Der Gerichtsbeschluss zur Freilassung der beiden Verdächtigen im "Alijew-Prozess" kann auch der These, wonach der kasachische Geheimdienst hinter dem Doppelmord stehen könnte, einiges abgewinnen.
Die Staatsanwaltschaft Wien, die versucht, eine Verurteilung der beiden Angeklagten im „Alijew-Prozess“ zu erwirken, muss einen schweren Rückschlag sowie massive Kritik durch den die Verhandlung führenden Drei-Richter-Senat einstecken. Aus einem Beschluss des Senats (Vorsitz: Richter Andreas Böhm), der der „Presse“ ebenso vorliegt wie die dagegen erhobene Beschwerde der Anklage, ergibt sich, dass sich das Gericht auch die Geheimdienst-These vorstellen kann. Nach eben dieser – auch von der Verteidigung vorgebrachten – Version könnte der kasachische Geheimdienst KNB hinter der Ermordung der beiden kasachischen Banker Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov stecken.
Zuletzt war der Doppelmord in erster Linie dem kasachischen Ex-Botschafter Rachat Alijew angelastet worden. Der Ex-Diplomat war am 28. Februar erhängt in seiner Wiener U-Haft-Zelle aufgefunden worden. Bei Eröffnung des Prozess im April mussten dann die beiden „verbliebenen“ Beschuldigten – sie galten zuvor eher als Randfiguren – auf der Anklagebank Platz nehmen. Es handelt sich um den früheren kasachischen Geheimdienstchef Alnur Mussajew (61) und den einstigen Alijew-Sicherheitsberater Vadim Koshlyak (42). Beide haben, so wie einst Alijew, die Vorwürfe immer bestritten.
Wussten KNB-Agenten den Leichenfundort?
Der Richtersenat kam zu der Auffassung, dass kein dringender Tatverdacht vorliege. Und ordnete vor einigen Tagen die Freilassung der beiden Männer aus der U-Haft an. Dies wird in dem oben erwähnten Senatsbeschluss auf insgesamt elf Seiten begründet. Sehr markant ist die Passage, in der Richter Böhm auf Aussagen des Beschuldigten Mussajew eingeht. Der nun angeklagte Ex-KNB-Direktor hatte angegeben, ein Mitarbeiter oder Abgesandter eben dieses Geheimdienstes sei an ihn herangetreten und habe ihm auf einer Landkarte den Ort gezeigt, an dem die Leichen der Banker vergraben seien.
Im Gerichtsbeschluss schreibt der Richter: „Dieser Emissär der kasachischen Behörden habe ihm (Mussajew, Anm.) auf einem Plan den Ort, wo die Leichen beseitigt wurden, gezeigt und wollte ihn dazu bewegen, dies offiziell den kasachischen Behörden mitzuteilen, da der Geheimdienst sein entsprechendes Wissen nicht direkt bekannt geben könne (...).
Offenbar spricht dies nach Einschätzung des Senats für die Version, wonach kasachische Agenten mitgemischt haben könnten. So heißt es im nächsten Absatz: „Dies indiziert in nicht unerheblichem Ausmaß die Behauptung der Angeklagten, bzw. des verstorbenen Alijew, dass die beiden Bankmanager in Wahrheit vom kasachischen Geheimdienst getötet wurden und dass der ganze Entführungs- bzw. Mordfall nachträglich konstruiert wurde, um Alijew und ihm nahe stehende Personen auszuschalten.“
Ein undurchsichtiger Geschäftsmann
Auch auf ein 2013 verfasstes Mail eines (allerdings undurchsichtigen) kasachischen Geschäftsmannes weist der Senat hin. Laut diesem Geschäftsmann N. seien die Manager auf KNB-Weisung getötet worden. Dass N. dies erst widerrufen habe, als er in der Hand der kasachischen Behörden gewesen sei, werde von der Staatsanwaltschaft „völlig ignoriert“. Die Anklagebehörde würde „alle Beweismittel aus Kasachstan ungeprüft“ übernehmen.
Eine harte Kritik, bedenkt man die Annahme des Richtersenats, dass „von den kasachischen Stellen Beweismittel manipuliert werden“. Als Beispiele führt das Gericht „nachträglich hergestellte“ Telefondaten-Listen und „unrichtige Zeugenprotokolle“ an. Insgesamt kann daher der Beschluss als deutliches Misstrauensvotum gewertet werden, das das Wiener Strafgericht der Staatsanwaltschaft Wien ausstellt.
Letztere wehrt sich – eben per Beschwerde – gegen den Beschluss. Und verlangt, dass die beiden Angeklagten neuerlich in U-Haft genommen werden. Das letzte Wort hat das Oberlandesgericht Wien. In der Beschwerde, verfasst von Staatsanwältin Bettina Wallner, schießt die Behörde scharf zurück: Das Gericht habe sich etwa mit den Angaben von N. zu wenig auseinander gesetzt. Und es „verkenne“, dass die Anklage und das Bundeskriminalamt mehr als hundert Vernehmungen eigenständig geführt haben.
Gegenangriff auf den Richter
Was die laut Erstgericht mutmaßlich gefälschten Telefon-Daten (Rufdaten) anlangt, so wird in der Beschwerde der Anklagebehörde auch der vorsitzende Richter attackiert: "Der Vorsitzende (Richter Böhm, Anm.) des Erstgerichts machte bereits in der Hauptverhandlung am 15. April 2015 (...) sehr und in einer ihm als Vorsitzenden eines Schwurgerichtshofs, bei dem nur die Geschworenen über die Frage der Schuld zu entscheiden habe, aus Sicht der Staatsanwaltschaft Wien nicht zustehenden Art deutlich, dass den aus Kasachstan übermittelten Rufdaten kein Glauben geschenkt werden könnte, weil diese erst zu spät vorgelegt worden wären."
Abseits von diesem nun offen ausgetragenen Zwist zwischen Gericht und Anklage hält etwa einer der früheren Alijew-Anwälte, nämlich Klaus Ainedter, den Gerichtsbeschluss für absolut gerechtfertigt: "Der Beschluss ist das Manifest unserer gebetsmühlenartig vorgebrachten Argumentation."