Freiwillige im Dreischichtbetrieb am Westbahnhof

FL�CHTLINGE AM SALZBURGER HAUPTBAHNHOF
FL�CHTLINGE AM SALZBURGER HAUPTBAHNHOF(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Die Caritas übernimmt die Organisation der Helfer am Westbahnhof. Die Erzdiözese Wien will Plätze für 1000 Flüchtlinge schaffen.

Wien. Am Wiener Westbahnhof zeigt sich auch am Mittwoch eine starke Solidarität der Bevölkerung mit den Flüchtlingen. Auf den Bahnsteigen hängen Willkommens-Transparente, freiwillige Helfer stehen mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Sachspenden bereit, um die Flüchtlinge in Empfang zu nehmen. Die Hilfsbereitschaft ist so groß, dass die Caritas nun professionell die Organisation übernommen hat. Auf der Facebookgruppe „Wir helfen“ wurde ein Kalender eingerichtet, man kann sich hier für Schichten am Westbahnhof eintragen. „Innerhalb kürzester Zeit war er auf Tage voll“, sagt Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner. Momentan sind ständig 15 bis 20 Menschen vor Ort, die im Dreischichtbetrieb arbeiten. Einerseits nehmen sie Spenden entgegen – andererseits begrüßen sie die Flüchtlinge und versorgen sie.

Wenn ein Zug einfährt, wird applaudiert – regulär fahren zwölf Railjets aus Budapest gen Wien, sechs davon nach München weiter. Während auf die nächsten gewartet wird, kommen immer wieder Passanten, die ihre Dienste zur Verfügung stellen, etwa indem sie anbieten, zu dolmetschen. Auch die ÖBB-Mitarbeiter packen mit an, begleiten Flüchtlinge zu den richtigen Bahnsteigen. Allein am Dienstag waren 120 Freiwillige und Dolmetscher vor Ort. Weil ständig Menschen mit Sachspenden kommen, musste die Caritas sogar zu einem Stopp aufrufen. Die ÖBB stellten der NGO aber nun Räumlichkeiten zur Lagerung zur Verfügung. Am Bahnsteig 1, wo auch große Willkommensplakate hängen, wurde ein Info-Point eingerichtet. Freiwillige können sich hier einteilen lassen, Sach- aber auch Geldspenden, von denen dann Tickets finanziert werden, werden hier angenommen.

Feldbetten am Bahnhof

Am Dienstag wurde außerdem in einem Bürogebäude beim Bahnhof ein Feldbettenlager für jene errichtet, die so spät ankommen, dass sie ihre Anschlusszüge – meist nach Deutschland – nicht mehr erwischen. In der ersten Tranche wurden 88 Feldbetten aufgebaut, bis zu 200 weitere sollen folgen. Betreut wird die Stelle gemeinsam von Samaritern, Maltesern, Johannitern und dem Roten Kreuz. Abwechselnd betreuen immer zwei Sanitäter die Bettenlager. Die Caritas übernimmt die Speisenausgabe: „Die Kooperation zwischen der Stadt Wien, der Rettung, Polizei, ÖBB und Freiwilligen funktioniert hervorragend“, sagt Klaus Schwertner. Er habe selten erlebt, dass so lösungsorientiert und menschlich gehandelt werde. „Die Orte der Menschlichkeit häufen sich in Österreich, das zeigt auch der Westbahnhof. Ich sehe das als Schubumkehr in einer Einbahnstraße. Ich orte in der Bevölkerung keine Solidaritätskrise – wenn, dann in der Politik.“

Von Seiten der ÖBB ist man bemüht, sich menschlich zu zeigen. „Für die ÖBB sind alle Fahrgäste mit einem gültigen Ticket gleich“, sagt ÖBB-Sprecher Michael Braun. „Der Rest ist Sache der Politik – wir sehen hier einen bewundernswerten Einsatz vieler Menschen und danken auch unseren Mitarbeitern.“ Neben den Touristen und Freiwilligen zeigt sich während der vergangenen Tage auch immer wieder Prominenz am Hauptbahnhof: Neben zahlreichen Politikern war am Dienstag auch Kardinal Schönborn am Bahnhof vorbeigekommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen – er applaudierte den Helfern und kündigte gleichzeitig an, dass die Erzdiözese Wien 1000 Plätze für Flüchtlinge schaffen wolle.

1000 Plätze in Erzdiözese

Geschehen soll dies in sämtlichen Bereichen der Erzdiözese – also in der Stadt Wien und im östlichen Niederösterreich, wie Sprecher Michael Prüller im „Presse“-Gespräch präzisiert. „Es ist eine Zielzahl, die wir uns vorgenommen haben. Derzeit sei man noch dabei, zu überprüfen, wie viele Menschen man bereits in kirchlichen Einrichtungen beherberge: „Wir fangen ja nicht bei Null an.“ Sobald man einen Überblick habe, werde man beginnen, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen.

Zum einen sollen dabei sämtliche Pfarren angesprochen werden, ob und wie sie Flüchtlinge aufnehmen können. Dafür werde es auch finanzielle Hilfe geben, wenn sich eine Pfarre etwa einen Umbau nicht leisten kann – aber auch Beratung für jene, die noch Bedenken haben. Zum anderen will man auch in Räumen der Erzdiözese am Stephansplatz Flüchtlinge aufnehmen. Zwar sind derzeit alle verfügbaren Wohnungen belegt, doch werde man Räume adaptieren, die jetzt für die Verwaltung genutzt werden. Prüller schätzt, dass dann etwa zehn Flüchtlinge in diesen Räumlichkeiten untergebracht werden können.

Bei den geplanten 1000 Plätzen soll es sowohl solche für Menschen in der Grundbetreuung geben, als auch solche, die auf Dauer gedacht sind. Das hänge immer auch mit den örtlichen Gegebenheiten zusammen, so Prüller. „In der Grundbetreuung braucht man größere Einheiten. Bei einer Mesnerwohnung wäre es dann sinnvoller, Familien aufzunehmen, die nicht mehr in der Grundbetreuung sind und die auf Dauer hierbleiben.“ Gerade die Betreuung und Integration solcher Menschen sei eine „ureigenste Kompetenz der Pfarren“.

Kirche will Angebot verdoppeln

Auch in anderen Diözesen gibt es Überlegungen, Räumlichkeiten für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Österreichweit, so wird geschätzt, sind derzeit rund 2000 im kirchlichen Umfeld – inklusive Klöster – untergebracht. „Wobei, das sind natürlich nur sehr ungefähre Zahlen“, sagt Prüller. So wie auch die von Schönborn genannten 1000 Plätze vor allem eine Zielvorgabe seien. Insgesamt, so schätzt er, werde die Kirche die Kapazitäten für Flüchtlinge aber in etwa verdoppeln.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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