Gastarbeiter und Flüchtlinge: Die Kurden in Wien

Richard Berger
Richard Berger(c) Stanislav Jenis
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Rund 15.000 bis 17.000 Kurden leben in Wien. Die meisten von ihnen kommen aus der Türkei und stehen der Arbeiterpartei PKK nahe.

Wien. Seit Wochen dauert die Schlacht um die syrische Stadt Kobane an der türkischen Grenze an. Kurdische Volksverteidigungseinheiten liefern sich heftige Gefechte mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die auch in anderen Gebieten Syrien und Iraks Jagd auf ihrer Meinung nach ungläubigen Kurden macht. Schlagartig sind sie in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Auch in Wien, wo es seit Jahrzehnten eine große Kurden-Community gibt.

Die meisten kamen als Gastarbeiter in den 1960er- und 1970er-Jahren, viele aber auch als politische Flüchtlinge. Darüber, wie viele Kurden genau in Wien leben, gibt es wie bei den meisten ethnischen Minderheiten keine verlässlichen Zahlen, da sie in den Statistiken immer nach Herkunfts- bzw. Geburtsland geführt werden. Laut DKVÖ (Demokratisch Kurdisches Volkszentrum Österreich, früher Feykom), dem Dachverband der kurdischen Vereine in Österreich, dürften es zwischen 15.000 und 17.000 in Wien sein, österreichweit zwischen 80.000 und 120.000.

Auch bezüglich der Religionszugehörigkeit gibt es keine konkreten Erhebungen: Die knappe Mehrheit der Wiener Kurden gehören Schätzungen der Medienservicestelle Österreich zufolge dem sunnitischen Islam und rund ein Drittel dem Alevitentum an. Der Rest setzt sich aus der Gruppe der schiitischen Feyli-Kurden aus dem Iran, einer kleinen Gruppe von vorwiegend irakischen Yeziden, einigen wenigen kurdischen Bahai und auch einigen christlichen Konvertiten zusammen.

Was die Muttersprache angeht, gibt es laut der aus dem Irak stammenden Kurdin Soma Ahmad, Mitglied der Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (LeEZA), eine große Vielfalt.

Die mit Abstand größten in Wien vertretenen Dialektgruppen sind die Kurmanci-, Sorani- und Zazasprachigen. Kurmanci sprechen beispielsweise rund 80 Prozent der türkischen Kurden. Verschwindend gering sind die Gruppen der aus dem Irak bzw. dem Iran stammenden Gorani-, Hawrami-, Lori- und Lakisprachigen.

Mehrheit aus der Türkei

Die meisten in Wien lebenden Kurden stammen laut Thomas Schmidinger, Politologe und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie, aus der Türkei, dahinter folgen in dieser Reihenfolge die deutlich kleineren Gruppen aus dem Irak, dem Iran, Syrien und der ehemaligen Sowjetunion – meist aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Die Wiener Kurden sind in einer Vielzahl an türkischen, irakischen und iranischen Vereinen organisiert, die Schmidinger zufolge zumeist politischen Parteien in ihrem Herkunftsland nahestehen. DKVÖ etwa ist der wichtigste und größte Verein für türkische Kurden und hat ein Naheverhältnis zur in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Der Schwerpunkt des Verbands liegt laut dem Sprecher Richard Berger, der 1994 als Flüchtling aus der Türkei nach Österreich kam, auf politischer Öffentlichkeitsarbeit zur Situation der Kurden in der Türkei und dem Dialog der Kulturen in Österreich. Mit insgesamt 14 Vereinen ist DKVÖ landesweit vertreten.

Die meisten politisch aktiven Kurden in Österreich sind in der SPÖ oder bei den Grünen tätig. So kandidierte etwa 2010 Senol Akkilic für die Grünen bei den Wiener Gemeinderatswahlen und zog als erster Kurde in den Gemeinderat ein.

Der irakische Kurde Aziz Miran ist seit 2001 Bezirksrat der SPÖ-Landstraße, er kandidierte auch schon bei Gemeinde- und Nationalratswahlen. 2013 wurde die irakische Kurdin Saya Ahmad-Gremel Bezirksrätin der SPÖ-Alsergrund. Ein Funktionär von DKVÖ ist durch Ali Can in der SPÖ vertreten. Er kandidierte 2010 für den Gemeinderat. Auch im Nationalrat sitzt seit 2013 eine Kurdin (für die Grünen): Aygül Berivan Aslan aus Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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