Massenquartier in Wien: Machtlos gegen Elendshaus

Gebrüder Lang-Gasse: Ein Zinshaus als Aufreger für ein ganzes Viertel.
Gebrüder Lang-Gasse: Ein Zinshaus als Aufreger für ein ganzes Viertel. Clemens Fabry / Die Presse
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Bettler, Prostituierte und Tagelöhner überfüllen ein Haus in Wien. Die Behörden sind machtlos. Der Eigentümer auch, sagt er.

Wien. Auf etwa 70 bis 80 Häuser schätzen die Behörden die Zahl jener Massenquartiere, die in Wien als Standorte von organisierten Bettlern - und manchmal auch von Menschenhändlern - dienen sollen. Und während auf der einen Seite Hilfsorganisationen die Existenz einer „Bettlermafia" kategorisch bestreiten, haben die Bewohner der Wiener Gebrüder Lang-Gasse (15. Bezirk) ihre eigenen Wahrnehmungen.

Seit drei Jahren schon machen sie Stadtverwaltung, Polizei und Finanzbehörden im Stillen auf ein Haus in ihrer Straße aufmerksam, das das ganze Viertel beschäftigt. Beim Bezirksvorsteher liegen inzwischen 80 Protestunterschriften. Allein: Geändert hat das (fast) nichts. Und der Eigentümer der Liegenschaft stellt sich als Opfer seiner Mieter dar.

Dabei wurden die Missstände per Foto und Video dokumentiert. Dutzende Personen, die das Problemhaus morgens verlassen, stehen tagsüber als Bettler am nahen Westbahnhof oder in der Mariahilfer Straße. Abends kehren sie mit den Tageseinnahmen zurück. Einer von ihnen soll dabei sogar seinem Rollstuhl entstiegen sein.

Regelmäßig fahren in Bulgarien oder Rumänien zugelassene Lieferwagen vor. Sie bringen - außer den stetig wechselnden Bewohnern - die unterschiedlichsten Güter mit. Kupferrohre, Flutlichtanlagen, Verkehrsschilder. Einige der Männer sollen sich als Tagelöhner verdingen. Ein Teil der Frauen arbeitet nachts wenige Meter weiter in Rotlicht-Etablissements am Gürtel. Bis vor vier Jahren gingen die Freier auch im Haus in der Gebrüder Lang-Gasse ein und aus. Bis es ebendort zum Mord an einer 22-jährigen Prostituierten aus Osteuropa kam.

Frau S. wohnt direkt gegenüber. Den Mord damals hat sie sprichwörtlich verschlafen. Heute fielen vor allem der Lärm bis spät in die Nacht, die Dutzende Bewohner der nur vier Wohnungen sowie der Müll in der ganzen Straße auf. Über den Hinterhof kriechen bereits die Ratten in den nächsten Straßenzug, das Nachbarhaus gegenüber soll von Kakerlaken befallen worden sein.

„Ganz normale EU-Bürger"

Einem anderen Anwohner hat sich ein Bewohner des Problemhauses einmal anvertraut. 700 bis 800 Euro sollen dem Hauseigentümer die vier Substandard-Wohnungen pro Einheit bringen. Hinzu kämen fünf Euro pro Nacht und Matratze für „Gäste".

Was sagt aber der Eigentümer, der Unternehmer J., dazu? Der will nun einen Anwalt einschalten. „Was dort alles geschehen soll, entspricht nicht meinen Wahrnehmungen. Die Vorwürfe der Nachbarn schrammen knapp am Tatbestand der üblen Nachrede vorbei." Über die Mietverhältnisse und die Zahl der Mieter weiß er selbst angeblich nicht viel, nur dass es sich „um ganz normale EU-Bürger" handelt. Allerdings räumte er ein, dass nicht auszuschließen wäre, dass einige Mieter ihr Mietrecht „womöglich missbrauchen". Außer mit der Polizei habe er auch noch keinen Behördenkontakt gehabt.

J.'s Erinnerungen haben offenbar Lücken. Im Frühling bekam er Besuch von Bau-, Finanz- und Bundespolizei. Ebenfalls anwesend waren Ordnungs- und Gesundheitsamt. Es folgten Anzeigen wegen Verwaltungsübertretungen. Für eine Räumung des Hauses reichte es jedoch nicht. Warum?
„Weil Verwaltungsstrafen solche Vermieter kaum stören", sagt ein Beamter. Die Gebrüder Lang-Gasse sei eines jener Quartiere, die schon seit vielen Jahren unter Beobachtung stünden.

Aber: Solange ein Haus nicht einsturzgefährdet sei, gingen die Eigentümer weiterhin ihrem Geschäft nach - wegschauen und am Elend Dritter verdienen. Straftaten hingegen seien in diesem Milieu nur selten nachzuweisen - weil die Bewohner der Häuser fast immer in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, meist schweigen, und auch die Vermieter in der Regel nur wenig über die Organisationen ihrer Mieter wissen.

Die Aussicht auf Besserung für die Anrainer scheint also gering.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. August 2014)

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