Ottakring: Dreckig und wild?

Die Brauerei mit ihrem Darreturm als Landmark Ottakrings. Weithin zu sehen – und je nach Wind und Luftdruck auch gut zu riechen.
Die Brauerei mit ihrem Darreturm als Landmark Ottakrings. Weithin zu sehen – und je nach Wind und Luftdruck auch gut zu riechen. Clemens Fabry / Die Presse
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Zwischen Brunnenmarkt und Wilhelminenberg - ein Bezirk der Gegensätze. Ottakring als Paradebezirk für ein Miteinander? Vom Mix, der den Bezirk ausmacht.

Wien. Quert man den Gürtel, betritt man eine andere Welt. Jenseits, in der Thaliastraße oder der Ottakringer Straße, den Hauptadern des Sechzehnten, ist die Dichte der Menschen eine andere als im Siebten oder Achten. Auch das Straßenbild. Einkaufstrolleys, Jogginghosen, Kinder, Spuckeflecken auf den Gehsteigen. Das Treiben auf dem Brunnenmarkt, Leben auf den Straßen bis spät in die Nacht. Denkt man in Wien an Ottakring, steht das für die gürtelnahen, migrantisch geprägten Viertel, für Brunnenmarkt und Yppenplatz. Für Gentrifizierung, einmal buntes Miteinander, dann wildes Durcheinander.

Wilder, freier, dreckiger?

Der zentrale Ort des Bezirks, jener, der Entwicklung und Ist-Zustand am besten zeige, das ist auch für Franz Prokop das Brunnenviertel. Prokop ist seit gut zehn Jahren SPÖ-Bezirksvorsteher – damit fällt die Aufwertung des Viertels großteils in seine Amtszeit. Und es ist jenes Projekt, über das man hier am liebsten redet. „Man darf nicht vergessen, in den 1990ern war die Stimmung hier nicht einmal mieselsüchtig, die Leute sind aus Ottakring weggezogen“, erinnert sich Hans Staud, legendärer Marmeladenunternehmer, „Ureinwohner“ des Grätzels und einer der Protagonisten beim Aufleben. Heute ist der Brunnenmarkt der meistfrequentierte Markt Wiens, auf dem Yppenplatz öffnet nach wie vor Lokal um Lokal: Erst jüngst wurden das Ottakringer-Braulokal Yppenplatz 4 und die neu gestaltete Fußgängerzone eröffnet. Ringsum wurden Gebäude renoviert, nach wie vor werden Dachgeschoße ausgebaut, Immobilienpreise sind erheblich gestiegen, Geschäfte entstanden, genauso Kulturinitiativen von der Brunnenpassage bis zu den Galerien der Grundsteingasse.

Die Erfolgsgeschichte suche ihresgleichen – und sie strahle in den ganzen Bezirk aus, sagt Prokop und zeigt eine Liste an Projekten, abgeschossen und geplant: von der neu gestalteten Ottakringer oder Koppstraße bis zu Grünflächen an der Wattgasse, Garagen, Gärten, Radwegen, von Wohnanlagen bis zu Nachbarschaftsinitiativen. Aber die Aufwertung blieb nicht ohne Kritik.

„OTK bleibt dreckig und unser. Bobos raus“, steht da an einer Fassade. Architekt Kurt Smetana, Gebietsbetreuungsleiter, sieht das Zusammenleben in Ottakring positiv. „Es gibt parallele Gesellschaften, aber keine Segregation“, sagt er. So schaue man auf den sozialen Mix: dass etwa nach der Sanierung eines Hauses dort weiter unterschiedliche Bevölkerungsgruppen leben.

Ghetto als „Anfang vom Ende“

Ottakring als Paradebezirk für ein Miteinander? Ein Mix aus Galerien, Balkandiskos, Biolokalen, Vierteln, in denen junge Besserverdiener in Dachgeschoßen und Familien in Substandardhäusern zusammenleben? Der Schein trügt, im Alltag kreuzen sich die Wege, aber man bleibt unter sich. „Aber der Mix ist da, das ist auch, was eine Stadt ausmacht“, so Smetana. Hans Staud spricht von Begegnungen, die täglich stattfinden. „Ein Ghetto wäre der Anfang vom Ende.“

Aber, Ottakring ist mehr als das Viertel, von dem alle so gern reden. Dessen Treiben endet bald, dann beginnen unscheinbare Wohnviertel, Geschäftsstraßen mit leeren, verklebten Schaufenstern, triste Straßenzüge, in denen alte Geschäfte noch einem Imbiss oder Wettbüro Platz machen. Leben in Ottakring, da kommt man nicht an Männergruppen vorbei, die Nächte auf den Straßen verbringen und keine Frau vorbeigehen lassen, ohne sie mit Schmatzgeräuschen und Blicken zu begleiten.

Es sind Klischees und tägliche Realitäten von einem Mix, den man so in keinem anderen Bezirk der Stadt findet: Nach einer kurzen Fahrt vom Yppenplatz stadtauswärts erinnert die Brauerei an die Geschichte Ottakrings als Industriebezirk – und verleiht Teilen davon nach wie vor ihren markanten Duft. Als Veranstaltungslocation oder mit den Braukulturwochen im Sommer wird die Brauerei nun zunehmend wieder zum sozialen Treffpunkt.

Wenige hundert Meter weiter stadtauswärts sitzt man dann unter den Kastanienbäumen von Traditionsheurigen oder kommt durch die ruhigen Wohnviertel, bis zum Cottageviertel, zu den Villen am Wilhelminenberg. Ottakring, das ist auch der Blick über Wien, das sind Weingärten, Wienerwald und Jubiläumswarte. Orte, die das gürtelnahe Treiben konterkarieren, den Mythos vom jungen, wilden, dreckigen Bezirk vergessen lassen. (cim)

Serie: Wiens Bezirke

Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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