Wien will Autoverkehr halbieren

Symbolbild: Stadtverkehr
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Rot-Grün präsentierte am Dienstag jenen Strategieplan, der das Gesicht der Stadt bis 2050 prägen soll. Er sieht eine massive Verkehrsreduktion, eine Art Energiewende und tausende neue Wohnungen vor.

Wien. Wie soll Wien im Jahr 2050 aussehen? Womit werden die Menschen in der Stadt unterwegs sein? Wie viele Wohnungen braucht das stark wachsende Wien wirklich? Und: Wie viel Grünraum muss dafür geopfert werden? Diese zentralen Zukunftsfragen soll ein neues Strategiepapier der Stadt beantworten (die „smart-city“-Rahmenstrategie), das am Dienstag von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) präsentiert wurde. Dieses Strategiepapier ist nun der heilige Gral der Stadtplanung: Sämtliche Masterpläne der Stadt (Verkehr, Stadtentwicklung etc.) müssen seinen Leitlinien folgen, erklärte Häupl: „Es ist eine Strategie, die wachsende Stadt gescheit und nachhaltig zu entwickeln und dabei die Lebensqualität zu halten.“ „Die Presse“ hat die Details analysiert.

Verkehr. Der Autoverkehr soll (weiter) massiv reduziert werden. Alle Abteilungen der Stadt müssen nun daran arbeiten, bis 2030 den Anteil des Autoverkehrs („Modal-Split“) drastisch von 28 auf 15 Prozent zu senken. Im Gegenzug sollen die Wiener motiviert werden, mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Rad und zu Fuß unterwegs zu sein. Später, bis zum Jahr 2050, soll der Autoverkehr noch „deutlich“ weiter nach unten gesenkt werden. Erreicht werden soll dieses ambitionierte Ziel laut Vassilakou mit dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und der Rad-Infrastruktur. In der Vision der Stadtregierung (siehe Grafik) bleiben aber einige Fragen offen: Wie bewegen sich die jetzigen Autofahrer künftig vorwärts? Laut den Annahmen der Stadt, dass öffentlicher Verkehr und Fußgänger nur gering zulegen, müssten die Autofahrer wohl zu einem großen Teil zu Radfahrern werden. Ein derartiges Szenario ist in Wien schwer vorstellbar. Allein deshalb, weil die grüne Rad-Offensive seit 2010 (Radstraßen, Radfeste, Bestellung eines Radfahrbeauftragten, Öffentlichkeitsarbeit etc.) den Radanteil in Wien nicht exorbitant erhöht hat. Im Vorjahr stieg der Radanteil trotz des millionenschweren Materialeinsatzes (Stichwort: Radjahr) um nur 0,1 Prozentpunkte auf 6,4 Prozent. Gleichzeitig stieg der Pkw-Verkehr von 26,8 auf 27,2 Prozent. Damit dürfte bereits das erste Etappenziel (die Wiener sollen 2015 zehn Prozent der Wege per Rad zurücklegen) klar verfehlt werden. Faktoren wie schlechtes Wetter wurden für das magere Radjahr 2013 genannt. Zynisch formuliert: Bis 2030 müsste sich das Wiener Wetter exorbitant verbessern, damit 15 Prozent der Wiener ihre Wege per Rad zurücklegen. Dann bliebe noch die (für Radfahrer) schwierige Topografie der Stadt, vor allem in den Außenbezirken, die nicht zum Radfahren einlädt. Warum die Erreichung des Ziels ebenfalls unwahrscheinlich ist: Der Autoverkehr soll laut Vassilakou nicht durch Restriktionen erreicht werden – es sollen also alle völlig freiwillig umsteigen.

Bis 2050 soll es in Wien nur mehr Autos mit alternativem Antrieb geben, haben die Grünen in das Strategiepapier geschrieben. Also alles außer reinen Benzin- oder Dieselmotoren. Das hängt aber nicht von Maria Vassilakou und ihren Nachfolgern ab, sondern von den technischen Entwicklungen der Autokonzerne und den Marktpreisen. Es ist also offen, ob das erreicht wird.


