Flüchtlinge: Von Traiskirchen ins Hotel Hilton

(c) Christian Jobst
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Im Wiener Haus Sidra finden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eine Art Zuhause auf Zeit. Sie erzählen von großen Plänen − einer Karriere als Arzt, einer Lehre im Hotel Hilton – und gehen doch in eine unsichere Zukunft.

Wien. Ali Akbar heißt „der Große“. Und wenn der junge Afghane von seinen Plänen erzählt, dann passt das: Chirurg am AKH will er werden, lernen, damit die Noten für das Medizinstudium reichen. Ein Vierer in Deutsch, ansonsten stehen nur Einser und Zweier im Zeugnis der fünften Klasse Gymnasium, das er in seinem Zimmer herzeigt. Es ist karg eingerichtet, an der Wand hängen eine Österreichfahne, ein rot-weiß-roter Fanschal, das gerahmte Zertifikat des Deutschkurses.

Dabei hatte der 17-Jährige denkbar schlechte Startbedingungen, als er in Afghanistan als Hazara, als Teil einer schiitischen Minderheit, geboren wurde. „In Afghanistan ist es schlimm für Hazara. Es gibt Anschläge auf sie, sie werden auf der Straße erschossen. Hazara sind die einzigen, die gern zur Schule gehen, für die Taliban ist das ein Alptraum“, sagt Ali Akbar. Heute ist er so etwas wie der Vorzeigeflüchtling. Vor knapp zwei Jahren, nach einer Flucht, über die er nicht reden will, nach Österreich gekommen, spricht er fließend Deutsch, strahlt, wenn er von seinen Plänen spricht. Wie Simon, ein freundlicher Bursche aus Bangladesch, der von seiner Lehrstelle berichtet, die er im September im Hotel Hilton antreten wird.

Es sind Geschichten erfolgreich beginnender Integration, die die Jugendlichen anlässlich eines Besuchs von Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) im Haus Sidra erzählen. Sie hört sich die Sorgen der Jugendlichen an – von langen Asylverfahren und der schwierigen Lehrplatzsuche bis zu fehlenden Fußballdressen –, verteilt Bälle und Frisbees und kickt mit den Burschen.

Im Haus Sidra im 12. Bezirk, zwischen Meidlinger Friedhof und den Bahngleisen, leben 30 Jugendliche. Sidra, das heißt Familie. So eine Art Ersatzfamilie soll das Haus des Samariterbundes für die 14- bis 18-Jährigen sein, sind diese doch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – UMF, wie das im Amtsdeutsch heißt. Sie sind aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Somalia, Indien oder Bangladesch gekommen. Zehn der 30 haben einen positiven Asylbescheid – für den Rest heißt es warten. Oft dauere es bis zu eineinhalb Jahre, bis die Einvernahme stattfindet, erzählen sie. Eine zermürbende Zeit, sagt Anita Monika Jarmann-Foidl, die Leiterin des Hauses. Haben die Jugendlichen doch oft Monate der Flucht hinter sich. Ephrahim zum Beispiel. Er war 14, als er in Eritrea von Soldaten verschleppt wurde. Auch sein Vater war verhaftet worden, musste nach drei Jahren im Gefängnis als Soldat kämpfen. Ephrahim kam frei. Weil er, wie er sagt, nicht in den Krieg wollte, floh er. Äthiopien, Sudan, ein Monat in Libyen, tagelange Märsche durch die Wüste, fünf Tagen auf dem Boot – schließlich kam er nach Lampedusa, Endstation der Flucht war Traiskirchen.

Jugendgerechte Plätze sind rar

Alle 30 Burschen tragen Geschichten wie diese mit sich herum – und die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden immer jünger, wie Jarmann-Foidl sagt. Mehr als 1000 waren zuletzt allein in Traiskirchen untergebracht.
Plätze wie die im Haus Sidra sind rar. NGO kritisieren einen dramatischen Mangel an altersgerechten Betreuungsplätzen für Jugendliche. Diejenigen, für die es einen solchen gibt, kommen nach einigen Wochen bis Monaten in Erstaufnahmezentren ins Haus Sidra. Dort gehe es darum, die Jugendlichen zu stabilisieren, medizinisch zu versorgen, therapeutisch zu begleiten, sagt Jarmann-Foidl. Viele leiden an psychosomatischen Krankheiten, Depressionen, posttraumatischen Störungen. Erst geht es darum, einen strukturierten Tagesablauf zu finden, Deutschkurse, eine Schule zu organisieren, oder um Freizeitaktivitäten – vom Fußballspielen über gemeinsames Gärtnern bis zu regelmäßigen Besuchen im Geriatriezentrum Wienerwald, mit dem Sidra zusammenarbeitet, wodurch quasi Patenschaften zwischen Flüchtlingen und den alten Bewohnern entstanden sind.

Und schließlich geht es darum, für die Zukunft vorzusorgen. „Ab dem Zeitpunkt, wenn sie 18 sind, ist keine Nachbetreuung vorgesehen, das ist ein riesiges Problem“, sagt Jarmann-Foidl. Auf eigenen Beinen zu stehen, sei für viele, die keine Lehrstelle haben, schwierig. Und Lehrstellen für Flüchtlinge sind äußerst rar. Und so sehen die Jugendlichen trotz der Erfolgsgeschichten, wie der von Ali Akbar, dem Gymnasiasten, oder der von Simon, dem Hotellehrling, einer unsicheren Zukunft entgegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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