Şenol Akkılıç: „Wir grüßen uns“

Şenol Akkılıç
Şenol Akkılıç(c) Stanislav Jenis
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Der frühere grüne Integrationssprecher will sich bei der SPÖ dem Thema Flüchtlinge widmen. Kunst- und Kulturinstitutionen sollten sich für Flüchtlinge öffnen.

Die Presse: Was machen Sie gerade?

Şenol Akkılıç: Die großen Themen sind neben laufenden Projekten wie der Wiener Charta die Deradikalisierung. Natürlich wird das Flüchtlingsthema in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.

Sie haben bei den Grünen Barrierefreiheit für Flüchtlinge gefordert. Was heißt das?

Es war nach dem Arabischen Frühling klar, dass eine große Welle nach Europa kommen würde; und es ist klar, dass aufgrund der vielen Krisenregionen auf der Welt noch viel mehr kommen werden. Das Flüchtlingssystem der EU hat versagt. Grenzen dichtmachen ist nicht die Lösung, auch Zeltstädte nicht. Wir haben unsere Kapazitäten noch lang nicht erreicht, dass so etwas sein müsste.

Sie sagen, Österreich habe mehr Kapazitäten. Wie viele Flüchtlinge sollen wir aufnehmen?

Ich kann es nicht in Zahlen beziffern, aber: Wenn die kurdische und Regionalregierung im Irak 1,5 Millionen aufnehmen kann, können wir mehr, weil wir eine viel größere Wirtschaftskraft haben, da ist noch viel drinnen. Wir haben in der Ungarn- und Bosnien-Krise auch viel mehr aufgenommen.

Sie sagen, man müsse Migration akzeptieren. Wie bringt man Menschen dazu?

Migration passiert permanent. Darauf müssen wir die Bevölkerung vorbereiten, Kontakte zwischen alten und neuen Wienern herstellen. Dazu müssen wir die Potenziale nutzen, die diese Menschen mitbringen. Ich will, dass der Arbeitsmarkt für Asylwerber geöffnet wird. Langfristige Politik muss dafür sorgen, dass Massenquartiere kein Fremdsein erzeugen.

Sie sagen, Potenziale bleiben ungenutzt. Wien könnte mit gutem Beispiel vorangehen und sich dafür öffnen.

Im Bereich der Asylberechtigten passiert viel, wir forcieren die Anerkennung von mitgebrachten Qualifikationen. Weiter ist mein Ansinnen, dass wir unsere Institutionen aufmachen. Warum sollen sich Flüchtlinge nicht im Kunst- und Kulturbereich einbringen können? Wir würden zeigen: Schaut, die Leute bringen die Welt zu uns.

Sie haben vor einiger Zeit die Zustände in der MA 35 (Fremdenbehörde) angeprangert. Wie sehen Sie das heute?

Die MA 35 war zu Beginn meiner Arbeit ein Schwerpunkt, weil die Verfahren Jahre dauerten. Wir haben ein Backoffice eingerichtet, da haben wir alte und neue Fälle sortiert. Wir haben Stellen nachbesetzt und eine Anlaufstelle für EU-Bürger geschaffen, die eine andere rechtliche Situation als die Drittstaatsbürger haben. Trotzdem ist das alles nicht befriedigend, es kommen ständig neue Gesetze, für die wir Mitarbeiter schulen müssen, das ist eine massive Belastung. Wir haben einen Integrationsminister, der für diese Fragen kein Ohr hat! Ich erwarte mir mutigere Schritte.

Welche?

Im Bereich der Diskriminierung, der Gleichstellung und Chancengleichheit – und auch im Bereich mehr Mittel. Die Integrationspolitik verkommt auf zwei Ebenen: Erstens haben wir das föderalistische Problem, das dazu führt, dass keine einheitlichen integrationspolitischen Strategien entwickelt werden, zweitens gibt es keine akkordierte Politik dazu. Eine Zuteilung von Quoten ist sicher keine Lösung. Wir brauchen Begleitmaßnahmen im gesellschaftspolitischen und Bildungsbereich.

Wien hat doch genug Schulen und könnte selbst etwas tun.

Ja natürlich, das macht die Stadt ja auch: Im Bereich Sprachförderung, Menschenrechte, Antirassismus etc. Aber wir brauchen mehr, und da ist wieder der Bund gefordert.

Wollen Sie SPÖ-Integrationssprecher werden?

Ich will mich nicht auf eine Sprecherrolle versteifen, aber das Thema ist mir wichtig.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu den Grünen beschreiben?

Wir grüßen uns.

Wechsel mit Folgen.

Senol Akkılıç wurde einer breiteren Öffentlichkeit heuer durch seinen Abgang von den Grünen bekannt. Der bisherige grüne Integrationssprecher wechselte an einem besonderen Datum zur SPÖ: kurz bevor die Grünen die Änderung der Geschäftsordnung im Wiener Landtag durchsetzen wollten. Diese wiederum wäre die Voraussetzung gewesen, dass die Grünen mit den Stimmen der Opposition ein neues Wahlrecht hätten beschließen können, das die SPÖ mehrere Mandate gekostet hätte. Durch den Wechsel von Akkılıç scheiterte das Vorhaben. Die Grünen werfen der SPÖ vor, Akkılıç „gekauft“ zu haben, die SPÖ sagt, er habe selbst angeklopft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. Mai 2015)

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