Wien: Regeln für Bürgerbefragungen

Bürgerbefragung, direkte Demokratie
Bürgerbefragung, direkte Demokratie(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
  • Drucken

Die Abstimmung über die Mariahilfer Straße hat Defizite bei der direkten Demokratie aufgezeigt. Nun steht der Masterplan, um Befragungswildwuchs und Manipulationen einzudämmen.

Wien. Die Bürgerbefragung über die Neugestaltung der Mariahilfer Straße hat Gräben aufgerissen. Diese sollen mit einem neuen Gesetz zugeschüttet werden, das künftig festlegt, wie derartige Befragungen ablaufen müssen. Bisher handelt es sich bei dieser Form der direkten Demokratie um eine rechtliche Grauzone. Nun soll aber das neue Gesetz den Wildwuchs bei Bürgerbefragungen beseitigen, gleichzeitig mögliche Manipulationen verhindern (z. B. Ausschluss kritischer Bevölkerungsgruppen nach Belieben, um ein gewünschtes Ergebnis zu erhalten).

Während die Opposition auf die nächste Verhandlungsrunde wartet, hat sich Rot-Grün intern bereits auf die Grundzüge der Reform geeinigt. Vorbild ist die Mariahilfer Straße bzw. das Wiener Wahlrecht auf Bezirksebene inklusive einer Fünf-Prozent-Hürde, wie der „Presse“ von mehreren Seiten inoffiziell bestätigt wird.

Was das bedeutet? Eine Befragung soll künftig eingeleitet werden, sobald fünf Prozent der Bezirksbevölkerung dafür unterschreiben. Oder wenn der Bezirk bzw. die Stadtregierung einen entsprechenden Beschluss fasst. Es soll zusätzlich eine Mindestzahl an Unterschriften festgesetzt werden – nachdem in kleinen Innenstadtbezirken rund 800 Unterschriften reichen würden, was von Rot-Grün „nicht als seriöse Hürde“ gesehen wird. Betrifft ein Projekt zwei Bezirke, müssen beide Bezirke ihre jeweiligen Unterschriften bringen.

Das Befragungsgebiet soll künftig einen Bezirk umfassen bzw. (bei Betroffenheit) zwei Bezirke. Sind mehrere Bezirke betroffen, soll „ein klar definiertes, hauptbetroffenes Gebiet“ festgelegt werden, heißt es. Bei kleineren Projekten (z. B. Bau einer Tiefgarage) sollen die Bürger im Umkreis von rund 300 Metern befragt werden. Diese Regelung wurde beispielsweise bei einer Garagenbefragung im grünen Neubau durchgeführt. Das habe sich bewährt, heißt es im Rathaus.

Wer mitstimmen darf

Bleibt die Frage, wer befragt wird. Alle Bezirksbewohner mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die ihren Hauptwohnsitz im betreffenden Bezirk haben, sind dabei. Sie müssen mindestens 16 Jahre alt sein. Auch EU-Bürger (wie von den Grünen gewünscht) dürfen künftig überall mitstimmen.

Der größte Knackpunkt – die Befragung der Geschäftsleute – ist bereits entschieden, sie kommt nicht. Argumentiert wird das intern von Rot-Grün mit der Komplexität, „die rechtlich nicht in Gesetze“ gebracht werden kann. Denn es scheitere an der Frage, wer ein Geschäft vertritt.

Normalerweise ist das der Besitzer. Was ist, wenn der Besitzer ein Konzern oder eine Kette ist? Darf der Geschäftsführer abstimmen? Der regionale Leiter? Der Österreich-Chef? Der Franchise-Nehmer (Pächter)? Theoretisch müssten Hausbesitzer, Geschäftsführer und Pächter mitstimmen dürfen – selbst wenn sie nicht im Bezirk wohnen, heißt es bei Rot-Grün. Damit hätte ein Geschäft oft drei Stimmen, die hauptbetroffenen Anrainer würden stimmenmäßig unter die Räder kommen, wird seitens der Stadtregierung befürchtet. Vor allem, weil man auch die Angestellten der Firmen mitstimmen lassen müsste, die (oft auf Druck, wird im Rathaus befürchtet) gleich abstimmen wie die Geschäftsführung – weil es um ihren Arbeitsplatz gehe. Das gleite ins Chaos, sei in einem Gesetz nicht darstellbar und völlig ungerecht gegenüber den Anrainern, heißt es: Daher gehe es nicht anders.

Drittstaatsangehörige, die ihren Hauptwohnsitz seit langen Jahren in Wien haben, dürfen übrigens nicht mitstimmen – obwohl Rot-Grün alles versucht hat (z. B. über den Umweg eines fünfjährigen Hauptwohnsitzes). Hier gebe es leider keine gesetzliche Regelung, die halten würde, heißt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild: Bürgerbefragung zur Mariahilfer Straße
Wien

Bürgerbefragungen: Rot-Grün lädt zu Verhandlungen

Eine erste Runde der Klubobleute soll bereits am Dienstag über das künftige Reglement verhandeln, das in der Stadtverfassung verankert werden soll.
THEMENBILD: INFO-SAeULE ZUR MARIAHILFER STRASSE
Wien

Bürgerbefragungen: ÖVP stellt Bedingungen

Rot-Grün verhandelt mit der Opposition neue Spielregeln für Bürger-befragungen. VP-Chef Juraczka nennt nun dafür die Bedingungen der ÖVP.
Wien

Vassilakou: "Das ist die Krux bei Befragungen"

Nach der Abstimmung über die Mariahilfer Straße will Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou neue Regeln für direkte Demokratie schaffen - und stößt dabei auf einige Probleme.
Demokratie, Wien, Bürger
Wien

Wien reguliert direkte Demokratie

Analyse. Die Mitbestimmung in Wien soll reformiert werden. Künftig soll es Regelungen für Bürgerbefragungen geben, um Befragungswildwuchs und Manipulationen zu verhindern.
Kommentare

Die Suche nach den Betroffenen

Bürgerbeteiligung, ja klar. Nur, wer darf mitmachen?

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.