Stadtplaner: „Dichte ist nicht automatisch schlecht“

Howard Slatkin
Howard Slatkin(c) Stanislav Jenis
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Howard Slatkin, strategischer Stadtplaner in New York City, war zu Gast in Wien. Ein Gespräch über nachhaltige Stadtplanung in einer Zeit, in der die Massen in die Städte ziehen.

Die Presse: Auf dem Weg hierher bin ich gleich zweimal im Stau gestanden; kommen wir langsam an einen Punkt, an dem es sich nicht mehr auszahlt, Städte auf Autoverkehr auszurichten?

Howard Slatkin: Autos werden immer Teil funktionierender Städte sein. Aber wir müssen andere Formen fördern: Etwa begehbare und mit Radwegen erschlossene Nachbarschaften, verbunden mit öffentlichem Verkehr. Ziel muss sein, dass das Auto immer unwichtiger wird. Das löst eine positive Kettenreaktion aus: weniger Abgase, weniger Verkehr – und weniger Platz, den man für Autos reservieren muss.

Davon kann bisher keine Rede sein; weltweit wachsen Städte und mit ihnen die Zahl der Autos im urbanen Raum.

Diese Wachstumsdynamik ist nicht gleichmäßig: Die Einwohnerzahlen steigen stärker als die Zahl der Autos. In New York – und, wie ich erfahren habe, auch in Wien – sehen wir, dass im Stadtzentrum der Autogebrauch zurückgeht. Gleichzeitig nehmen Carsharing-Angebote zu. Die verändern nicht nur den Platzbedarf des Autoverkehrs, sondern auch Verhaltensmuster: Weil mit jeder Reise vergleichsweise hohe Kosten verbunden sind, macht man automatisch weniger Autofahrten.

Oft hat man das Gefühl, Stadtplaner behandeln Autofahrer wie „Feinde“. Ist der motorisierte Individualverkehr für Sie bloß noch notwendiges Übel, das man aus der Stadt vertreiben sollte?

Wir Planer arbeiten auf der Basis, dass Menschen anhand von Kriterien wie Preis oder Bequemlichkeit rationale Entscheidungen treffen. Es geht also nicht darum, mit Gewalt eine Art des Verkehrs durchzusetzen – sondern ein Umfeld zu schaffen, in dem andere, gesellschaftlich sinnvollere Entscheidungen auch individuell mehr Sinn ergeben.


In Europa erleben wir heute immer stärker einen Trend, der in den großen US-Städten begonnen hat: Suburbanisierung. Der „Speckgürtel“ rund um Wien gehört politisch nicht zur Stadt, was die Stadt- und Verkehrsplanung erschwert. Wie kann man als Stadtplaner damit umgehen?

In den USA gibt es verschiedene Erfahrungen mit diesem Problem. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich Portland in Oregon, wo man eine Grenze für urbanes Wachstum gezogen hat – außerhalb dieser Grenze gibt es keine Siedlungen mehr. Wir in New York City setzen dagegen auf ein übergeordnetes Raumordnungsprogramm, im Rahmen dessen wir uns mit Gemeinden in der ganzen Region abstimmen, wie wir nachhaltige Entwicklungen und Transportsysteme gewährleisten können.

Viele Städte tendieren zu Verdichtung, um Wachstum zu bewältigen. Der Nachteil sind steigende soziale Spannungen Wie geht man damit um?

Ich glaube, hohe Bevölkerungsdichte ist nicht automatisch schlecht. Dichte und Lebensqualität schließen einander nicht nur nicht aus, sondern können voneinander profitieren, was Verkehr und neue Formen des Zusammenlebens betrifft.

Wien wird bis 2040 dank Zuwanderung wieder mehr als zwei Millionen Einwohner haben. Wie steht es um die Wachstumsdynamik in New York?

Wir haben eine völlig neue Dynamik: Historisch war New York ein Durchzugsraum – Einwanderer lebten hier, um später in andere Teile der USA zu ziehen. Inzwischen wandern mehr Menschen aus dem Rest der USA zu als wir dorthin verlieren; dazu kommt ein Geburtenplus und Zuwanderung aus dem Ausland. Bis 2040 werden wir neun Millionen Einwohner haben. Wir arbeiten sehr hart daran, dieses Wachstum innerhalb der Stadtgrenzen unterzubringen.

Gibt es eine „natürliche Grenze“ für das Wachstum der Stadt?

Es gibt ein theoretisches Limit, eine Funktion aus Infrastruktur, Platz und anderen Faktoren. Es liegt etwa zwischen zwölf und 15 Millionen Menschen.

Was können amerikanische Städte von europäischer Stadtplanung lernen und umgekehrt?

Ich beobachte, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen Wien und New York gibt. Das ökonomische Konzept ist dasselbe: Lebensqualität steigern, um viele Menschen anzuziehen, die sich hier niederlassen. Das bringt ein hohes Level bei den Arbeitskräften mit sich, und das zieht wiederum Betriebe an. Städte wie Vancouver haben es vorgemacht: Sorge dafür, dass sich die Menschen wohlfühlen und die Wirtschaft wird folgen.


Was war Ihr erster Eindruck von der Stadt Wien?

Wenn man den Charakter einer Stadt kennenlernen möchte, muss man ihre Parks anschauen. Hier in Wien sieht man, dass die Menschen ihre Stadt sehr schätzen, die Parks sind sehr sauber. Außerdem ist da viel Natur, mit vielen verschiedenen Vögeln und Pflanzen. Dass Wien so viel passiven Erholungsraum hat, ist einmalig.

ZUR PERSON

Howard Slatkin ist seit 2013 als Director of Strategic Planning and Sustainability einer der obersten Stadtplaner der Stadt New York. Der studierte Historiker hat Wien im Rahmen des Programms George C. Marshall Visit to Austria besucht, im Rahmen dessen Außenministerium und Wirtschaftskammer seit 2007 – als Dank für den Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg – US-Experten nach Österreich einladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2014)

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