Bettlermafia: Opfer war behindert

Fix vorgegebene Arbeitszeiten soll jener körperlich behinderte Bettler gehabt haben, um den sich nun ein Prozess dreht.
Fix vorgegebene Arbeitszeiten soll jener körperlich behinderte Bettler gehabt haben, um den sich nun ein Prozess dreht.(c) APA (Hans-Klaus Techt)
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Beklemmende Einblicke in die Welt organisierter Bettlerbanden liefert ein Strafprozess: Ein Paar aus Rumänien soll einen Invaliden jahrelang ausgebeutet haben.

Wien. Nach Behördenschätzungen gibt es in Wien 70 bis 80 Substandard-Häuser, die unter anderem von organisierten Bettler-Gruppen bewohnt werden. Diese Personen stammen zu einem großen Teil aus den ärmsten Regionen Europas: Vor allem Rumänen sind in der Bundeshauptstadt als Bettler aktiv. Aber auch Bulgaren und Slowaken. Allein 2013 nahm die Polizei im Rahmen eines vom Bundeskriminalamt gesetzten Schwerpunktes in Sachen Bettler-Szene die Namen von 1100 Rumänen auf. 430 Anzeigen erfolgten. Vor diesem Hintergrund begann am Donnerstag ein Prozess wegen Menschenhandels. Zwei Frauen und ein Mann aus Rumänien sind angeklagt.

Folgt man Staatsanwältin Ursula Kropiunik, so musste der schwerst behinderte, mittlerweile 34 Jahre alte Stefan I. aus Rumänien zwischen 2009 und 2013 ein wahres Martyrium über sich ergehen lassen: Er sei (und dies ist vom nun herangezogenen Tatbestand „Menschenhandel" umfasst) zum Betteln gezwungen und systematisch ausgebeutet worden. Dem Mann waren nach einem schweren Unfall in seiner Heimat (laut Anklage hatte er in alkoholisiertem Zustand versucht, von einem fahrenden Zug auf einen stehenden Zug zu springen) beiden Beine, die linke Hand und zwei Finger der rechten Hand amputiert worden.

Hier in Wien sei er - so die Vorwürfe - zum Betteln gezwungen worden. Wenn er nicht tat, was zwei der drei nun angeklagten Personen von ihm forderten, sei er körperlich misshandelt worden. Bei den genannten Personen handelt es sich um ein Paar, den 37-jährigen Florin S. und die 35-jährige Doina K. Mitangeklagt ist auch die zehn Jahre ältere Schwester von K., die aber im wesentlichen Hilfsdienste zu leisten hatte und selber mit bettelte. Letztere bekennt sich schuldig. Die beiden mutmaßlichen Haupttäter weisen hingegen jede Schuld von sich.

Die nähere Erörterungen des Falles unter der Leitung von Richter Ulrich Nachtlberger boten nun beklemmende Einblicke in den Alltag von Bettlerbanden. Demnach hatte das schwerst behinderte, im Rollstuhl sitzende Opfer regelrechte „Arbeitszeiten". Von Montag bis Samstag, jeweils von 8.30 bis 18 Uhr, musste der Mann am Reumannplatz (10. Bezirk) am Boden sitzen und betteln. Sein Rollstuhl soll in dieser Zeit an einen Fahrradständer angekettet worden sein, um zu verhindern, dass sich der Mann unerlaubt entfernt. An Sonntagen musste der Mann von zehn bis zwölf Uhr auf Flohmärkten betteln. Seine Einnahmen pro Tag beliefen sich zwischen 300 und 1000 Euro. Das Geld habe er an das nun angeklagte Paar abliefern müssen.

Doina K. und Florin S. bestreiten dies. Die beiden geben an, sie hätten ebenso gebettelt, nie Gewalt gegen den behinderten Landsmann angewendet („Er war schon daran gewöhnt zu betteln"). Man habe jeweils die Erlöse gerecht untereinander aufgeteilt.

Hervorgehoben wurde nun der Umstand, dass Doina K. (laut Anklage Analphabetin) den schwerst behinderten Mann in Rumänien geheiratet hatte. Sie soll dies getan haben, um an dessen Invaliditätspension zu kommen. Derzeit erwartet die Frau von ihrem eigentlichen Lebenspartner, dem Zweitangeklagten, Zwillinge. Hochschwanger bedeutete die Frau nun dem Richter, dass sie sich unwohl fühle. Die Frau, laut Gerichtsakt hat sie elf Geschwister, ist bereits dreifache Mutter.

130 Euro pro Matratze

In Wien hatte das Quartett in einem Massenquartier in Erdberg und in einem Substandardhaus in Wien-Simmering gewohnt. Florin S. erklärte, er habe in Erdberg gemeinsam mit den anderen auf Matratzen am Boden geschlafen. Wie die eingangs erwähnten Ermittlungen der Polizei ergeben hatten, müssen Bewohner derartiger Quartiere zirka 130 Euro pro Monat und Matratze bezahlen. Wie „Die Presse" berichtete, war bei diesen Ermittlungen (losgelöst vom nun zur Verhandlung stehenden Fall) etwa eine 50 Quadratmeter große Substandardwohnung mit 40 eingemieteten Bettlern entdeckt worden. Oder etwa ein Haus, in dem 47 Personen gemeldet waren, das aber in Wahrheit 220 Menschen beherbergte.

Der Prozess wurde nun auf 16. September vertagt. An dem Tag soll die auf DVD aufgezeichnete Aussage des Opfers im Gerichtssaal vorgespielt werden. Dem Mann soll somit ein persönliches Erscheinen erspart werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29. August 2014)

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