer Straße, die zentrale Meile des Nachtlebens der Ex-Jugoslawischen-Community. Es sind die Widersprüche, das Nebeneinander, die den Bezirk reizvoll machen: Türkische Rund-um-die-Uhr-Shops neben schicken Bobo-Lokalen, Design- und Krimskrams-Läden neben Biligst-Händlern, Bio-Obst und Gemüse neben Eiern aus Legebatterien um wenige Cent.

Aber, es ist ein Nebeneinander der Communities. Lokale, Geschäfte selbst Häuser – weitgehend getrennt. In den In-Lokalen am Yppenplatz sitzen selten türkischstämmige Bewohner des Viertels, in den Turbo-Folk-Discos der Ottakringer Straße bleibt die Ex-Ju-Jugend unter sich. Aber, Integration ist Thema: Nicht zuletzt bei den vielen Kulturinitiativen: von Soho Ottakring bis zur Brunnenpassage.


Kino und Konzerte. Simmering hinkt bei derartigen Projekten noch ein wenig hinterher. Aber auch hier wurde einiges unternommen, um den Bezirk zu beleben und interessanter zu machen. Mit dem Schloss Neugebäude wurde etwa ein lange Zeit verfallenes Baujuwel revitalisiert. Nach und nach wurde das lange Zeit als Ruine dahindümpelnde Gebäude saniert und als Veranstaltungsort adaptiert. Seit mehr als zehn Jahren wird im Sommer das „Kino im Schloss“ veranstaltet. Und mit dem von Chilenen aufgebauten Stadtteilzentrum „Centro Once“ hat man auch einen lokalen Kulturtreffpunkt geschaffen.

Doch dass Jugendliche aus der ganzen Stadt abends nach Simmering strömen, ist trotzdem eher die Ausnahme. Zwar gibt es laufend Konzerte und Partys in der Szene Wien und im Gasometer, doch eine lebendige Lokalszene wie etwa in den Stadtbahnbögen am Gürtel, wo man von einem Pub gleich ins nächste ziehen kann, hat Simmering in dieser Form nicht.


Entwicklungspotenzial. Doch die Simmeringer können offenbar gut damit leben, nicht in einem hippen Bezirk zu wohnen. Die Bewohner, sagt Bezirksvorsteherin Renate Angerer gerne, seien stolz auf ihren Bezirk und hätten eine starke Bindung. Und auch hier wird viel entwickelt – und dabei auch darauf geachtet, so manche Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Egal ob rund um die Gasometer oder nahe dem Zentralfriedhof, es wird viel geplant, gebaut und besiedelt. Bis das deutsche Feuilleton auf den elften Bezirk aufmerksam wird und ihn vielleicht einmal als „Idyll für eklektische Besserverdiener“ bezeichnet, wird es aber wohl noch dauern.

XI. und XVI.

Simmering ist der elfte Wiener Gemeindebezirk, der 1892 aus den selbstständigen Gemeinden Simmering und Kaiserebersdorf und kleinen Teilen anderer Gemeinden gebildet wurde. Im Jahr 1956 wurde der Bezirk um die Gemeinde Albern erweitert.

Ottakring ist der 16.Wiener Gemeindebezirk. Er wurde 1892 aus den Gemeinden Ottakring und Neulerchenfeld gebildet. Zum Bezirk gehört auch ein Hektar der großteils in Penzing gelegenen Katastralgemeinde Breitensee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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