Alte WU: Ein „ausgestorbenes Grätzel“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit rund einem Jahr steht die alte WU leer, aber ab Herbst ziehen vorübergehend Boku-Studenten ein. Immobilienexperten plädieren für eine baldige fixe Nutzung.

Wien. Noch ist es ruhig im alten WU-Gebäude im neunten Wiener Bezirk. Die Studenten der Wirtschaftsuniversität sind längst in den neuen Campus im Wiener Prater ausgewandert. Das Parlament zieht als Ausweichquartier während der Sanierung (ab 2017) nun doch die Hofburg vor und auch die Universität für angewandte Kunst konnte sich nicht so recht erwärmen für den Achtzigerjahrebau im Universitätszentrum Althanstraße. Aber immerhin, ab Oktober, wenn das Wintersemester beginnt, wird die alte WU wieder von Studenten genutzt werden – wenn auch von jenen der Universität für Bodenkultur.

Diese platzt nämlich ebenso aus allen Nähten wie einst die WU. Während der Sanierungsarbeiten im Gregor-Mendel-Haus im 18. Bezirk übersiedeln Teile der Boku vorübergehend in den neunten Bezirk. Rund 3000 Studenten und 300 Mitarbeiter der Boku nutzen die alte WU als Ausweichquartier. Eine komplette Übersiedelung ist nicht angedacht. Im Juni haben bereits die Umzugsarbeiten begonnen. Rund ein Jahr wird die Boku am Alsergrund bleiben. Stark belebt wird das Gebäude dann aber nicht sein, immerhin bietet die alte WU Platz für weit mehr als nur 3000 Studenten – geplant war sie für 9000 Studenten, zuletzt gingen dort mehr als 20.000 Studenten ein und aus.

Gastronomie leidet massiv

Das spürt man auch im Grätzel rund um das WU-Gebäude. Martin Müller, geschäftsführender Gesellschafter bei JP Immobilien, hat die Gegend schon vor zwei Jahren im Rahmen eines Grätzelberichts genauer unter die Lupe genommen. „Damals wurde schon diskutiert, dass das schwierig werden könnte, und es hat sich bestätigt“, sagt Müller. Wobei er hier zwei Bereiche unterscheidet, nämlich den gewerblichen, gastronomischen Bereich, der „massiv“ darunter leide, auf der einen Seite, und den Wohnungsbereich, den es weit weniger trifft, auf der anderen Seite. „Wenn 15.000 bis 20.000 Studenten plötzlich fehlen, merken das die Lokale in der unmittelbaren Umgebung natürlich enorm. Da gibt es sicher massive Umsatzeinbrüche“, so Müller.

„Es haben fast alle rundherum zugesperrt oder verkauft, auch Banken und Trafiken“, sagt Thomas Schlemmer von der Kaffeebar The Roast, die als eine der wenigen geblieben ist. Er spricht von bis zu 40 Prozent Umsatzeinbußen. „Aber bei uns geht es, weil wir nur mehr die Hälfte des Personals haben“, so der Gastronom, der kritisiert, dass sich während der fünfjährigen Bauzeit der neuen WU niemand überlegt hat, was mit der alten passiert. Es sei ein „ausgestorbenes Grätzel“.

In Hinblick auf den Wohnungsbereich kann das Immobilienexperte Müller nur bedingt bestätigen. Wohnungen seien immer noch gefragt, allerdings eben nicht mehr so stark. „Bis vor zwei Jahren war eine klassische Ein-bis-zwei-Zimmer-Wohnung bei der WU innerhalb von ein, zwei Tagen weg. Die gehen heute auch weg, aber nicht mehr sofort“, sagt Müller. Für eine generelle Einschätzung des Grätzels sei es noch zu früh. Er halte allerdings eine universitäre Nutzung des Gebäudes für ideal. Wichtig sei laut Müller aber vor allem, dass das WU-Gebäude bald belebt wird – und in der Zwischenzeit auch gepflegt wird.

Eine Mio. Euro für Leerstand

Das versucht der Eigentümer, die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), derzeit ohnehin. Laut Sprecherin Alexandra Tryfoniuk kosteten der laufende Betrieb und die Pflege des Gebäudes im kompletten Leerzustand rund eine Million Euro pro Jahr. Derzeit gebe es laufend Gespräche mit anderen Unis, die es als Ausweichquartier nutzen könnten. Laut derzeitigem Planungsstand soll ab Herbst 2015 die Akademie der bildenden Künste vorübergehend einziehen. An einem Gesamtkonzept für die fernere Zukunft werde derzeit gearbeitet. Mit dem Parlament als Zwischennutzer ab 2017 habe man bis vor Kurzem noch fix gerechnet. Auch eine unterschriebene Absichtserklärung habe es bereits gegeben. „Allerdings erfolgte eine definitive Absage durch das Parlament“, so Tryfoniuk.

Ewald Stückler, der mit seiner Firma TOC Tecno Office Consult das Parlament beim Umzug berät, beurteilt die alte WU als ideales Ausweichquartier für das Parlament. „Das wäre eine sinnvolle Variante gewesen“, so Stückler. Er findet es schade, dass daraus nichts wurde, meint aber: „Ob das letzte Wort gefallen ist, ist offen. Ich traue mich nicht zu sagen, dass das komplett vom Tisch ist.“ Für die langfristige Nutzung hält auch er eine Universität oder eine andere Bildungseinrichtung für ideal. Und auch er fände es wichtig, dass das Gebäude bald komplett genutzt wird, und kann sich Kritik an der Stadt nicht verkneifen: „Die Stadt versucht krampfhaft, viele Stadtvierteln aufzubauen, wo doch innerstädtisch so viel Potenzial wäre.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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