Urban-Farming: Rocken im Rhabarberbeet

'Karls Garten' oeffnet seine Pforten: 2.000 m2 groszer Schau- und Forschungsgarten fuer 'Urban Gardening' im Stadtzentrum
'Karls Garten' oeffnet seine Pforten: 2.000 m2 groszer Schau- und Forschungsgarten fuer 'Urban Gardening' im StadtzentrumFelipe Kolm/Optical Engineers
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Mehr als nur Gemüse: In Wiens neuestem Urban-Farming-Projekt "Karls Garten" soll geerntet und geforscht werden; dann und wann auch musiziert.

Der Karlsplatz ist der urbanste Platz der Stadt. Sonst ist alles sehr kontrolliert in Wien, aber den Karlsplatz bekommen wir seit 150 Jahren nicht unter Kontrolle, stadtplanerisch und sozial“, sagt Andreas Wiesmüller. Er ist der Pächter des Bar-Restaurants „Heuer am Karlsplatz“, dem ehemaligen Kunsthallen-Café. Nun hat sein Lokal, mitten am „unkontrollierbaren“ Karlsplatz, zwischen Verkehrslärm und ein paar Bäumen, einen neuen Nachbarn bekommen.

Der „Karls Garten“ versammelt auf fast 2000 Quadratmetern Hochbeete aus Holz, Jutesäcke voller Blumenerde und Möbel aus recycelten Paletten. In den nächsten Wochen und Monaten sollen hier Kräuter sprießen und Bienen summen. Außerdem sollen hier, zwischen Radieschen und Rhabarber, Konzerte, Lesungen und Feste stattfinden. Der Unternehmer Wiesmüller hat schon einigen kreativen Projekten in Wien unter die Arme gegriffen, etwa dem Stadtmagazin „Biber“ und der Lomographischen Gesellschaft, die für die internationale Wiederentdeckung der Lomo-Kameras gesorgt hat.

Der „Karls Garten“ auf der öffentlichen Fläche neben der Kunsthalle ist seine jüngste Initiative. Die Idee: Ein Gemüsegarten mitten in der Stadt, in dem gepflanzt und geschlendert, geforscht und gesungen werden kann.

Vor einem Jahr setzte sich Wiesmüller dafür mit den Raumplanern Simone Rongitsch und Sebastian Zeddel zusammen. Die TU-Absolventin aus dem burgenländischen Seewinkel und der Masterstudent aus Bayern haben als „Salatpiraten“ bereits Gemeinschaftsgärten im siebten Wiener Gemeindebezirk angelegt, heute leiten sie den Verein „Karls Garten“, der urbane Landwirtschaft in Wien fördern will. Und das mit Leidenschaft: „Wenn du erst einmal im Garten stehst und so etwas aufbaust, setzt und erntest, dann kannst du es dir gar nicht mehr ohne Garten vorstellen“, so Zeddel.

Urbanes Gartenlabor

Als einfaches Gemüsebeet will man den „Karls Garten“ aber nicht sehen. Hier soll auch geforscht werden. Ein Team der BOKU untersucht etwa, welches Substrat für den Gemüseanbau in der Stadt am geeignetsten ist. In zwölf Hochbeeten werden dazu verschiedene Substratmischungen getestet, wobei auch urbanes Recyclingmaterial wie Ziegelsplitt oder Lava zum Einsatz kommt. Auch mit verschiedenen Bewässerungsmethoden wird experimentiert. Bald sollen in den Forschungsbeeten Minze, Zitronenmelisse, Radieschen, Rote Rüben, Mangold, Kohl und Sellerie wachsen – freilich alles bio. Daneben erhält der Garten eine vertikale Wand mit Salat, Kräutern und Blumen – „um zu sehen, was in der Stadt am besten funktioniert“, so Rongitsch.

Im nächsten Jahr wollen sich die Raumplaner dann mit alten Sorten und traditionellen Anbauformen austoben, etwa Beete auf Stroh und Kompost anlegen. Ideen haben die beiden genug: „In London boomt gerade die Schwammerlzucht in den U-Bahnen, weil es da so dunkel und kellerfeucht ist. Das könnte auch ein Projekt für uns werden, wir haben ja die U-Bahn direkt unter uns“, sagt Rongitsch. Die Basis für die Pilze könnte dabei direkt aus den Kaffeemaschinen des Heuer kommen. „Wir produzieren über eine Tonne Kaffeesatz im Jahr, damit kann man auch arbeiten“, so Wiesmüller.

