U-Haft: „Zu oft und zu lange“

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HOCHSCHULKONFERENZ TAGT ZU MEDIZINFAKULT�T LINZ: FUCHS(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Strafrechtsexperte Helmut Fuchs versteht die Empörung über das Urteil im Fall Josef S. nicht. Er kritisiert aber, dass in Österreich die Untersuchungshaft zu rasch verhängt wird.

Die Presse: Der Fall Josef S. hat – auch in Deutschland – für Empörung gesorgt. Verstehen Sie das?

Helmut Fuchs: Nicht ganz. Ich verstehe, dass man die lange U-Haft kritisiert, aber sonst? Das Gericht hat getan, was seine Aufgabe ist: Beweise würdigen. Immerhin war es ein Schöffengericht, das heißt auch, zumindest einer der Laien war überzeugt, dass der Angeklagte die Taten begangen hat. Wir werden sehen, wie die Beweiswürdigung begründet wird und ob die Begründung vor dem Obersten Gerichtshof hält.

Josef S. war fast sechs Monate inhaftiert. Wird die U-Haft in Österreich zu rasch verhängt?

Ja, zu oft und zu lange. Dabei gibt es den europäischen Haftbefehl, durch den man innerhalb Europas sehr leicht eine Auslieferung bekommt. Schon das wäre ein Grund, die U-Haft zu reduzieren. Im Anlassfall kann ich mir nur schwer vorstellen, wie man eine so lange U-Haft begründet. Einer Wiederholungsgefahr hätte man auch anders begegnen können: etwa durch eine Meldepflicht. Die U-Haft muss verhältnismäßig sein und bis zum Urteil gilt immerhin die Unschuldsvermutung, sprich jemand muss schon sehr gefährlich sein, damit man ihn vorzeitig in Haft nimmt.

Warum gibt es in Österreich diesen Trend zur U-Haft?

Ich glaube, dahinter steckt ein Bedürfnis der Öffentlichkeit, dass immer sofort etwas geschehen muss.

Zurück zur Beweislage im Prozess, die von einigen „dünn“ genannt wird, weil bei ihnen der Eindruck entstanden ist, dass die Aussage eines einzelnen Polizisten zu viel Gewicht hat. Zählt die Aussage eines Polizisten mehr als die eines normalen Bürgers?

Nein, von Gesetzes wegen gar nicht. Aber natürlich spielt es bei der Beweiswürdigung eine Rolle, dass ein Polizist mit einer falschen Aussage viel riskieren würde, weil er auch dem Disziplinarrecht unterliegt. Ein Problem bei diesem Prozess war in meiner Sicht, dass der Beschuldigte geschwiegen hat. Das ist zwar sein gutes Recht, aber als Anwalt würde ich das einem Unschuldigen nicht raten. Denn damit steht nicht einmal Aussage gegen Aussage. Denn dass sich andere Polizisten nicht erinnern konnten, ist keine Gegenaussage, sondern eine Nichtaussage, die nur ein Indiz sein kann.

Wären in solchen Situationen Körperkameras für Polizisten eine Lösung, weil es dann Sachbeweise gibt?

Wenn man ständig überwacht, gibt es zwar Sachbeweise, aber ob das der allgemeinen Freiheit zuträglich ist, ist eine andere Sache. Es ist eine Tatsache, dass bei dieser Demo schwere Gewalttaten begangen wurden. Das Problem ist, dass man diese nur schwer einer bestimmten Person zuordnen kann. Deshalb gibt es auch das Delikt des Landfriedensbruchs: Wenn es bei einer Demonstration gewalttätig wird, muss man das als Teilnehmer verhindern, oder man muss weggehen. Bei schwerer Gewalt darf man nicht dabei bleiben, auch wenn man selbst keine Gewalttaten ausübt.

Aber der Witz des Landfriedensbruchs ist sein Problem: Da man dem Einzelnen Taten schwer nachweisen kann, wird quasi pauschal verurteilt. Pech hat, wer erkannt wird – relativ unabhängig davon, was er konkret getan hat.

Deshalb fände ich es auch korrekter, wenn sich die Täter nicht in der Menge verstecken. Wenn jemand glaubt, dass er nur so, nämlich nur mit Gewalt gegen Rechtsextremismus, demonstrieren kann, soll er sich dazu bekennen.

Er soll sein Gesicht zeigen und die Strafe dafür in Kauf nehmen?

Ja, denn dann würde im Prozess darüber diskutiert, ob solche Aktionen nötig sind, um gegen rechtsextreme Tendenzen vorzugehen. Ich selbst glaube, dass friedliche Demonstrationen genügen.

Können Sie den Vorwurf, das Urteil würde generell Demonstranten einschüchtern, nachvollziehen?

Nein, man muss seine Meinung nicht durch Gewalt äußern dürfen.

Es gibt Bestrebungen, den Landfriedensbruch zu reformieren – etwa, indem man sagt, dass es für den einzelnen Teilnehmer klar erkennbar sein muss, dass die Demonstration auf Gewalttaten hinausläuft. Ist eine solche Reform Ihrer Meinung nach unnötig?

Selbstverständlich kann man die jüngsten Verurteilungen wegen Landfriedensbruchs dahingehend analysieren, ob man die richtigen trifft und ob es Änderungen braucht.

Es fällt auf, dass der Landfriedensbruch, der totes Recht war, nun häufiger angewandt wird. Gibt es „Moden“ im Strafrecht?

Ich denke, das begann mit der Fußball-EM in Österreich. Damals gab es eine Debatte über Fußballrowdys, und das Delikt wurde aktiviert.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Tierschützerprozess? Auch da wurde der „Mafia-Paragraf“ reaktiviert.

Das würde ich unterscheiden. Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung ist viel problematischer als der Landfriedensbruch, weil sich beim sogenannten Mafia-Paragrafen die Tat nur im Geistigen abspielt. Das macht es schwer abzuschätzen, ob man sich schuldig macht. Beim Landfriedensbruch müssen tatsächlich Gewalttaten passieren.

Eine Kritik am Fall S. war auch jene am Ton. Der Staatsanwalt rückte den Angeklagten in die Nähe von Terrorismus, bereits in den Akten fielen Begriffe wie „Demonstrationssöldner“. Hat der Staatsanwalt eine Grenze überschritten?

Ich halte es für unklug und unnötig, solche Begriffe zu verwenden. Denn es geht vor Gericht nicht um Stimmungsmache. Allerdings ist derlei leider nicht ungewöhnlich: Täter werden oft zu Monstern hochstilisiert – nicht nur von der Anklage.

ZUR PERSON

Helmut Fuchs ist Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien. „Die Presse“ sprach mit ihm über Josef S. Der Deutsche nahm an der Demo gegen den Akademikerball teil und wurde wegen Landfriedensbruchs, schwerer Sachbeschädigung und versuchter schwerer Körperverletzung – nicht rechtskräftig – zu zwölf Monaten teilbedingt verurteilt. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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