Tempo 30 in Wien: Eine Stadt bremst ab

(c) Clemens Fabry / Die Presse
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Die Zahl der Straßen, auf denen ein Geschwindigkeitslimit von 30 km/h gilt, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen: 58 Prozent der Wiener Straßen sind bereits „beruhigt".

Wien. Allzu viel ist nicht mehr übrig. Eine Karte von Wien, auf der alle Tempo-30-Zonen eingezeichnet sind, zeigt, dass in großen Teilen der Stadt bereits das 30er-Limit gilt - von 2763 Straßenkilometern sind mit Ende 2013 bereits 1624 Kilometer geschwindigkeitsberuhigt - also 58 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1987 waren es gerade einmal 33 Kilometer, nach einem steilen Anstieg ab 1990 hielt man 2010 - dem Jahr des Eintritts der Grünen in die Stadtregierung - bei 1502 Kilometern. Seither gab es noch eine große Welle an Temporeduktionen - was auch im Regierungsübereinkommen mit der SPÖ als ein Punkt zur Hebung der Verkehrssicherheit enthalten war.

Tatsächlich starteten die Grünen eine Initiative für diese Form der Verkehrsberuhigung. Zuständig dafür sind an sich die Bezirke, nur scheitert es dort oft an der Finanzierung. Mit Geld von der Stadt, so die Idee, würde auch die Motivation in den Bezirken steigen, 30er-Schilder aufzustellen. Der Begriff „flächendeckend", der dabei oft gebraucht wird, erstreckt sich allerdings nur auf Straßen in Wohngebieten, für Hauptstraßen soll auch weiter Tempo 50 gelten. Im Vorjahr prüfte die MA46 (Verkehr) die Bezirke 3, 4, 5, 10, 11, 12, 19, 20 und 21 auf mögliche Erweiterungen. Und tatsächlich kamen von dort mehrere Wünsche nach mehr Verkehrsberuhigung - zuletzt wurde etwa aus Simmering vermeldet, dass der gesamte Bezirk bis auf die Hauptstraßen zur 30er-Zone wird.

30er auf Durchzugsstraßen

De facto geht es bei den jüngsten Erweiterungen vor allem um Lückenschlüsse, war doch die Zahl der 30er-Zonen in Wien auch schon vor dem Eintritt der Grünen in die Stadtregierung recht hoch. Zwar wurden im Windschatten der Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße auch drei Durchzugsstraßen zu 30er-Zonen gemacht - Gumpendorfer Straße, Burg- und Neustiftgasse, jeweils auf Wunsch der Bezirke Mariahilf und Neubau, die damit den Ausweichverkehr von der Mariahilfer Straße abschwächen wollten. Doch abgesehen von davon will man bei den Grünen vorerst nicht am Tempo 50 auf Hauptstraßen rütteln.

Was die Lückenschlüsse in den Bezirken betrifft, heißt es aus dem Büro von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, dass das Programm „im Wesentlichen abgeschlossen" ist. Man werde nun Bilanz ziehen und schauen, wo Nachbesserungen notwendig sind. Auch soll eine aktualisierte Karte von Wien erstellt werden, auf der die jüngsten Änderungen ersichtlich sind. Das Dokument soll in den kommenden Tagen präsentiert werden.

Rückhalt für die Pläne zur weiteren Verkehrsberuhigung per 30er-Zonen kommt unter anderem vom grün-nahen Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Autofahrerclubs wie der ÖAMTC halten die Ausweitung der Zonen dagegen für wenig effizient.

Die Argumente:

PRO: Das wichtigste Argument der Grünen: Die Verkehrssicherheit steigt. Weniger Geschwindigkeit bedeutet auch weniger Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer, weil es zu weniger Unfällen kommt. Auch sind die Folgen von Unfällen bei niedriger Geschwindigkeit meist nicht so drastisch. Auch kann mit geschlossenen 30er-Zonen in Wohngebieten eine höhere Lebensqualität für die Bewohner erreicht werden. Und schließlich bringen die Befürworter auch noch den Gesundheitsaspekt ins Spiel.

Beim VCÖ spricht man etwa von einer Verringerung des wahrgenommenen Verkehrslärms um bis zu 75 Prozent, was unter anderem zu besserem Schlaf führe. Auch führe Tempo 30 zu weniger Luftschadstoffen. Und schließlich, so der VCÖ, würde dadurch Bewegung gefördert, weil Gehen und Radfahren attraktiver würden.

CONTRA: Während das Sicherheitsargument durchaus plausibel sei, warnt Markus Schneider, Leiter der Abteilung Fahrzeugtechnik im ÖAMTC, den 30er als Allheilmittel gegen Luftverschmutzung und Lärmbelastung zu sehen. Die meisten Autos seien nicht für diese Geschwindigkeit als Regelbetrieb ausgelegt - um unter 30 Stundenkilometern zu bleiben, müsse man dauernd schalten, bremsen, wieder anfahren. Das sei aber die ineffizienteste Art, zu fahren. Am kraftstoffsparendsten und schadstoffärmsten ist es, mit gleichbleibender Geschwindigkeit in einem hohen Gang zu fahren - was durch 30er-Zonen praktisch unterbunden wird. Effizienter wäre, den Verkehrsfluss zu optimieren, sagt Schneider. Auch hinsichtlich des Lärms sei Tempo 30 wenig sinnvoll: „Unter 50 km/h gibt es bei der Lautstärke kaum noch Unterschiede."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26. März 2014)

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