Mit der Zeit soll sich der „Karls Garten“ zu einem Kompetenzzentrum für Urban Farming entwickeln, einem Vorzeigeprojekt, das der zukünftigen Stadtplanung als Vorbild dienen könnte. Rongitsch und Zeddel wollen Schulen und Unternehmen beraten, außerdem möchten sie Initiativen in der ganzen Stadt bei der Errichtung von Stadtgärten unterstützen.

Beeren und Bienen

Denn dass Innenstadt und Landwirtschaft kein Widerspruch sind, wird in Wien immer mehr Menschen klar. Urban Farming ist ein Trend: Bereits 30 Gemeinschaftsgärten sind über die Bezirke verteilt, in Innenhöfen oder Hochbeeten wachsen Tomaten und Erdbeeren. Der „Karls Garten“ geht noch einen Schritt weiter: Neben Obstbäumen und Beeten gibt es Bienenstöcke und eine Schneckenzucht. Letztere bringt den Neo-Gastronomen Wiesmüller zum Schwärmen: „Weinbergschnecken, Schneckeneier und ein Hühnerei – das ist eine Delikatesse. Das werden wir sicher anbieten!“

In erster Linie werden die Ernteerträge des Gartens aber nicht auf den Tellern im Heuer landen, Restaurant und Verein sind zwei getrennte Einheiten. „Simone und Sebastian sind für mich Kreative, in die man investiert“, sagt Wiesmüller. So wie er grundsätzlich gerne in die Kreativindustrie investiert: „Es macht mir Spaß, mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, und ich weiß, dass es nicht immer leicht ist, in Wien eine Chance zu bekommen.“

Wiesmüller gründete Ende der 1990er-Jahre 3united. Das Unternehmen, das mobile Applikationen für Netzbetreiber entwickelte, wurde 2006 für 55 Millionen Euro verkauft, seitdem unterstützt Wiesmüller immer wieder Kreative. Geht es nach ihm, so soll das Heuer wie auch der Garten zum Schauplatz für junge Kunst werden. „Wir wollen die Frequenz und die exponierte Lage nutzen, um kreative Leute zu präsentieren.“ So sollen inmitten der Beete kleine Konzerte stattfinden, Pop-up-Events und Märkte. Der „Karls Garten“ ist ein offenes Gebiet, jeder kann ihn jederzeit betreten und im besten Fall auch bespielen. „Eine Bühne“ soll der Garten sein, und einen Speakers' Corner wie im Londoner Hyde Park kann sich Wiesmüller genauso vorstellen wie spontane Lesungen oder das Vortragen von Opernarien. Kreative Studenten will das Team mit Wettbewerben ansprechen. Produktdesigner könnten innovative Vertikalbeete oder begrünte Mistkübel entwerfen – Dinge, die die Raumplaner auch gerne umsetzen würden.

„Der Garten soll ein sozialer Raum werden. Da wollen wir Formate schaffen“, so Wiesmüller. Ein Programm wird es jedenfalls nicht geben, bis auf wenige große Veranstaltungen will das Team nichts ankündigen: „Keine Marketingmasche. Vielleicht eine Tafel, wo draufsteht: Heute, 15 Uhr, Konzert.“ Ob der Garten dem „unkontrollierten“ Karlsplatz ein bisschen Kontrolle geben kann? „Eigentlich wollen wir ihn damit noch mehr öffnen“, sagt Rongitsch. Ein grüner Fleck für Ruhesuchende, ein Forum für Kunstschaffende, ein Labor für Gartenforscher. „Es ist ein Experiment unter kontrollierten Bedingungen“, so Wiesmüller. Und wer weiß – vielleicht braucht der Karlsplatz ja gar keine Kontrolle, sondern eben das: ein kontrolliertes Chaos.

Garten

„Karls Garten“ ist ein Schau- und Forschungsgarten neben der Kunsthalle am Karlsplatz. Auf 2000 Quadratmetern wachsen hier verschiedene Obst- und Gemüsesorten. Untersucht wird, welche Anbaumethoden und Pflanzen sich für „Urban Farming“ eignen.

Der Garten ist rund um die Uhr geöffnet. Er soll nicht nur eine Grünfläche in der urbanen Landschaft sein, sondern auch eine Bühne für junge Kreative.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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