Stenzel: „Antisemitismus hat auch bei Grünen Wurzeln“

Ursula Stenzel sieht sich als
Ursula Stenzel sieht sich als "politisches Animal".(c) Die Presse/Clemens Fabry
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City-Bezirkschefin Ursula Stenzel betont im Interview mit der "Presse" ihre Affinität zu Arbeitern in Simmering, lobt "kultivierte FPÖ-Funktionäre"; und ortet eine Anti-Israel-Stimmung bei den Grünen.

Die Presse: Sie haben die ÖVP einst als „zu liberal“ bezeichnet und kandidieren nun für die FPÖ, loben die langjährige gute Gesprächsbasis zu ihr. Waren Sie 19 Jahre bei der falschen Partei?

Ursula Stenzel:
Nein, es gibt keine falsche Partei. Ich wüsste nicht, dass eine Partei bei uns verboten ist.

Es geht nicht um verbotene Parteien, sondern um Ihre politische Einstellung.

Ich habe mich immer nur der Sache, nicht einer Partei verpflichtet gefühlt. Wolfgang Schüssel hat mich geholt, unter Manfred Juraczka bin ich gegangen.

Das klingt nach Revanche für eine Enttäuschung durch die ÖVP-Spitze.

Mich leitet nicht Rache oder persönlicher Ehrgeiz. Ich bin ein politisches Animal. Nach Jahrzehnten der SPÖ-Dominanz, in denen die ÖVP an Bedeutungslosigkeit gewonnen hat, nicht an Profil, sehe ich die Zeit für einen Wechsel. Denn ich fühle mich mit meinen Grundsätzen besser im Umfeld der FPÖ aufgehoben, die ich als tolerant, sachkundig und offen kennengelernt habe.

Sie waren zehn Jahre EU-Abgeordnete, gelten als überzeugte Europäerin. Haben Sie ein Problem, dass die FPÖ einst plakatierte: „Volksvertreter statt EU-Verräter“?

Das waren Wahlplakate, da wird viel überspitzt. Ich habe den Schritt zur FPÖ gesetzt, weil ich dieses unselige Stereotyp brechen möchte. Man hat versucht, die FPÖ immer in das rechte, ausländerfeindliche Eck zu drängen, um die SPÖ und die Linksgrünen an der Macht zu halten. Wenn Rot-Grün bleibt, werden wir eine weitere Nivellierung unseres Schulsystems nach unten erleben – weil das Schulsystem nicht auf den Flüchtlingsansturm vorbereitet wurde. Die meisten Arbeitslosen gibt es in Wien. Und hier sind in erster Linie nicht gut ausgebildete Migranten betroffen. Jetzt kommen alle Flüchtlinge herein, weil wir die beste Grundversorgung haben. Ich traue der FPÖ zu, hier die besseren Antworten zu haben – auch wenn sie geprügelt wurde, dass sie die Probleme beim Namen nennt.

Die FPÖ hat im ersten Bezirk, der als weltoffen gilt, mit rund zehn Prozent ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis in ganz Wien. Fällt Ihnen der Parteiwechsel nicht auf den Kopf?

Nein. Ich stehe für ein wertkonservatives bürgerliches Angebot. Viele werden das als erlösenden Ausweg empfinden.

Sie kandidieren auf der FPÖ-Landesliste. Was verbindet Sie mit dem typischen FPÖ-Wählern, den Hacklern in Simmering und Favoriten?

Ich finde auch zu einem Hackler in Simmering einen Draht und viel Verständnis. Denn ich bin eine Wanderin durch die Welt. Und ich bin in einem christlich-jüdischen Elternhaus aufgewachsen. Das sollte mich vor Vorurteilen schützen, dass ich nach rechts abdrifte. Denn für mich ist heute die Auschwitzlüge noch immer das größte Verbrechen, Antisemitismus und Wiederbetätigung unverzeihliche Verbrechen.

Falls Sie in den Gemeinderat einziehen, werden Sie auch von einem FPÖ-Mitarbeiter betreut, der über Facebook Lieder der Waffen-SS gepostet hat und wegen Wiederbetätigung vor Gericht gestanden ist.

Ich bin mit diesem Menschen nicht in Berührung gekommen. Ich werde es auch nicht. Ich habe andere Menschen in der FPÖ kennengelernt – kultiviert, offen und tolerant.

„Asylwerber sind Höhlenmenschen“, hat der niederösterreichische FPÖ-Chef Christian Höbart öffentlich erklärt. Ist das tolerant, offen und kultiviert?

Sie werden in jeder Partei gänzlich abzulehnende Aussagen finden.

Beispielsweise von den Grünen ist keine einzige derartige Aussage bekannt.

Das sind Einzelfälle, die Sie in jeder Partei finden. Man sollte sich auf die Gegenwartsprobleme konzentrieren. Und dass die FPÖ an mich herangetreten ist, ist ein Zeichen der Öffnung.

Falls es eine blau-schwarze Koalition nach der Wien-Wahl geben sollte: Würde Sie ein Job als Stadträtin interessieren?

Ich zerbreche mir darüber derzeit nicht den Kopf – alles zu seiner Zeit. Jetzt geht es mir darum, den ersten Bezirk bürgerlich zu halten und eine rot-grüne Koalition auf Landesebene zu verhindern.

Wieso sind gerade die Grünen so ein Feindbild für Sie?

Sie finden einen neuen Antisemitismus sehr wohl auch in diesem linksgrünen Spektrum. Er ist nur anders motiviert.

In welcher Form?

Anti-Israel, bei allem, was die Grünen auch immer machen. Das im Sinne einer sehr großen Affinität und Toleranz gegenüber allen möglichen, auch islamischen, Kräften.

Die Grünen sind antisemitisch?

Nicht antisemitisch. Aber der heutige Antisemitismus hat sehr wohl auch dort (bei den Grünen, Anm.) Wurzeln. Das muss man sehen. Auch der Anti-Amerikanismus, den die Grünen haben, ist oft nur ein verschleierter Antisemitismus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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