Wiener-Linien-Streik: "Eine völlig unnötige Aktion"

Ersatzbusse der Wiener Linien
Ersatzbusse der Wiener LinienAPA/ROLAND SCHLAGER
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Reportage. Die Fahrgäste der Wiener Linien nahmen die Verzögerungen gelassen, aber doch etwas verärgert hin. Das System des Notbetriebs haben am Westbahnhof die wenigsten durchschaut.

Der Ärger beginnt, da ist die Sonne noch nicht einmal richtig aufgegangen. Am Westbahnhof steht kurz nach halb sechs eine kleine Gruppe Menschen, die sich so gar nicht auskennt. Immer wieder steigen sie in die roten Busse, die an der Haltestelle vor dem Motel One halten, und fragen den Fahrer, ob er denn bei der von ihnen gewünschten Haltestelle halte. Und steigen frustriert wieder aus. Weil nein, dorthin fahre er leider nicht. Da bleibt schon der nächste Bus stehen. Ein neuer Versuch.

Die Wiener Linien haben Mittwochmorgen eine Betriebsversammlung abgehalten und naturgemäß ist das nicht reibungslos verlaufen: Von vier Uhr bis 6.30 Uhr sind die öffentlichen Verkehrsmittel deshalb still gestanden. Dafür wurde ein Notbetrieb eingerichtet: Anstatt der normalerweise üblichen 900 Busse, U- und Straßenbahnen waren während dieser Zeit lediglich 167 Busse privater Unternehmen auf den Routen der Nachtbus-Linien im Einsatz.

Die wenigsten kennen sich aus

Doch so ganz haben das die wenigsten verstanden, zumindest am Westbahnhof. Denn die Infoschilder im vorderen Teil der Busse werden leicht übersehen und auch sonst hängen keine Infotafeln (wohl ob der Kürze der Versammlung) vor Ort. Kaum jemand weiß also, wohin die roten Busse (der Firmen Dr. Richard, Blaguss und Postbus) fahren, wenn sie - zugegeben im Minutentakt - vor einem halten. Auf die Idee den regulären Nachtbusfahrplan anzusehen, kommt kaum jemand.

Dementsprechend verärgert sind auch die meisten Fahrgäste, die trotz allem den Notbetrieb mit einer gewissen Gelassenheit ertragen. Als eine „völlig unnötige Aktion" bezeichnet etwa ein technischer Mitarbeiter einer Firma im 23. Bezirk den Streik. Er ist an diesem Tag extra früh aufgestanden, um rechtzeitig in die Arbeit zu gelangen, findet aber den richtigen Bus nicht. „Der Busfahrer eben hat selbst nicht ganz gewusst, wohin er fährt", sagt er ungläubig. Auch zwei Frauen stehen etwas ratlos da. „Nirgends ist etwas angeschrieben", klagt die eine. Sie ist Putzfrau und müsse zum Arbeiten in den dritten Bezirk, erzählt sie mit einem leichten Akzent.

Am Morgen arbeiten viele Migranten

Und sie ist nicht die einzige. Von den rund 25 Menschen, die in diesem Moment an der Haltestelle stehen, hat ein Großteil Migrationshintergrund. Sie sind es, die als Putzfrauen, Pflegehelferinnen, Verkäuferinnen und Bauarbeiter in Blaumännern in diesen frühen Morgenstunden in die Arbeit fahren müssen. Die befürchteten Pendlerströme aus Niederösterreich, durch die im Vorfeld etwas Chaos prognostiziert wurde, sind zu dieser Zeit noch lange nicht am Westbahnhof angekommen.

(c) Winroither / Die Presse

Busfahrer sind auch überfordert

„Mir reichts, ich nehme ein Taxi", ruft eine Frau entnervt, als sich ein Bus schon wieder als der falsche herausgestellt hat. Auch der Busfahrer konnte nicht weiterhelfen, wie noch öfters an dem Tag. Denn auch die Lenker der privaten Firmen sind überfordert. „Ich weiß erst seit gestern, wo die Linie fährt. Ich kenne ja auch nicht alle Haltestellen", sagt einer der Fahrer.

Andere Fahrgäste wiederum haben erst gar nicht bemerkt, dass die Wiener Linien streiken. Der junge Mann bei der Straßenbahnstation 6 ist jedenfalls etwas erstaunt, dass seine Straßenbahn nicht kommen wird. „Das habe ich gar nicht gewusst", sagt er und macht sich zu Fuß auf den Weg. Dabei ist der spätere Fahrbeginn schwer zu übersehen. Überall steht „Betriebsbeginn ab zirka 6.30 Uhr" auf den elektronischen Anzeigetafeln.

Wer kann, wartete auf die U-Bahn

Fünfzehn Minuten fehlen also noch. Mittlerweile ist die Sonne ganz aufgegangen, der Verkehr am Gürtel hat zugenommen, immer mehr Wiener kreuzen an den Ampeln zwischen Westbahnhof und siebentem Bezirk die Straße und auch die Notbetriebsbusse füllen sich.

„Ottakring? Wo geht es nach „Ottakring" fragt eine Frau. Ratlose Blicke, wieder kann niemand helfen. Dafür bleiben immer mehr Privatautos stehen, deren Lenker die Kollegen offensichtlich in die Arbeit mitnehmen. „Ich muss auch nach Ottakring", sagt eine junge Pflegehelferin. Gemeinsam verlassen sie die Bushaltestelle in Richtung U-Bahn-Station. „Das wird hier nix mehr", sagt sie beim Abgehen.

(c) Winroither / Die Presse

Der Stau ist schnell aufgelöst

Unten angekommen sind die Bahnsteige der U-Bahn bereits voll. Nur noch wenige Minuten bis halb sieben. Dann geht es auf einmal ganz schnell. Um 6.38 fährt die U3 in Richtung Simmering ein, wenig später folgt die U6 in Richtung Siebenhirten. Blöd, dass die U-Bahnen von den vorherigen Stationen schon voll sind. „Wenn kein Platz mehr ist, dann können Sie nicht einsteigen", sagt ein Polizist, der offensichtlich mit seinem Kollegen den Massenandrang beobachten soll. Aber irgendwie geht es sich dann doch noch aus. Wenige Minuten später kommt bereits die nächste U-Bahn, um 6.50 Uhr sind die Bahnsteige sogar schon wieder leer. Die Pendlerströme aus Niederösterreich sind da übrigens noch immer nicht angekommen.

Protest für mehr Sicherheit

Grund für die Betriebsversammlungen waren mehrere tätliche Übergriffe auf das Fahrpersonal in jüngster Vergangenheit. Die Personalvertreter wollen mit den Protesten ihren Forderungen nach besseren Sicherheitsvorkehrungen in den Fahrzeugen - wie Videoüberwachung oder abgetrennte Fahrerkabinen - Nachdruck verleihen. Die Betriebsversammlungen in neun Straßenbahn- und jeweils drei U-Bahn- und Busgaragen waren als Informationsveranstaltungen für die Mitarbeiter gedacht.

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