Rot-Grün: Wahlrecht wird Wahlkampfthema

SITZUNG DES WIENER GEMEINDERATES: SCHICKER
SITZUNG DES WIENER GEMEINDERATES: SCHICKER(c) APA (Georg Hochmuth)
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Das neue Wahlrecht wird nicht (wie geplant) Donnerstag, beschlossen. Dadurch gerät das heikle Thema direkt in den Wahlkampf – was für Rot-Grün unangenehm wird.

Wien. Es ist die letzte Landtagssitzung, die heuer über die politische Bühne geht. Dabei werden SPÖ und Grüne morgen, Donnerstag, (wie immer) Einigkeit im Wiener Stadtparlament demonstrieren; was beiden Parteien nicht leicht fallen dürfte. Denn die Situation in der Rathauskoalition spitzt sich zu.

Die Rede ist nicht (nur) von unabgesprochenen Ausflügen in Ressorts des Koalitionspartners (die seit Wochen ständig zunehmen), von kleinen Fouls und Missverständnissen, sondern von dem neuen Wiener Wahlrecht. Der Beschluss ist für Donnerstag angekündigt, er wird aber nicht erfolgen. Denn SPÖ und Grüne können sich nicht einigen, die Fronten sind verhärtet, heuer wird nichts mehr passieren.

Rund 43 Prozent für Absolute

„8600 Wiener, die Grün wählen, zählen im Moment so viel wie 6800Wiener, die SPÖ wählen. Wir wollen das möglichst angleichen, die SPÖ will das aber nicht“, kritisierte Grün-Klubobmann und Chefverhandler David Ellensohn im ORF-Radio. Die Kritik zielt in eine bekannte Richtung: Mit dem überdurchschnittlich mehrheitsfördernden Wahlrecht kann die SPÖ mit etwa 44 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit in Mandaten erhalten. Ellensohns Verhandlungspartner, SPÖ-Klubchef Rudolf Schicker, konterte: Eine Neuregelung sei nicht so einfach. Wenn viele kleine Parteien kandidieren, würde einer Partei aktuell 25 Prozent der Stimmen für die absolute Mandatsmehrheit genügen – man müsse sich das alles genau ansehen.

Eigentlich sollte das Wiener Wahlrecht Ende 2012 beschlossen werden. Seitdem ist ein Termin nach dem anderen geplatzt. Selbst eine Verlagerung auf die höchste Ebene (Michael Häupl und Maria Vassilakou) hat nichts gebracht, die Verhandlungen wurden wieder auf Klubebene zurückgegeben. Und scheiterten dort (wieder).

Das war zwar erwartet worden, für SPÖ und Grüne wird es jetzt aber unangenehm. Heuer passiert nichts mehr; damit gerät das heikle Thema in den Wahlkampf, der bereits anläuft. Immerhin könnte bereits im Juni 2015 gewählt werden, also vier Monate vor dem offiziellen Wahltermin. Und dass die Verhandlungen über das Wahlrecht in den Wahlkampf hineingezogen werden, wollten beide Parteien unbedingt vermeiden. Denn in Zeiten der fokussierten Unintelligenz, wie Michael Häupl Wahlkampfzeiten zu nennen pflegt, geht normalerweise nichts mehr. Nur: Damit wäre das wichtigste Projekt der rot-grünen Koalition gescheitert. Die SPÖ könnte damit leben, dass alles so bleibt, wie es ist. Die Grünen allerdings haben vor der Wien-Wahl 2010, gemeinsam mit FPÖ und ÖVP, einen Notariatsakt unterzeichnet, dessen Inhalt sinngemäß so lautet: Keine Koalition mit der SPÖ ohne ein neues, faires Wahlrecht. Kommt kein neues Wahlrecht, haben die Grünen ein großes Problem: Ein massiver Aufstand der grünen Basis würde drohen, die grüne Glaubwürdigkeit wäre ruiniert. Das wäre der SPÖ herzlich egal, doch sie hat trotzdem ein Problem. Nachdem einige Teile des jetzigen Wiener Wahlrechts (z.B. die Nachfrist für die Briefwahl) verfassungswidrig sind, muss ein neues Wahlrecht auf jeden Fall beschlossen werden.

Anders formuliert: Die SPÖ braucht einen Partner. Die Grünen sind zwar bereits etwas von ihrer ursprünglichen Linie („Jede Stimme muss gleich viel wert sein“) abgerückt, einen völligen Umfaller können sie sich aber nicht erlauben – die Grünen haben also ihre Schmerzgrenze erreicht. Für die SPÖ sind die grünen Forderungen– ein Verlust von zwei bis drei Mandaten – aber „völlig inakzeptabel“. Deshalb verwundern nicht Gerüchte, die SPÖ könnte mit den Stimmen der ÖVP das Wahlrecht reparieren – für das (inoffizielle) Versprechen einer rot-schwarzen Koalition nach der Wien-Wahl.

AUF EINEN BLICK

Das Wiener Wahlrecht ist stark mehrheitsfördernd, wovon in der Praxis nur die SPÖ profitiert. Sie kann mit etwa 44Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit in Mandaten erreichen. Vor der Wien-Wahl 2010 haben sich Grüne, FPÖ und ÖVP verpflichtet, im Fall einer Koalition ein neues Wahlrecht durchzusetzen. Nun sind die rot-grünen Verhandlungen (wieder) gescheitert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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