Bezirkschefin verlässt die ÖVP, wird blaue Spitzenkandidatin im ersten Bezirk und erhält eine Absicherung der FPÖ.
Wien. „Jetzt ist das Outing gekommen, auf das ich mich lange Zeit vorbereitet habe.“ Mit diesen Worten hat Ursula Stenzel, die prominenteste und streitbarste Bezirksvorsteherin Österreichs, am Dienstag bekanntgegeben: Sie ist aus der ÖVP ausgetreten und wird bei der Wien-Wahl am 11.Oktober für die FPÖ als „unabhängige“ Spitzenkandidatin im ersten Bezirk antreten. Für den Fall, dass sie nicht Platz eins schafft, wird sie auf einem fixen FPÖ-Mandat in den Gemeinderat einziehen. Die 70-Jährige, die von der ÖVP als Spitzenkandidatin des ersten Bezirks abmontiert worden ist, revanchiert sich damit bei ihrer Partei und besitzt nun eine realistische Chance, ihren Job am 11.Oktober um weitere fünf Jahre zu verlängern. Denn mit einer eigenen Liste wäre sie laut ÖVP-interner Umfrage chancenlos auf Platz vier gelandet. Sie hätte aber der ÖVP den Bezirkschef gekostet, der an die Grünen gegangen wäre. Nun ist es unklar, wie die bürgerlichen Wähler auf eine blaue Ursula Stenzel reagieren. Dem Vernehmen nach rechnet die ÖVP nun mit weniger Verlusten – in der Praxis dürfte es zu einem Vierkampf kommen.
„Wie Kreisky, Schüssel und Niessl“
Nein, die Entscheidung für den Parteiwechsel sei kein persönliches Ressentiment, weil sie von der ÖVP nicht mehr nominiert wurde, so Stenzel: „Ich bin nicht machtgeil.“ Vielmehr wolle sie mit ihrer FPÖ-Kandidatur eine rot-grüne Mehrheit im ersten Bezirk verhindern und die rot-grüne Dominanz auf Landesebene brechen: „Die ÖVP kann das nicht“, erklärte die Bezirkschefin. Außerdem wolle sie „ein Signal an die Menschen dieser Stadt“ senden, „da ich die Ausgrenzung der FPÖ schon immer für demokratiepolitisch falsch gehalten habe“. Stenzel diagnostizierte dabei eine „Öffnung der FPÖ zu bürgerlich-liberalen Wählerschichten in der Tradition von Kreisky, Schüssel und Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl“.
FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache, der mit Stenzel zur Präsentation gekommen war, freute sich über den prominenten Neuzugang: „Sie ist ein wichtiges Signal über die Bezirksgrenze hinaus. Denn wir wollen auch an Breite gewinnen“, so Strache in Anspielung an Stenzels Verankerung in bürgerlich-liberalen Wählerschichten: „Wir nutzen die historische Chance für einen politischen Wechsel (auf Landesebene, Anm.).“ Außerdem würde Stenzel zeigen, wie FPÖ-Regierungspolitik aussehe: „In der Sache waren wir oft einer Meinung“, so der FPÖ-Chef.
In ihrer Diktion hatte sich Stenzel am Dienstag der FPÖ-Diktion bereits gut angepasst: „Saudiarabien hat mehr als genug Geld, die Sanktionen gegen den Iran sind zu Ende: Wo ist deren Engagement in der Flüchtlingskrise?“ Die EU dagegen zahle 70Prozent der Flüchtlingslager. Und bei dem Flüchtlingsansturm habe die FPÖ als einzige Partei Realitätssinn bewiesen, während die anderen Parteien Realitätsverweigerung betrieben hätten, so Stenzel: „Diese Entwicklung war schon seit längerer Zeit absehbar.“ Trotzdem seien die Bundesregierung und die EU damit völlig überfordert. Stenzels Forderung: Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen, die Asyl bekommen, und Wirtschaftsflüchtlingen, die zurückgeschickt werden.
ÖVP-Parteichef Manfred Juraczka zeigte sich von Stenzels Entscheidung „schockiert“, Bürgermeister Häupl meinte, Stenzel hätte sich „nichts Gutes“ getan. Die Grünen orteten dagegen die „einmalige Chance“ auf den ersten Platz im Bezirk, während die Neos „ein Vorzeichen für Schwarz-Blau in Wien“ sehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2015)