Der Kampf um den Augarten

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Konzertsaal für die Wiener Sängerknaben war ein höchst umstrittenes Bauwerk. Doris Kittler dokumentierte den Widerstand dagegen mit ihrer Kamera.

Es war ein langer, mühsamer und zuweilen auch knallharter Kampf. Aber trotz bemerkenswerter Beharrlichkeit und Kreativität zogen die Aktivisten gegen die Bauherren und ihre Bagger am Ende den Kürzeren. „Wir haben etwas verloren. Aber auch viel gewonnen. Denn es ist einiges übrig geblieben“, sagt eine Demonstrantin am Ende der Dokumentation „Auf den Barockaden“, die den Protest des „Josephinischen Erlustigungskomitees“ gegen die Errichtung des Konzertsaals MuTh für die Wiener Sängerknaben am Augartenspitz in der Leopoldstadt von Anfang an begleitet hat und am kommenden Mittwoch ins Kino kommt.

Was sie und ihre Verbündeten verloren haben, liegt auf der Hand. Der Konzertsaal wurde im Dezember 2012 eröffnet. Noch am Eröffnungstag machten rund 65 Projektgegner mit einer Kundgebung ihrem Ärger über das Bauwerk Luft. „Dennoch haben wir ein neues Bewusstsein gewonnen“, sagt Doris Kittler, Regisseurin des Films. „Ich glaube, dass dieser ungewöhnliche Protest bei vielen zu einem Umdenken geführt hat, was hartnäckigen Widerstand aus der Bevölkerung angeht. Sogar die Entscheidungsträger dürften verstanden haben, dass solcher Unmut ernster genommen werden muss.“

Der Konzertsaal MuTh (Musik und Theater) war eines der umstrittensten Bauwerke der vergangenen Jahre. Bereits 2006 kündigte der damalige Sängerknaben-Präsident Eugen Jesser an, dass man einen Konzertsaal am Augartenspitz plane. Bekämpft wurde die Standortwahl von Beginn an durch Anrainer. Von „Touristenfalle“ war die Rede, ein Verkehrschaos wurde prognostiziert und der Erhalt der Grünfläche gefordert.

Im Dezember 2007 unterzeichneten die Sängerknaben dennoch den Vertrag mit der Burghauptmannschaft. Noch im selben Monat gab es eine eintägige Warnbesetzung durch die Grünen, Einsprüche der Anrainer verzögerten die laufende Bauverhandlung. Im April 2008 lud erstmals das „Josefinische Erlustigungskomitee“ der Protestierenden zum Barockfest in den Augarten. Mitte 2009 errichteten die Aktivisten ein erstes Protestlager am Areal, um Probebohrungen in der Bauvorbereitung zu verhindern. Prominente Baumpaten gesellten sich hinzu, darunter Schriftsteller Robert Menasse und Regisseurin Barbara Albert. Am 8. Juli wurde das Grundstück durch die Polizei geräumt.

Am 8. März 2010 war es dann soweit: Es wurde mit der Errichtung der Baustelle und der Rodung der Bäume begonnen. Die Gegner besetzen einmal mehr das Areal und kletterten auf die Bäume. Ein Teil der Aktivisten wurde von der Polizei entfernt, die Baumbesetzer durften bleiben. Sie wurden tags darauf von der Exekutive verwiesen. Im September 2012 wurde schließlich bekannt gegeben, dass der Konzertsaal am 9. Dezember eröffnet.

Schon kurz nach den ersten Protesten 2007 gegen das Bauprojekt auf dem denkmalgeschützten Ensemble stieß Doris Kittler zu den Aktivisten. Mit wackeliger Handkamera filmte sie nicht nur die Aktivitäten der Bewegung von Besetzer-Picknick mit Musik bis Demonstration, sondern auch die Hintergründe des Protests. So liegt etwa ein starker Fokus der Doku auf Initiatorin Raja Schwahn-Reichmann, die unter anderem für die barocke Malerei des Augartenspitzes verantwortlich zeichnete. Ergänzt wird der Dokumentarfilm durch Interviews mit Kernfiguren der Besetzung und Unterstützern. Die Gegenseite – von Anfang an klar als solche definiert – in Gestalt von Politik und Sängerknaben-Präsident kommt dagegen nur selten zu Wort und niemals direkt.

Ein Großteil des eineinhalbstündigen Films zeigt jedoch das „Josephinische Erlustigungskomitee“ bei all seinen meist feucht-fröhlichen Aktivitäten – Widerstandshühner, Sängerknabenvertreibungsenten und südburgenländischer Bio-Apfelschnaps inklusive.


Zeitdokument. „Dieses Langzeitprojekt ist ein Zeitdokument, das von Menschen auf der ganzen Welt diskutiert werden und als Anregung für kreative Formen des Widerstandes verstanden werden soll“, sagt Kittler. „Die Idee zum Film entstand einerseits aus meinem Interesse an gesellschaftspolitischen Prozessen in meiner Umgebung, andererseits an einer außergewöhnlichen Figur des Wiener Lebens, Raja Schwahn-Reichmann.“ Schon vor diesem Protest habe sie sich für Formen kreativen Widerstands interessiert – „müde von den immer gleich gestalteten Demos, deren meist harte und negativ formulierte Ästhetik mir in ihrer Strategie falsch erschien“, so Kittler.

„Das ist kein Film für Untertanen. Andererseits: Für Untertanen gibt es Filme genug“, ergänzt Robert Menasse und untermauert die zentrale Botschaft des Films – den zivilen Ungehorsam. Auch, wenn nach drei Jahren Protest dem Erlustigungskomitee nur noch bleibt, die gefällten Bäume vor der Augartenmauer zu Grabe zu tragen und sich – wie eine der Aktivistinnen ernüchtert meint – im Leben neu zu orientieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

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