Obdachlose in Wien: Immer mehr Deutsche

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Wien gibt es derzeit hunderte akut Obdachlose. Mehr als zwei Drittel kommen aus EU-Ländern, die größte Gruppe von ihnen sind Deutsche, die gehofft haben, hier Arbeit zu finden.

Wien. Klaus Weidenbach ist ein gepflegter Mann. Er trägt ein Hemd, polierte Schuhe und eine gefälschte goldene Uhr. Immerhin war er sein Leben lang Geschäftsmann, er weiß, dass der erste Eindruck keine zweite Chance hat. Trotzdem findet der 54-Jährige keinen Job. Er ist gebürtiger Deutscher und obdachlos in Wien. Dieses Schicksal teilt er mit immer mehr seiner Landsleute.

In Wien gibt es derzeit laut Caritas einige hundert akut Obdachlose. Mehr als zwei Drittel sind EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, weil sie hier noch nicht – lang genug – gearbeitet haben (sogenannte Nichtanspruchsberechtigte). Neben dem Klischee, dass es sich hauptsächlich um Menschen aus armen Ländern wie Bulgarien, Rumänien und der Slowakei handelt, sind es aber in den letzten Jahren vermehrt Bürger aus westlichen Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien – oder eben auch Deutschland, das die größte Gruppe stellt. Mit der seit Jahren anhaltenden Wirtschaftskrise ist es zu einem Armutsgefälle und damit zu einer verstärkten EU-Binnenwanderung gekommen. Vor allem Deutsche versuchen aufgrund derselben Landessprache ihr Glück in Österreich – aber bei wachsender Arbeitslosigkeit ist es auch für sie schwierig, einen Job zu finden, viele arbeiten prekär. Wenn sie diese Beschäftigung dann auch noch verlieren, fängt das Sozialsystem sie als Nicht-Österreicher nicht auf– und sie stehen auf der Straße.

So war es auch bei Herrn Weidenbach, der bis 2010 eine Firma hatte, die Solardächer errichtete. Als das nicht mehr rentabel war, gab er die Selbstständigkeit auf, suchte Job und wurde in Österreich als Saisonarbeiter fündig. 2013 wurde er schwer krank und stand ohne Arbeit und Geld da. „Es ging alles so schnell, und plötzlich schlief ich mit über 50 Jahren in einer kleinen Glashütte auf Bahnsteig sieben am Westbahnhof“, erzählt er. Das muss er derzeit Gott sei Dank nicht mehr. Er hat einen fixen Schlafplatz in der Gruft zwei in der Lacknergasse 98 in Währing ergattert. Die Einrichtung der Caritas ist neben dem Vinzi-Bett die einzige Obdachlosenstelle, die Nichtanspruchsberechtigten Schlafplätze zur Verfügung stellt. Die 40 Betten sind rein spendenfinanziert. Dazu gibt es in dem Haus 25 Kurzzeitwohnplätze. Diese werden an Menschen wie Herrn Weidenbach vergeben, die schwer krank sind und sich hier etwa nach einer Operation – die die Krankenhäuser meist auf eigene Kosten machen – erholen können.

Job ja, Wohnung nein

„Wir treffen die schwierige Entscheidung, an wen wir die Plätze vergeben im Team. Sie gehen an jene Menschen, die auf der Straße nicht überleben würden“, sagt Sozialarbeiterin Eva Leicmanova. Der Bedarf sei groß, jeden Tag kämen mehrere Anrufe von Spitälern, die nicht wissen, was sie mit den Nichtversicherten tun sollen. Und auch die Notschlafstelle ist jede Nacht bis auf den letzten Platz gefüllt. Bis Ende April durften Nichtanspruchsberechtigte in den Winternotquartieren der Stadt schlafen. Die von November bis Mai eingerichteten 500 Plätze waren stets gefüllt. Viele stehen nun wieder auf der Straße, auch wenn die Hoffnung der Stadt groß war, dass viele in die Heimatländer zurückkehren werden. Es gab in den Quartieren im Winter intensive Rückkehrberatung.

„Wir haben viele Klienten, die teilweise schon seit 20 Jahren in Österreich sind“, sagt Leicmanova. Die meisten arbeiteten prekär am Bau. „Diese gehen nicht zurück. Es ist ein Fakt, dass sie da sind, das muss man akzeptieren.“ Nach Deutschland zurückzugehen ist auch für Herrn Weidenbach keine Option. „Was soll ich in Dortmund? Ich finde dort keinen Anschluss mehr“, sagt er. Die Scham sei groß. Dazu sei es dort auch schwierig zu überleben, denn der Hartz-IV-Regelsatz beträgt derzeit 399Euro pro Monat. „Davon kann ich mir doch auch keine Wohnung und keine Kaution leisten.“ Er hofft noch immer, hier einen Job zu finden, und schreibt fleißig Bewerbungen.

Ein Job bedeutet aber nicht automatisch das Ende der Obdachlosigkeit. Etliche Klienten, vor allem junge Menschen aus Ländern wie Spanien, Italien und Frankreich, hätten sogar einen Job. Sie arbeiten als Türsteher oder schwarz in der Gastronomie. Dass sie obdachlos sind, ist ihnen auf den ersten Blick genauso wenig anzumerken wie Herrn Weidenbach. Für Essen und Kleidung reiche das Geld, für eine Wohnung nicht, sagt Leicmanova. „Es ist schon für einen normalen Menschen, der alle Voraussetzungen erfüllt, schwer, eine leistbare Wohnung zu finden. Für Nicht-Österreicher in prekären Arbeitsverhältnissen praktisch unmöglich.“

OBDACHLOSIGKEIT

Kein Platz. In Wien gibt es derzeit hunderte akut Obdachlose. Rund zwei Drittel davon haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen, weil sie aus EU-Ländern oder Drittstaaten kommen – und noch nicht (lang genug) hier gearbeitet haben. Bis Ende April konnten sie in den Winterquartieren der Stadt schlafen. Die 500 Plätze waren bis auf den letzten Tag gefüllt. Auf der Straße zu schlafen ist in Wien aufgrund der Campierordnung untersagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2015)

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