Wien: Wie grün ist Rot-Grün?

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Die rote Umweltstadträtin Ulli Sima setzt sich für mehr Lebensqualität in Wien ein, Grünen-Chefin Maria Vassilakou kämpft vor allem für eine autofreie Stadt. Eine Analyse.

Ulli Sima kann eigentlich zufrieden sein. Die Stadt Wien ist in allen internationalen Rankings weit vorn, was Lebensqualität, Sauberkeit und Umwelt betrifft. Auch die Wiener selbst sehen in allen Umfragen ihre Stadt durchwegs positiv – zufrieden mit der Trinkwasserversorgung, der Müllabfuhr, der Kanalisation. Und auch die Luftqualität ist im Großen und Ganzen besser geworden, der Feinstaub war in Wien in den vergangenen zweieinhalb Jahren kein größeres Problem.

Doch dieser Einsatz für die Umwelt wird nicht direkt honoriert. Nicht die Roten, nicht Umweltstadträtin Sima, sondern die Grünen, die in Wien das Verkehrsressort führen, werden bei Umfragen als Umweltpartei, als Retter der Umwelt genannt – und auch dafür gewählt. Das ist an sich nichts Neues: Intern wissen die Wiener Sozialdemokraten schon lange, dass ihnen zwar die Kompetenz für vieles zugesprochen wird – nicht aber für Umwelt. Brisant ist das Thema jetzt durch den Erfolg der Grünen bei der EU-Wahl Ende Mai geworden. Denn dabei wurden die Grünen in Wien zweitstärkste Kraft, in mehreren Bezirken sogar stärkste Partei – das ist ein großer Erfolg, von dem Grünen-Chefin Maria Vassilakou bei der Wien-Wahl 2015 zu profitieren hofft.

Emotionaler Anker.
Gewiss, die Motive der Wähler für das Kreuzerl bei den Grünen waren bei der Europawahl andere: Kontrolle von Missständen, Einsatz für bessere Nahrungsmittel – und ganz generell der Umweltschutz. Meinungsforscher Peter Hajek: „Egal, bei welcher Wahl – das Hauptmerkmal, das den Grünen zugeschrieben wird, ist die Umwelt. Das ist eine klassische Imagezuschreibung und emotionaler Anker der Partei.“ So wie man den Roten die Sozialkompetenz und den Schwarzen die Wirtschaftskompetenz zuschreibe. Und so werden auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung den Grünen alle Umweltaktionen der Stadt zugesprochen. Dabei gibt es im Rathaus eine rote Umweltstadträtin, die für die meisten Maßnahmen zuständig war und ist.

Ulli Sima sieht in dem EU-Wahlergebnis keine Hinweise auf schlecht vermarktete Umweltpolitik. „Die Grünen stehen per se für Umweltschutz. Das hilft ihnen bei Wahlen. Aber bei der EU-Wahl gab es andere Faktoren für den Ausgang“, sagt sie zur „Presse“, vor allem, dass man es nicht geschafft habe, die Bürger zur Wahl zu bewegen.

Aber wie unterscheidet sich der Einsatz der Umweltstadträtin von der Politik der Grünen? Anders gefragt: Was macht eigentlich Ulli Sima? „Was wir tun und leisten, geht über Umweltschutzmaßnahmen hinaus. Ich bin auch zuständig für die Sauberkeit und die Wasserqualität und vieles mehr. Im weitesten Sinne führe ich das Ressort für Lebensqualität.“ In der Öffentlichkeit ist Sima in den vergangenen Monaten viel bei Fototerminen zu sehen, die vor allem im Boulevard Anklang finden: Bienenstöcke im Rathaus, Blumenwiesen, Grünfassaden, Rettung von Welpen, Kampf gegen das Taubenfüttern etc. – „Wohlfühlthemen“ ist dafür der gängige Terminus. Sima hört das nicht so gern. „Der Vorwurf ist unfair. In den vergangenen Jahren sind wir viele Konfliktthemen angegangen: etwa die Waste Watcher oder den Hundeführschein bei den sogenannten Kampfhunden“, da habe es ordentlichen Gegenwind gegeben, das seien konfliktträchtige Themen, die sie nicht gescheut habe, sagt Sima. Oder das „Sackerl fürs Gackerl“, das tatsächlich zu einer Reduktion des Hundekots geführt hat. Und außerdem sei Wien ja zuletzt deutlich grüner geworden, es gebe mehr Grasflächen, mehr Parks.

Sima engagiert sich auch über die Grenzen hinaus, konkret in der Anti-Atom-Politik. Mitte dieser Woche fand im Rathaus der 5. Wiener Atomgipfel statt, bei dem sich die Stadt mit NGOs für ein atomkraftfreies Mitteleuropa einsetzt und grenznahe AKW bekämpft. In der Öffentlichkeit wurde der Gipfel nur am Rande wahrgenommen. Von Umweltschutzorganisationen kommt Zustimmung. Reinhard Uhrig von Global 2000: „Die Stadt Wien hat uns bei der Kampagnenarbeit zur Saatgutverordung der EU und beim Kampf gegen die Atomkraft stark unterstützt.“ Detail am Rande: Sima hat in den 1990ern selbst bei Global 2000 gearbeitet.

Vorzeigeprojekt in Mariahilf. Mit deutlicher Kritik beurteilt dagegen Karin Holdhaus, die Umweltsprecherin der oppositionellen Wiener ÖVP, Simas Politik. „Da fehlen die großen Würfe, die effektiven politischen Maßnahmen. Sie führt Projekte durch, die wenig nachhaltig sind. Da und dort eine Hundezone, eine Blumenwiese oder einen Taubenschlag zu eröffnen ist nicht nachhaltig.“ In Summe werde viel verwaltet und wenig gestaltet.

Ärgern kann sie sich aber darüber, dass den Grünen gute Umweltpolitik zugesprochen wird. „Was die machen, ist kein Umweltschutz, sondern reine Verkehrspolitik, reine Anti-Auto-Politik.“ Die grünen Maßnahmen würden nicht die Umweltbelastung reduzieren, sondern nur verdrängen.

Eines ist sicher: Egal, wer die bessere Umweltpolitik macht, die Grünen sind nach der EU-Wahl und der positiv ausgegangenen Mariahilfer-Straßen-Umfrage selbstbewusster geworden. „Das war am Anfang ein kommunikationstechnisches Chaos der Grünen“, sagt Politikberater Thomas Hofer. Aber nach der „zurechtgezimmerten“ Umfrage in den Anrainerbezirken sei die Stimmungslage besser geworden. Das könne bis zur Wahl anhalten. Deshalb glaubt Hofer auch, dass der Umbau der Mariahilfer Straße das schnellste Bauprojekt Wiens wird. „Das ist wichtig für die grüne Klientel.
Vassilakou muss zeigen, was sie gemacht hat.“ Und wird 2015 im Wahlkampf ihre „Verkehrspolitik mit Grün-Touch“ preisen und vom Image als Umweltpartei profitieren.
„Hauptgegner der SPÖ werden die Blauen sein, eventuell wird man auch die Neos angreifen, vor allem die neoliberalen Ansichten, Stichwort Wasserprivatisierung“, sagt Meinungsforscher Hajek. Der grüne Partner werde nicht stark attackiert, vielleicht brauche man ihn noch. Umgekehrt wittern die Grünen Morgenluft, erwarten Zuwächse. Und wollen bei einer künftigen Koalition mit der SPÖ nicht mehr so billig zu haben sein, wie intern zu hören ist. Im Klartext: mehr Kompetenzen. Vielleicht sogar ein zweites Ressort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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