Fahrrad vs. Auto: "Wir sind eine Empörungsgesellschaft"

Archivbild: Chorherr bei der Wiener Radparade im Jahr 2011
Archivbild: Chorherr bei der Wiener Radparade im Jahr 2011(c) Michaela Bruckberger
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Eine Begnungszone für - fast alle: Christoph Chorherr, Planungs-und Radfahrsprecher der Wiener Grünen, findet, dass die Zukunft der Prater Hauptallee gehört.

Die Presse: Zuletzt gab es wieder eine Radrowdy-Debatte. Zu Recht?

Christoph Chorherr: Natürlich sind Radfahrer keine besseren Menschen. Trotzdem halte ich die Diskussion über Radrowdys für völlig überzogen. 2013 gab es in Österreich 82 getötete Fußgänger, 51 getötete Radfahrer - und kein Einziger ist durch einen Radfahrer bzw. andere Radfahrer umgekommen. Angesichts dessen finde ich es fast zynisch, dass sich Teile der Öffentlichkeit hysterisch über Radfahrer alterieren. Wobei: Auch ich ärgere mich manchmal über rücksichtslose Radfahrer.

Aber wenn Sie klarstellen müssen, dass Radfahrer nicht die besseren Menschen sind, sagt das nicht einiges über die Radfahrpolitik der Grünen aus? Oder zumindest darüber, wie diese wahrgenommen wird?

Radfahren ist eine intelligente Form der Fortbewegung, die gut für das Klima ist und Freude macht. Mit dem Rad steht man nicht im Stau. Aber wir als Grüne sind nicht verantwortlich für das Verhalten jedes einzelnen Radfahrers, auch wenn sich manche Mails, die ich bekomme, so lesen. Eine andere Partei ist auch nicht für das Verhalten jedes Autofahrers zuständig.

In einer 2013 veröffentlichten Umfrage des Kuratoriums für Verkehrssicherheit meinten 83 Prozent der Befragten, dass die Spannungen im Verkehr zunehmen. Kann man das einfach wegwischen?

Ich erkläre mir das mit zwei Faktoren: Einerseits hat der Radverkehr in Summe sicher zugenommen, andererseits auch die Unduldsamkeit der Bevölkerung. Man schimpft über alles: die EU, die steigenden Mietpreise und auch die Radfahrer. Wir sind zunehmend eine Empörungsgesellschaft.

Man könnte es aber auch anders erklären: Indem die Grünen Radfahren so überhöhen, erzeugen sie eine Gegenreaktion.

Wollen Sie mir vorwerfen, dass wir Ziele haben und sie auch umsetzen? Die Straßen sind bei uns nun einmal nicht so breit wie in Paris oder Berlin, wo man locker eine Spur dem Radverkehr geben kann. Bei uns geht das fast immer zulasten einer Parkspur. Natürlich ist das ein Konflikt um die Verteilung. Wir sind im Zweifel für Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Verkehr.

Bis 2030 will man den Autofahreranteil von 28 auf 15 Prozent senken. Da der erwartete Anteil von Fußgängern und Benutzern des öffentlichen Verkehrs nicht stark ansteigen soll, heißt das, dass man aus Autofahrern Radfahrer machen will?

Der Anteil des Autoverkehrs ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. Und wenn in den nächsten 15 Jahren in Wien so viele Einwohner dazukommen, wie Graz Einwohner hat, werden wir natürlich nicht noch einmal so viele Straßen bauen, wie Graz heute hat. Das heißt, ohne eine Reduktion des Autoanteils kann sich das wachsende Wien gar nicht ausgehen. Wobei sicher nicht alle Radfahrer werden. Der Großteil wird den öffentlichen Verkehr nutzen.

Wien hat international gesehen noch immer einen relativ bescheidenen Radfahranteil - trotz der vielen PR-Kampagnen der Grünen. Warum?

Das erste Halbjahr war heuer sehr stark, es gab 30 bis 40 Prozent Zuwachs bei den Radfahrern. Natürlich könnte es mehr sein, aber es gibt so gut wie keine Radfördermaßnahme, die nicht zunächst auf großen Widerstand im Grätzl stößt. Unsere Gesellschaft stemmt sich prinzipiell enorm gegen jede Veränderung. Insofern bemühen wir uns immer um einen Weg des Kompromisses. Das verlangsamt den Fortschritt natürlich.

Der dänische Radfahrexperte Jahn Gehl sagte bei seinem Wien-Besuch, ihm sei aufgefallen, dass es so wenige alte Menschen und Kinder auf dem Rad gebe. Als Grund vermutete er Angst. Gehören in Wien die Radwege nur den Schnellen und Jungen?

Das glaube ich so nicht. Aber dass sich viele Ältere nicht trauen, hat vor allem mit einem empfundenen Unsicherheitsgefühl zu tun. Das ist ein Dilemma, für das ich auch keine schnelle Lösung habe: Denn jene, die neu mit dem Radfahren beginnen, wollen am liebsten überall auf Radwegen fahren. Dabei ist die mit Abstand objektiv unsicherste Situation jene auf den Radwegen. Die meisten Unfälle gibt es auf Radwegen. Dort fühlen sich die Radfahrer sicher, aber der rechts- oder links abbiegende Autofahrer sieht sie nicht. Die objektiv sicherste Situation ist hingegen die subjektiv unsicherste: Legales Radfahren gegen die Einbahn, denn da schauen sich zwei Menschen in die Augen und wissen, es wird eng. Das alles stellt uns vor die Wahl: Bauen wir etwas, was den Leuten, vor allem den Älteren unter den Radfahrern, das Gefühl gibt, da wird etwas für mich getan? Oder richten wir uns nach der Unfallstatistik?

Und wie lösen Sie es?

Unterschiedlich. Ich glaube, in Zukunft wird das E-Bike viel ändern, vor allem für Ältere. Wir wollen in Zukunft in den Stadterweiterungsgebieten eigene Routen von der Qualität der Prater Hauptallee schaffen.

Wer soll diese nutzen dürfen?

Fußgänger, Kinder, Radfahrer, E-Bike-Fahrer. Die Prater-Hauptallee und das linke Donauufer sind Idealtypen solcher Strecken, die für alle sicher sind.

Das heißt: Eine Begegnungszone ohne Bus und Auto?

Natürlich könnte ab und zu auch ein Auto diese Route kreuzen. Aber es wäre ein Durchbruch, wenn wir es schaffen, dass man sein neunjähriges Kind sicher mit dem Rad in die Schule schicken könnte. Aber das wird dauern: In vier Jahren kann man ein fünfzig Jahre lang gewachsenes Verkehrssystem nicht völlig ändern.

Zur Person

Christoph Chorherr ist Gemeinderat der Wiener Grünen. Er ist Stadtplanungs- und Radfahrsprecher. Chorherr studierte Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Umweltökonomie an der WU Wien und ist als Lektor an diversen Unis tätig. Von 1996 bis 1997 war er Bundessprecher der Grünen.

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