Umwelt/Energie. Ein zentrales Thema der Zukunft ist die Lebensqualität. Damit hängen Umweltschutz und Energieversorgung zusammen. Der Strategieplan hält fest: Bis 2050 sollen die CO2-Emissionen von 3,1 Tonnen pro Wiener auf eine Tonne gesenkt werden. Der Energieverbrauch für Heizen, Kühlen und Warmwasser soll um ein Prozent pro Kopf und pro Jahr gesenkt werden. 2050 soll die Hälfte der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Durch die technologischen Entwicklungen auf dem Umweltsektor scheint die CO2-Senkung erreichbar. Auch die Senkung des Energieverbrauchs, nachdem Wien nur noch Passivhäuser baut. Für einen 50-Prozent-Anteil aus erneuerbaren Energien muss sich die Stadt aber ordentlich anstrengen. Etwa 80 Prozent der Wiener Energie kommt aus kalorischen Kraftwerken. Da das Potenzial für Wasserkraftwerke in der Umgebung von Wien de facto erschöpft ist, kann Wien-Energie sich nur außerhalb Wiens einkaufen. Das wird derzeit gemacht, das Ziel ist langfristig erreichbar, aber mit entsprechenden Kosten verbunden.


Wohnen.
Laut Strategieplan muss der Grünanteil von Wien (ca. 50 Prozent) bis 2050 erhalten bleiben. Die Stadt wächst aber massiv, tausende neue Wohnungen werden benötigt. Kritiker sprechen davon, dass der Grünanteil in der wachsenden Stadt nur zu halten ist, wenn weniger Wohnungen gebaut werden. Außerdem kosten tausende neue Wohnungen samt Infrastruktur Geld, das das verschuldete Wien nicht hat.

Nur: Wien wird seine Wohnungen bauen, weil es das sozialdemokratische Anliegen ist, notfalls wird das Geld aus anderen Ressorts geholt. Und: Wien mag durch mehr Wohnungen weniger grün werden, statistisch bleibt der Grünanteil aber gleich. Denn dieser bezieht sich auf ausgewiesene Grünflächen wie Weinberge, die Lobau, den Prater etc. Viele Flächen, die grün sind (z.B. Aspern) zählen nicht als Grünfläche, sondern sind als Bauland gewidmet. Deshalb kann sich das Wohnbauressort hier leicht einzementieren: Es gibt genügend Baufläche für die benötigten Wohnungen, der Grünanteil bleibt.

Wirtschaft/Forschung. Wien soll 2050 weiterhin eine der zehn kaufkraftstärksten Regionen Europas (BIP pro Kopf) bleiben. Direktinvestitionen sollen sich bis 2050 verdoppeln, die Stellung als Firmen-Headquarter für Osteuropa soll ausgebaut werden, der Anteil der technologieintensiven Produkte an den Exporten von 60 auf 80 Prozent gestiegen sein, jährlich sollen 10.000 Menschen ein Unternehmen in Wien gründen. Dazu soll Wien 2050 eine der fünf großen europäischen Forschungs- und Innovationsmetropolen mit zusätzlichen internationalen Forschungseinrichtungen werden.

Diese Ziele sind realistisch. Einerseits, weil (bei einem Rückblick im Jahr 2050) Statistiken sehr flexibel gelesen werden können. Zweitens, weil Wien in manchen Bereichen von einem recht niedrigen Niveau startet, als Tor zum Osten aber gute Chancen besitzt. Drittens, weil Wien derzeit massiv versucht, Wissenschaft und Forschung (z.B. Life Science) zu fördern. Nicht zuletzt, weil es ein persönliches Steckenpferd des Wissenschaftlers Michael Häupl ist. Und zur Wissenschaft gehört auch die Bildung. 2050 soll es flächendeckend Gesamt- und Ganztagsschulen in Wien geben. Ob das passiert, ist offen. Das hängt nämlich nicht von der SPÖ an, sondern von der ÖVP und Lehrergewerkschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2014)

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