Wohnung vs. Park: Wie grün ist Wien?

Umweltstadträtin Ulli Sima
Umweltstadträtin Ulli Sima(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bis 2024 müssen in Wien Wohnungen für etwa 150.000 Menschen geschaffen werden. Dabei soll der Grünflächenanteil konstant bleiben. Ob das geht, daran gibt es aber Zweifel.

Wien. Die Bundeshauptstadt wächst. Bis zum Jahr 2024 müssen Wohnungen für zusätzlich etwa 150.000 Menschen geschaffen werden. Fünf Jahre danach soll Wien dann die Zwei-Millionen-Einwohner-Grenze sprengen. Derzeit dreht sich die Diskussion nur um einen Aspekt: Wie kann die stark wachsende Stadt genügend Flächen sichern, um günstigen Wohnraum zu schaffen?

Paradox klingt in diesem Zusammenhang die Ankündigung der Stadtregierung, dass der 50-prozentige Grünanteil von Wien nicht reduziert, sondern gehalten und nach Möglichkeit sogar ausgebaut wird. Konkret prallen die Ansprüche von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und Planungsstadträtin Maria Vassilakou auf die Ansprüche von Umweltstadträtin Ulli Sima – aktuell etwa um das Vorfel der Lobau (siehe unten). Generell kämpft man um die Nutzung von derzeit frei stehenden Flächen: „Das ist auch innerhalb der Stadt eine Situation, bei der es zu Diskussionen kommt“, sagt Sima zur „Presse“. Das sei ja auch verständlich: „Beide wollen Wohnraum schaffen, was ich unterstütze.“ Aber als Umweltstadträtin müsse sie darauf achten, dass es weiterhin genügend Grünraum und Erholungsfläche für die Bevölkerung gibt, so Sima, die sogar von einer Grün-Offensive für Wien spricht.

„Einer muss verzichten“

Konkret werden laut Sima die Grünraum-Schutzgebiete massiv ausgebaut und als Natur- und Erholungsgebiet erschlossen. Damit wird dort auch ein Bauverbot verhängt (Details siehe unten). Deshalb bleibt Sima auf ihrem Standpunkt: Das Bevölkerungswachstum und der notwendige Wohnbau gingen nicht auf Kosten des Grünraums. Wien sei mit rund 51Prozent Grünraum eine grüne Stadt, und dieser Anteil werde erhalten.

Anders, nämlich kritisch sieht Lilli Lička, Leiterin des Instituts für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur in Wien, die Berechnung der Grünflächen der Stadt. Die 50Prozent seien auf die gesamte Stadtfläche gerechnet. „Aber je nach Stadtteil sind die Grünflächen ganz unterschiedlich vorhanden. Und wenn man sieht, wie wenig Kleinversorgung (Bäume, Wiesen, begrünte Innenhöfe; Anm.) es in Wien gibt, da steht die Stadt nicht gut da“, erklärt Lička. Als positives Beispiel nennt sie dagegen München oder Zürich, wo es mehr Grün im urbanen, innerstädtischen Bereich gebe.

Freilich, im Nachhinein die Stadt grüner zu machen ist schwierig. Und wird wohl auch nicht konfliktfrei laufen. „Meistens ist es der Straßenraum oder es sind Parkplätze, die geopfert werden müssen“, sagt Lička. „Einer muss verzichten, alles andere ist Augenauswischerei.“ Potenzial sieht sie noch beim Ausbau von wohnungsbezogenen grünen Freiräumen wie Höfen, Balkonen und Terrassen. Auch die Begrünung von Dächern sei sinnvoll. Wenn auch eine Frage der Kosten und Technik. Rund einen halben Meter Substrat brauchen Bäume oder Sträucher auf Dächern, und das muss besonders reichhaltig sein, weil der Wind viel Feuchtigkeit wegnimmt. „Man muss die Häuser technisch und statisch darauf vorbereiten“, sagt sie. Gerade bei Neubauten sei das aber kein Problem.

(C) DiePresse

Vertikalen Grünflächen, wie etwa grünen Fassaden, steht sie dafür eher kritisch gegenüber. „Dauerhaft ist es sinnvoller, einen Baum zu pflanzen und durch die Krone Biomasse zu generieren, als mit einem unglaublichen Aufwand grüne Fassaden zu schaffen, die dann auch noch bewässert werden müssen.“ Überhaupt seien Bäume eine gute Lösung für die Stadt, weil der Platz so knapp sei. „Die Frage ist, welchen Fokus die Gestaltung hat. Man kann auch Bäume pflanzen und einen Gastgarten darunter machen, anstatt eine Fläche in eine Parkanlage zu verwandeln.“

Die 50Prozent Grünfläche, glaubt sie, wird Wien auf Dauer nicht halten können. „Je mehr gebaut wird, desto weniger wird es“, sagt sie. Grundsätzlich müsse Wien im europäischen Vergleich bei den Grünflächen noch einiges aufholen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass genug getan wird.“

Zum Grün in drei Minuten

Eine genaue Zahl, wie viel Grünraum eine Stadt braucht, möchte die Expertin aber nicht nennen. „Entscheidend ist die Qualität des Grün- und Freiraumes. Es geht um Erreichbarkeit, darum, dass es auch größere zusammenhängende Grünräume in der Stadt gibt, die etliche Hektar haben.“ Hier meint das Umweltressort: Die Wiener brauchen heute durchschnittlich drei Minuten, bis die nächste Grünfläche erreicht ist. Bis 2025 soll diese Durchschnittszeit auf zwei Minuten sinken.

AUF EINEN BLICK

Wien wächst und benötigt dringend Flächen für den Wohnbau. Diese Entwicklung bringt Diskussionen zwischen dem Umweltressort und dem Planungs- und Wohnbauressort. Derzeit liegt der Grünanteil Wiens bei 51 Prozent. Umweltstadträtin Ulli Sima will diesen Anteil, der alle fünf Jahre von der MA22 auf Basis von Luftbildaufnahmen erhoben wird, halten bzw. ausbauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2015)

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