Wiens importierte Konflikte

WIEN: POLIZEI-GROSSEINSATZ NACH ABGEBROCHENEM EM-QUALIFIKATIONSSPIEL
WIEN: POLIZEI-GROSSEINSATZ NACH ABGEBROCHENEM EM-QUALIFIKATIONSSPIELAPA/HELENA MANHARTSBERGER
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Eine spontane Auseinandersetzung zwischen Serben und Albanern in Ottakring hat viele überrascht. Tatsächlich schwelen hierzulande unter der Oberfläche einige Stellvertreterkonflikte, die ihren Ursprung im Ausland haben.

Wien. Es war Dienstagabend um 21.30 Uhr. 50 Albaner standen vor einem serbischen Café und bewarfen es mit Flaschen und Bengalfackeln. Nur drei Minuten vorher hatte während des Fußball-EM-Qualifikationsspiels zwischen Serbien und Albanien in Belgrad ein Provokateur die Flagge Groß-Albaniens an einer Drohne befestigt und durchs Stadion fliegen lassen. Es kam zu Ausschreitungen. Das live in den Lokalen entlang der Ottakringer Straße übertragene Spiel wurde abgebrochen. Kurze Zeit später standen den Albanern in Wien 200 Serben gegenüber. Nur ein Großaufgebot der Polizei – Sondereinheit Wega inklusive – konnte eine Straßenschlacht verhindern.

Das schnelle Hochkochen des Konflikts hat in Wien viele überrascht. Tatsächlich sind unter der überwiegend friedlichen Oberfläche in Österreich gleich mehrere Stellvertreterkonflikte latent vorhanden, die Zuwanderer und ihre Angehörigen in ihre neue Heimat trugen.

• Die Balkanländer: Die Kriege rund um den Zerfall von Ex-Jugoslawien reichten nicht nur bis an Österreichs Grenze. Schon während der Konflikte reisten damals hier lebende Gastarbeiter am Wochenende nach Serbien, um zu kämpfen – und standen Montagmorgen wieder auf einer Wiener Baustelle. Man nannte sie Wochenend-Tschetniks.

Teilnehmer und Opfer der Kriege leben heute in großer Zahl in Österreich. Die meisten friedlich, manchmal nicht nur neben-, sondern auch miteinander. Manche Serben, Albaner, muslimische Bosniaken oder Kroaten wollen die Geschichte jedoch nicht vergessen.

Oft reichen einfache Provokationen wie nun in Belgrad, und die Lage eskaliert. „Das hat nicht nur ethnische Gründe“, glaubt Völkerrechtsexpertin Karin Kneissl. Sie sieht in diesem Milieu auch „gelangweilte, frustrierte und vom Testosteron gesteuerte junge Männer, die einen eigenen Bezug zu Gewalt und Ehre haben“, sprich, ein soziales Problem.

• Türkei, Kurden und die DHKP-C: Die militärisch wieder aufgeflammte Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der PKK birgt in Österreich Konfliktpotenzial. 40.000 Kurden gibt es hier, und über 270.000 Türkischstämmige. Im vergangenen Sommer protestierten in Wien in der Reihe der Gegner des damaligen Präsidentschaftskandidaten und heutigen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, auch Sympathisanten der PKK. Es kam zu kleineren Tumulten. Insgesamt schätzt der Verfassungsschutz die Zahl der PKK-Anhänger in Österreich auf etwa 4000. Die Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung hierzulande gilt als eher gering. Allerdings ist Österreich ein wichtiger Rekrutierungs-, Finanzierungs- und Ruheraum für die PKK.

Neben dem Kurden-Konflikt strahlt auch die Auseinandersetzung der Türkei mit der leninistisch-marxistischen Volksbefreiungspartei (DHKP-C) nach Österreich aus. Die Organisation forciert in der Türkei den gewaltsamen Umsturz. 2013 machte ein Selbstmordanschlag in Ankara mit zwei Toten Schlagzeilen. Laut türkischen Behörden ist Österreich ein Ruheraum für weitere Attentäter. Die DHKP-C dementiert das. Ebenfalls 2013 nahmen österreichische Behörden zwei DHKP-C-Kader fest und lieferten sie aus.

• Tschetschenien-Konflikt: In der russischen Teilrepublik kämpft der von Wladimir Putin gestützte Präsident, Ramsan Kadyrow, gegen Kritiker und Separatisten. Auch im Ausland. Am 13.Jänner 2009 wurde der aus Tschetschenien stammende Flüchtling Umar Israilow in Wien erschossen. Im anschließenden Prozess gegen seine Mörder äußerten Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz den Verdacht, dass hinter dem Attentat Kadyrow als Attentäter stecken könnte. Bewiesen wurde das nie. Von den 25.000 in Österreich lebenden Tschetschenen kämpfen einige wieder im Ausland in Stellvertreterkriegen gegen Putin: Zum einen in Syrien gegen das von Moskau gestützte Regime von Bashar al-Assad, zum anderen in der Ostukraine gegen prorussische Rebellen.

• Nahost-Konflikt: Die Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern war zuletzt in Österreich vor allem in Form von antiisraelischen, teilweise auch antisemitischen Kundgebungen sichtbar. Während der letzten Gaza-Offensive im vergangenen Sommer tat sich diesbezüglich insbesondere die türkische UETD hervor, die Präsident Erdoğan für die Wahlen unterstützte.

• Sikhs in Österreich: Knapp 3000 Sikhs leben in Österreich. Innerhalb der Community gibt es mehrere religiöse Strömungen. Am 25. Mai 2009 gab es in Wien einen Anschlag auf zwei Gurus, einer von ihnen starb. Ein Jahr später folgten weitere Festnahmen. Wieder soll ein Attentat geplant gewesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2014)

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