Geschichte

Wien als Laufstadt

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Wien hat eine lange Lauftradition – die bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht. In jüngster Zeit hat die Bundeshauptstadt als Laufpflaster dennoch einen ordentlichen Schub erlebt.

Jubelnde Massen, tausende Schaulustige, ausgelassene Stimmung, Musik und die spannende Frage, wer denn der Schnellste sein wird. Das, was sich im Rahmen des Vienna City Marathon in Wien abspielt, reicht weit mehr als ein paar Jahrzehnte zurück. Auch wenn viele die Entwicklung der heimischen Bundeshauptstadt als Sport-, besser gesagt Laufpflaster in den letzten Jahrzehnten ansiedeln, hat Wien eine viel längere Lauftradition. Eine, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht.

„Wien hatte als Residenzstadt richtige Berufsläufer. Der Habsburger Hof hat sich allein an die zwölf bis 15 Läufer gehalten“, erklärt Rudolf Müllner, der am Institut für Sportwissenschaft der Uni Wien den Arbeitsbereich Sozial- und Zeitgeschichte leitet. Diese Herrschaftsläufer, die auch viele Adelige hatten, sind nur bedingt mit den heutigen Fahrradboten vergleichbar. Denn natürlich wurden die Läufer in erster Linie als Boten engagiert. „Aber es ging auch um Prestige. Das war ein eigener Berufsstand, professionelle Läufer, die eine Geschwindigkeitsprüfung ablegen mussten. Auf einer Strecke von 18 Kilometern mussten sie vier Minuten pro Kilometer laufen“, so Müllner. Wer heute dieses Tempo läuft, zählt zu den sehr guten Läufern.

Prestigeobjekt Läufer

Weil diese historischen Läufer ein so hohes Prestige hatten, wurden auch regelrechte Laufspektakel veranstaltet, bei denen die jeweiligen Läufer in eigenen Uniformen gegeneinander antraten. Die Teilnehmerzahl kann zwar nicht mit der heutigen mithalten, bei den Besuchern hat sich das schon anders verhalten.

Ab 1822 wurde jedes Jahr zum Saisonauftakt im Wiener Prater ein solches Laufspektakel veranstaltet – genau genommen auf der Prater Hauptallee. „Der Prater ist also ein historisches Laufgelände, die Wiege des Sports in Österreich überhaupt“, so Müllner, sichtlich bewegt von der Geschichte.

1848 war dann mit den jährlichen Wiener Laufspektakeln und den Herrschaftsläufern Schluss. Der Berufsstand wurde aus gesundheitlichen Gründen verboten. Erst mit dem Vienna City Marathon und der Fitnesswelle, die spätestens ab den 1980er-Jahren von Amerika auch zu uns herüberschwappte, war dann Laufen – auch in der Stadt– wieder normal. „Wenn man in den 1970er-Jahren im Dorf laufen war, haben die Bauern gefragt, ob man spinnt. Erst seit den Achtzigern ist Laufen selbstverständlich“, erklärt Müllner.

Weltspitze Wien

Heute hat sich Wien zu einem wahren Laufeldorado entwickelt – zumindest aus der Sicht so mancher professioneller Läufer. „Es gibt keine Stadt der Welt, die bessere Voraussetzungen, Infrastruktur und Möglichkeiten für Läufer hat als Wien“, sagt dazu Tony Nagy, der vor 33 Jahren Tonys Laufshop in der Praterstraße eröffnet hat. Wien war – mit dem Prater, dem Wienerwald, Schönbrunn, dem Augarten, Oberlaa und dem Donaukanal – schon immer ideal, aber jetzt habe das eben auch die Stadt erkannt, meint Nagy, der dazu auch gleich eine schöne Anekdote parat hat. Als er vor 33 Jahren sein Geschäft gründete, wollte er auf der Prater Hauptallee Markierungen für Läufer anbringen. „Ich bin damals zum Stadtgartenamt gegangen und habe um Erlaubnis für die Markierungen gefragt. Der dortige Hofrat hat mich drei Minuten lang angeschaut und dann gesagt: ,Nur über meine Leiche.‘ Zwanzig Jahre später hat die Stadt selbst die Markierungen gemacht.“

Nagy hat in den Jahren 2000 bis 2003 einen „irrsinnigen Laufboom“ festgestellt. Damals wurden österreichweit 730.000 Paar Laufschuhe verkauft. Heute sind es rund 500.000 pro Jahr. „Wir stagnieren auf sehr hohem Niveau. Wobei ich sagen muss, dass ich noch nie so viele Laufschuhe verkauft habe wie jetzt“, so Nagy, der deshalb seine Pension unterbrochen hat und seiner Tochter im Verkauf hilft.

Auch sein Kollege Hans Blutsch, der in Mariahilf ein Geschäft führt, spricht von einem Laufboom rund um 1999. Wobei er meint: Heute laufen zwar besonders viele Menschen, allerdings weniger den Marathon, sondern vielmehr Teilstrecken wie den Halbmarathon oder den Staffellauf. „In anderen Städten wird das gar nicht angeboten, da gibt es nur den Marathon.“ Blutsch ist deshalb der Meinung, dass Wien mit Berlin oder Amsterdam (noch) nicht mithalten kann.

Er hat bei seinen Kunden beobachtet, dass Spaß und Wohlfühlen beim Laufen derzeit im Vordergrund stehen. „Quälen ist out. Weniger trainieren, mehr Event“, fasst er den Trend zusammen. Und: Laufen wird, ähnlich wie Radfahren, immer mehr in den Alltag eingebaut. Auf Auto wird also verzichtet, stattdessen nutzt man den Arbeitsweg für eine Laufrunde. Auch Blutsch hat seit vorigem Jahr einen erneuten Schub beim Thema Laufen beobachtet.

Das wiederum dürfte auch dem Wohlstand der Stadt zugute kommen. Otmar Weiß, stellvertretender Leiter des Instituts für Sport der Uni Wien, meint dazu: „Laufen hängt mit der Wohlstandsgesellschaft zusammen. Der Mensch braucht ein Mindestmaß an Spannung. Laufen bietet sich da an. Außerdem bedeutet mehr Bildung eindeutig auch mehr Sport“, so Weiß. Laufen stifte Identität und stärke das Selbstbewusstsein, weil dabei „die Eigenleistung des Menschen sofort sichtbar wird“. Es ist für Wien also nicht gerade das schlechteste Zeichen, wenn wieder mehr gelaufen wird.

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