Kriminalität: Wien ist keine gute Stadt für Mörder

Kriminalität, Mord
Kriminalität, Mord(c) Fabry Clemens
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Seit 2009 wurden alle Taten geklärt. Zuletzt war es der spektakuläre Handgranatenmord von Ottakring: ein Besuch beim Ermittlerteam.

Wenn in Wien ein Mensch gewaltsam stirbt, dann läutet bei den Mitgliedern einer der drei Mord-Gruppen des Landeskriminalamts das Telefon. Egal wann, egal wo: Kommt der Anruf, dann beginnt für die zuständigen Ermittler eine Periode, während der „Privatleben“ nur ein Begriff im Wörterbuch ist.

Gerhard Haimeder ist einer von ihnen. Auf seiner Visitenkarte steht: Stellvertretender Leiter des Ermittlungsdienstes. Er gibt sie – nur zur Sicherheit, das kennt man aus dem Fernsehen – zum Beispiel Zeugen, damit sie wissen, an wen sie sich wenden können, falls ihnen doch noch etwas einfällt. Und Journalisten, wenn diese den Spieß einmal umdrehen und Haimeder in die für ihn eher ungewohnte Rolle als Befragten bitten.

Als solcher weiß er viel zu erzählen. Hinter der sperrigen Dienststellenbezeichnung Ermittlungsdienst verbirgt sich das, was jeder Krimifan als Mordkommission kennt. Wenn unbekannte Täter einen Dritten töten, dann beginnt die Arbeit für den 55-Jährigen und sein Team. Eine Arbeit, die die 15 Männer und drei Frauen, die auf drei Ermittlungsgruppen aufgeteilt sind, ziemlich gut machen. Seit 2009 hat die Abteilung das, was man im Sport einen Lauf nennt: Von 40 Tötungen mit unbekannten Tätern wurden alle 40 aufgeklärt. Zuletzt war es der spektakuläre Handgranatenmord von Ottakring. Die Aufklärungsquote liegt mit 100 Prozent deutlich über dem ohnedies guten Bundesschnitt. Sind Wiener Mörder schlampiger als andere?

Eher nicht. Haimeder, Dienstgrad Oberst, war die vergangenen Jahre erfolgreich genug, um selbstbewusst und demütig zugleich zwei Gründe dafür nennen zu können. „Wir haben hier erstens gute Leute und zweitens das notwendige Glück.“ Im echten Leben gibt es nun einmal kein Drehbuch wie bei „Columbo“, dem das Konzept der Sendung vorgibt, dass er gar nicht anders kann, als am Ende den Mörder zu überführen. Noch können die Ermittler aus der Alsergrunder Berggasse mit der Quote des kauzigen TV-Kommissars mithalten. Doch man weiß auch: Die Serie wird irgendwann zu Ende gehen. Dieser Gedanke spornt auch an. Keine der drei Gruppen à sechs Personen will jene sein, die die makellose Zeit beendet.

Emotionaler Panzer

Mord, das ist im negativen Sinn auch heute noch die Krönung aller Straftaten. Um die 50 Personen kommen so jährlich in Österreich ums Leben (siehe Grafik), die Zahl der Mordversuche ist etwa doppelt so hoch. Im LKA Wien kommt die Sonderstellung dieses Verbrechens auch durch die interne Bezeichnung „Ermittlungsbereich 01“ (EB 01) zum Ausdruck. Raub (02), Vergewaltigung (03) und Wirtschaftskriminalität (04) folgen.

Genauso hoch wie die Priorität sind die Anforderungen an die Beamten, vor allem die psychischen. „Wenn man täglich damit konfrontiert ist, wie Menschen andere Menschen töten, wird man zum Zyniker“, sagt Haimeder. Wer ihm zuhört, begreift schnell, dass das aus Selbstschutz passiert. So ist es einfacher, den Anblick der Leichen, das Leid der Angehörigen und die Brutalität der Täter nicht zu nahe an sich heran zu lassen. Dennoch gibt es Situationen, die selbst jene Kollegen mit dem dicksten emotionalen Panzer in der Seele treffen.

Nachricht vom Tod

Das passiert dann, wenn Kinder beteiligt sind. Oder wenn die Polizisten den Angehörigen die Nachricht vom Tod einer Personen überbringen. „Wir läuten an, stellen kurz vor, sagen, dass etwas passiert ist und bitten, eingelassen zu werden“, erzählt Haimeder. Die meisten, sagt er, werden dann schon blass. Anschließend folgt der schwerste Teil. „Man soll Leute mit Vorahnung nicht warten lassen, deshalb kommt die wesentliche Information dann so rasch und schonend wie möglich.“ Gespräche über besonders grausame Taten brennen sich den Beamten dann ins Gedächtnis. Einmal wollte die Mutter einer zerstückelten Tochter wissen, ob denn wenigstens das Gehirn in ihrem Schädel verblieben sei.

Dennoch will hier niemand anderswo arbeiten. Schwerstverbrecher zu überführen kann erfüllend sein. Wobei: Dass sich eine Beziehung zum Täter oder gar ein Verständnis für die Tat aufbaut, komme anders als im Krimi nicht vor.

Hat Haimeder in all den Jahren und bei all den Fällen so etwas wie das Mördergen gefunden, eine Eigenschaft, die Menschen zu Killern werden lässt? „Nein“, sagt er. Und schränkt gleich wieder ein: „Für mich persönlich ist jedoch auffällig, das vor allem Männer, die in ihrem Leben – sei es aufgrund antiautoritärer Erziehung oder zu viel Nachsicht in der eigenen Familie – nie gelernt haben, ein Nein zu akzeptieren, ohne vorherige Warnung ausrasten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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