Im Kampf gegen die Radikalisierung junger Häftlinge setzt das Justizressort auf internationale Erfahrungen: Demnach gelte es, junge Leute zu stabilisieren.
Wien. Derzeit befinden sich in Österreich 33 Personen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Terrorismusfinanzierung oder ähnlicher Delikte hinter Gittern. Die meisten davon (29) sind U-Häftlinge. Zehn sind unter 21 Jahre alt. Damit ist ein Personenkreis umrissen, der als anfällig in Sachen Jihadismus gilt.
Nun sind Gefängnisse dazu da, Insassen zu resozialisieren bzw. deren Gefährdungspotenzial zu senken. Doch wie kann man verhindern, dass genau das Gegenteil eintritt – konkret: Wie kann man Radikalisierung verhindern? In dieser Frage will sich das Justizressort nun internationale Erfahrungen zunutze machen.
Diese lauten, grob gesagt: Auf die Häftlinge zugehen (insgesamt sitzen mit Stichtag 1.April 8906 Menschen in Österreichs Gefängnissen ein, davon sind etwa 20Prozent Muslime). „Wir bieten Trainingskurse an“, erklärt Alexander Brammann vom Violence Prevention Network in Deutschland. Die „primäre Motivation“ der angesprochenen – islamistisch gefährdeten – Häftlinge sei „Erleichterung der Haft“. Nach und nach könne man sich aber dem Kern des Problems nähern, schildert Brammann am Mittwoch im Justizministerium vor Journalisten. Ihn und andere Experten hat ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter zum Symposium „Gegen Radikalisierung – Ansätze im Strafvollzug“ eingeladen.
Fatale Suche nach Orientierung
Im Fokus stehen laut dem Experten (er ist Personal Coach und Anti-Gewalt-Trainer) die „Ideologisierten, die in Haft kommen und andere mitziehen“ und die „Orientierungslosen, die Halt suchen und an solche gelangen, die andere vereinnahmen“.
Und: „Oft hören wir von den Insassen: ,Ich weiß, ich hab ein Problem, ich weiß aber nicht, wie ich das ändern kann.‘“ Hier beginne dann die „nicht konfrontative Ansprache“, die es erlaube, mit extremistischen Personen zu reden. Das Grundtraining dauere fünf Monate, auch nach der Haftentlassung bestehe die Möglichkeit, ein „Stabilisierungscoaching“ durchzuführen. Das Ganze basiert zwar auf Freiwilligkeit, doch die Abbrecherquote liege bei „unter zwei Prozent“, so Brammann.
Auch der in Deutschland lebende Diplompsychologe Ahmad Mansour von der European Foundation for Democracy (EFD) mit Sitz in Brüssel hat Erfahrung mit Projekten gegen Radikalisierung. Salafisten, Islamisten und Jihadisten seien international vernetzt. Die Prediger würden „europaweit agieren“. Daher könne auch die Bekämpfung der Radikalen nur international funktionieren.
Häftlinge hätten mitunter die Einstellung: „Ich bin nicht im Gefängnis, weil ich etwas falsch gemacht habe, sondern weil ich Muslim bin und verfolgt werde.“ Viele von ihnen seien instabil und „auf der Suche nach Identität“. Hier gelte es, Hilfe anzubieten. Brandstetters erstes Fazit: „Wir müssen mit unserer Sozialarbeit schneller sein als die Salafisten.“ (m.s.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)