Karl-Marx-Hof: „Steine werden für uns sprechen“

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Als Vorzeigemodell des Roten Wien gilt der Karl-Marx-Hof. Das Geld für den sozialen Wohnbau holte man sich unter anderem von den Vermögenden.

Wien. „Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.“ Ein berühmter Satz, er wurde am 12. Oktober 1930 gesprochen und stammt vom Wiener Bürgermeister Karl Seitz, der an diesem Tag den Karl-Marx-Hof im Stadtteil Heiligenstadt eröffnet hat. Viel hat sich geändert, die SPÖ hat heute nicht mehr 60 Prozent der Wählerstimmen wie damals, aber: Die kommunale Wohnanlage spricht heute noch für ihre Begründer.

Der ein Kilometer lange Bau mit seiner schmucklos minimalistischen, aber gerade deshalb so beeindruckenden Ästhetik, mit seinen großzügig dimensionierten Grünflächen, den Loggien und Balkonen und den vom Verkehrslärm abgetrennten Höfen ist heute noch viel bewundertes Studienmaterial für menschenfreundliches historisches Wohnen. Man findet nur wenig künstlerischen Schmuck, vier Figuren stellen die Freiheit, die Aufklärung, die Fürsorge und die Körperkultur dar.



Das reicht als Hinweis, um uns zu sagen: Das hier ist mehr als eine Wohnmöglichkeit für einkommensschwache Arbeiterfamilien, hier präsentiert sich auch ein sozialutopisches Gesellschaftsmodell, eine ganzheitliche, von oben gelenkte Gegenkultur: das Rote Wien.
Die Putzfärbelung des Karl-Marx-Hof ist rot, seinen Namen trägt er nach einem Revolutionär, der einmal in Wien war, gebaut wurde er unter einer sozialdemokratischen Regierungspartei, die sich mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem arrangierte und eine pragmatische Reformpolitik betrieb. Doch das Rot verfehlte seine Wirkung nicht: Erst in der Verbindung mit dieser Farbe wurden die Bauten der Sozialdemokraten zu jenen bewunderten, aber auch gefürchteten Bollwerken, den roten Festungen, mit denen die an die Macht gelangte Partei ihr Selbstbewusstsein demonstrierte.

Wien als rote Enklave

Mit Parolen wie „Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt“ demonstrierte sie klassenkämpferischen Schwung. Wien war die einzige rote Enklave im Herzen eines schwarz regierten Österreichs. Mit den Gemeindebauten, Arbeiterheimen, Kindergärten, Schulen und Badeanstalten bauten die Sozialdemokraten nicht nur die dringend nötigen Versorgungseinrichtungen, sondern sie bauten auch ihr Selbstbewusstsein auf. Für viele Bürgerliche waren die blockartigen Gemeindebauten „Raubburgen des österreichischen Marxismus“, „blutigrote Würfelkolosse“, die die Stadt zu einer einzigen furchtbaren Festung machten.

Es hat symbolhafte Kraft, dass sich gerade rund um den Karl-Marx-Hof der blutige Konflikt zwischen den Bürgerkriegsparteien im Jahr 1934 abspielte. Aus der Raubburg wurde die gefallene Bastion.

Das Vorzeigemodell des Roten Wien, ein umfassendes politisches Projekt einer sozialen Großstadt, das die 1919 an die Macht gelangte Partei anstrebte, musste erst gebaut werden, im wahrsten Sinn des Wortes. Vor allem mussten die aus dem gründerzeitlichen Wien ererbten desolaten Wohnverhältnisse beseitigt werden. Mieterschutzgesetze gab es bereits seit dem Weltkrieg, aber fast ein Drittel der Menschen besaß keine eigene Wohnung, nur 15 Prozent der Wiener Wohnungen verfügten über eine eigene Toilette und Fließwasser.

So wurde neben Sozialpolitik und Bildungsreform der Kampf gegen die extreme Form des Wohnungselends zum Kernstück des neuen kommunalen Modells. Geboren wurde es also zunächst einmal mehr aus der Not als aus Ideologie. 1923 verkündete die Stadtregierung, in fünf Jahren 25.000 neue Wohnungen errichten zu wollen. Das ist der Beginn des sozialen Wohnbaus in Wien.

Das Ziel wurde sogar übertroffen: Es entstanden unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen bis 1934 insgesamt 64.000 Wohneinheiten mit Fließwasser und Toiletten, die Wiener Gemeindebauten, in denen ein Zehntel der Stadtbevölkerung ein Zuhause fand. Um sie herum entstanden Kindergärten, Büchereien, Ambulatorien, Wäschereien, Sportanlagen, Bühnen; in den Innenhöfen gab es Theateraufführungen und Musikveranstaltungen.

Stilistisch konnten die Gemeindebauten durchaus verschieden sein, das kam auf die Handschrift des Architekten an, legendär wurde das Konzept des Volkswohnungspalasts, es geht auf den Architekten Hubert Gessner zurück. Stets sollten fünfzig Prozent des Areals von Grünflächen bedeckt sein. Durch Licht, Luft und Reinlichkeit sollten sie sich von den Zinskasernen der Lueger-Zeit abheben.

Besitzende Klasse

Finanzstadtrat Hugo Breitner erklärte, sich das Geld zur Erfüllung der Gemeindeaufgaben von dort zu holen „wo es sich wirklich befindet“, bei den „steuerscheuenden besitzenden Klassen“. Die Vermögenden sollten bluten. Eine Mietzinssteuer wurde eingeführt, diverse Luxusabgaben, etwa auf Strom, Hauspersonal, Genussmittel. Wer sich das leisten konnte, musste wohlhabend sein. Als die Steuer immer mehr den Mittelstand traf, wurde „Steuertyrann“ Breitner bei den Bürgerlichen ein verhasster Mann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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