Wien und seine „Problembiber“

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Eigentlich ist es eine Auszeichnung für eine Millionenstadt: In Wien leben 250 Biber. Doch für manche werden sie zur Plage, in Niederösterreich jagt man sie schon wieder.

Er ist richtig putzig, wie er über die Donauinsel stolziert, hin und wieder stehen bleibt, die Nase in den Wind streckt und dann weiterläuft. Er ist einen guten Meter lang, dicklich, aber eigentlich recht flott auf seinen vier Pfoten. Auf jeden Fall putzig, dieser Biber.

Oder ein „Sauvieh“, wenn man mit Karl E. aus Floridsdorf spricht. Eine „Plage“, wenn man Obstbauern fragt. Ein „großer Schadensverursacher“, meinen Forstwirte recht hölzern. Eine „Gefahr“, sagen manche Bürgermeister in Niederösterreich.

Der Biber, der Ende des 19. Jahrhunderts in Österreich und weiten Teilen Europas ausgerottet war, ist seit einigen Jahren wieder zurück. Und wie. In ganz Österreich leben laut Umweltbundesamt 4800 Tiere, davon 3300 allein in Niederösterreich, und sogar Wien hat Biber: 250 Tiere zählte man zuletzt. Sie haben ihr Revier am Wiener Donaukanal in der Mitte der Stadt, auf der Donauinsel, sehr gern am Marchfeldkanal, an der Alten Donau, selbst in den Liesingbach und den Wienfluss verirren sich Biber, einen sah man gar beim Amtshaus Hietzing.

„Es ist eigentlich eine Auszeichnung für eine Millionenstadt, wenn sie eine solche Biberdichte hat“, sagt Andreas Januskovecz. Denn der Biber siedelt sich nur dort an, wo er einen gesunden, natürlichen Lebensraum findet. Januskovecz, Leiter der Magistratsabteilung 49, Forstamt und Landwirtschaftsbetrieb, ist offizieller „Bibersprecher“ der Stadt. Es ist nämlich ein sehr heikler Job, einen Mittelweg zu finden zwischen jenen, die den Biber putzig finden, und jenen wie Karl E.

Biber wurden in Ostösterreich 1976 wieder angesiedelt. Zuerst der kanadische Biber, der gern Flüsse aufstaut und „besonders aggressiv“ ist, wie ein Wiener FPÖ-Politiker kritisiert, der zum Schutz heimischer Kleingartensiedlungen angetreten ist. Dieser Ausländer ist freilich schon lange wieder weg. Der kanadische Biber hat sich in Österreich nicht durchgesetzt, teilweise wurde er auch wieder gejagt („verdunstet ist er sicher nicht“, meint Rosemarie Parz-Gollner trocken, Professorin an der Universität für Bodenkultur und Österreichs Biberkoryphäe), er starb also ein zweites Mal aus. Erst der eurasische Biber fühlte sich hier heimisch und breitete sich schnell aus. Heute findet man seine Nachkommen sogar in Tirol, weiß Januskovecz.

Oder im Garten von Karl E. Der Kleingärtner in Wien Floridsdorf bekommt seit drei Jahren regelmäßig ungeliebten Besuch aus dem nahen Marchfeldkanal. „Vier Obstbäume haben sie schon umgebissen“, klagt der 58-Jährige. „Bei einem Nachbarn sind sie sogar über die Thujen hergefallen.“ Abwehrmittel haben gegen die Biber bisher wenig gefruchtet. E. hat seine Obstbäume mit einem Drahtgitter geschützt, doch der Biber biss das Gitter durch.

Für E. gibt es nur eine Möglichkeit: „Wenn es so viele sind, dass sie schon in die Gärten kommen, dann wird man halt auch welche erschießen müssen. Man muss den Biber regulieren, sag' ma so.“ Diese Meinung ist auch der Grund, warum Herr E. seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Weil: „Putzig san s' ja schon.“ Und in einer Stadt, in der schon die Bekämpfung der Tauben zu einem Volksaufstand führt, sollte man nicht laut über die Jagd auf Biber nachdenken.


Baum im „Kühlschrank“. „Das Zusammenleben von Stadtbewohnern und Wildtieren ist immer schwierig“, meint Parz-Gollner. „Es gehört viel Respekt und Akzeptanz dazu.“ Für Spaziergänger auf der Donauinsel hört der putzige Biber dann auf, putzig zu sein, wenn er seine Krallen in den zudringlichen Hund vergräbt. Und die Bauern steigen auf die Barrikaden, wenn der Biber ihre Obstbäume und Wälder entdeckt – wie in Rossatz, wo von 37 Hektar Fläche 40Prozent von den Nagern beschädigt worden sein sollen.

Früher war das nicht anders. Fällt ein Biber Bäume, etwa bei Herrn E., dann nur, weil ihm die Nahrung in seinem Revier ausgegangen ist. Es geht ihm übrigens nicht ums Holz, sondern um die Blätter. Bemerkenswerterweise kann der Biber Bäume so fällen, dass sie ins Wasser fallen und die Blätter dadurch – vor allem im Winter – wie in einem Kühlschrank frisch gehalten werden. Würde man den Biber walten lassen, wie er will, könnte man sich „viel Geld für Renaturalisierung sparen“, meint Rosemarie Parz-Gollner.

Durch natürliche Feinde wird der Biber nicht reguliert, auch dort nicht, wo es noch Wölfe und Bären gibt, wie etwa im Baltikum. Nur der Lebensraum entscheidet über die Zahl der Biber und die Qualität des Reviers: Bei einem guten Revier genügen dem Biber 800 Meter Flusslauf, bei einem schlechten benötigt er auch fünf Kilometer. Mit 250 Bibern, meint die Wissenschaftlerin, dürfte Wien „gesättigt“ sein. Viel mehr Lebensraum werde die Stadt nicht bieten.


112 Tötungen im Jahr 2012. Problematisch wird es in Niederösterreich, wenn Kulturen schwer beschädigt, Flüsse aufgestaut, dadurch Felder überschwemmt und Deiche angegraben werden. In Niederösterreich will man das trotz des strikten Natur- und Artenschutzes für den Biber nicht mehr hinnehmen. In Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur hat man ein „Biber-Management“ eingerichtet. In besonderen Konfliktfällen können Betroffene einen Antrag stellen, der von einem Gutachter des Landes geprüft wird. Bei einer Genehmigung wird der Biber gefangen und dann getötet. Im vergangenen Jahr gab es 112 Genehmigungen.

Früher sorgte übrigens auch die katholische Kirche für eine Reduzierung der Biber, vielleicht war sie sogar Mitschuld am Aussterben des Tieres. Denn der Biber galt aufgrund seines Schwanzes als Fisch – und damit als erlaubte Speise in der Fastenzeit.

Fakten

4800 Biber gibt es laut Umweltbundesamt in Österreich. Allein in Niederösterreich leben 3300 Tiere, Wien hat laut letzter Zählung 250 Biber.

1976 wurde der Biber in Österreich wieder angesiedelt. Auch 1988 setzte man noch einmal Tiere aus – übrigens in den Donauauen. Genau dort war im 19. Jahrhundert der letzte Biber Österreichs erlegt worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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