Michael Ludwig: "Wer neu ist, muss sich anstellen"

Michael Ludwig
Michael Ludwig(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Man müsse vor allem auf jene achten, die schon lang in Wien leben, sagt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Sonst gefährde man den sozialen Frieden.

Die SPÖ plakatiert den Bürgermeister mit dem Spruch: „Wir bauen wieder neue Gemeindewohnungen. Da bleib i stur“. Fühlen Sie sich angesprochen? Sie waren ja gegen ein Comeback der Gemeindebauten.

Michael Ludwig: Er will signalisieren, dass es politische Kräfte gibt, die den Gemeindebau privatisieren wollen und dass er dagegen hält.

Aber es stimmt, dass Sie von der Neuauflage des Gemeindebaus nicht überzeugt waren?

Ich bin dafür, dass wir weiterhin kostengünstige und qualitätsvolle Wohnungen anbieten. Was auf der Wohnung oder auf dem Haus draufsteht, ist für mich von nachrangiger Bedeutung.

Für den Bürgermeister offenbar nicht.

Er möchte das Angebot erweitern. Aber das muss zusätzlich zu jenen Wohnungen geschehen, die wir schon planen.

Sie sprechen von den günstigen Smart-Wohnungen, die Sie erfunden haben. Was ging Ihnen durch den Kopf, als der Bürgermeister bei der Klubklausur in Rust auf der Rednerbühne sagte, den Begriff Smart-Wohnungen würde „keine Sau“ verstehen?

Er formuliert eben manchmal pointiert. Aber wir haben die Smart-Wohnungen ja drei Jahre zuvor gemeinsam in Rust präsentiert und vor wenigen Tagen haben wir beim österreichischen Städtetag auch ein Smart-City-Konzept vorgestellt. Das haben dort alle verstanden.

Stimmt es, dass die Idee zum Gemeindebau-Comeback von Parteimanager Georg Niedermühlbichler stammt?

Die Idee ist nicht neu, darüber wird seit Beginn meiner Amtszeit als Wohnbaustadtrat diskutiert.

Ja, aber wer traf die Entscheidung jetzt? Georg Niedermühlbichler?

Der Bürgermeister, das kann ausschließlich er, kein Parteisekretär.

Eines Ihrer Argumente gegen die Neuauflage war, dass die Errichtung circa um zwanzig Prozent teurer wird, wenn es die Stadt selbst macht. Gilt das immer noch?

Wir sind heute an ganz andere Vergabekriterien gebunden als noch vor 20, 30 Jahren. Wir müssen als öffentliche Hand ausschreiben. Das hat den Nachteil, dass wir nicht nachverhandeln können. Genossenschaften und Bauträger können das und daher ist das kostengünstiger. Durch zusätzliche Mittel ist es uns aber nun möglich, Wohnungen ohne Eigenmittel anzubieten.

Das heißt, die neuen Gemeindebauten kommen teurer als die Smart-Wohnungen?

Wir arbeiten jetzt mit dem neu entwickelten Modell an den ersten Projekten und bemühen uns, die Kosten so gering wie möglich zu halten.

Wenn sich herausstellen sollte, dass der Gemeindebau viel mehr kostet als die Smart-Wohnungen: Stoppt man ihn dann oder leistet man ihn sich trotzdem – wegen seiner Symbolkraft?

Das wird eine Entscheidung zwischen dem Bürgermeister und mir sein. Aber mir ist schon wichtig, dass man bei aller Symbolträchtigkeit die Wirtschaftlichkeit im Auge behält und möglichst viele kostengünstige Wohnungen errichtet.

Wie viele Wohnungen werden eigentlich derzeit in Wien gebaut? Michael Häupl spricht von 14.000, Sie von 10.000.

Wir haben im vergangen Jahr 7273 geförderte Wohnungen übergeben, dazu kommen noch die privat finanzierten. Insgesamt waren es rund 9000. Da wir die Leistung erhöhen wollen, geht es in Richtung 10.000 Wohnungen im Jahr. Aktuell in Bau sind 14.000 geförderte Wohnungen, da hat der Bürgermeister völlig recht. Wenn man jene Wohnungen dazuzählt, die in Bauvorbereitung sind, sind wir bei 20.000.

Apropos Zahlen: Warum werden Prüfberichte der Genossenschaften nicht veröffentlicht, warum gibt es keine Kontrolle durch den Rechnungshof, obwohl sie den Großteil der Wohnbauförderung bekommen?

Wir fördern nicht nur Neubauten und Sanierungen von Genossenschaften, sondern auch von vielen anderen Einrichtungen, auch privaten. Wenn man strenger prüfen will, muss das für alle gelten. Ich glaube, dass wir ein gutes System haben, die ausgeschütteten Fördergelder auf ihre ordnungsgemäße Verwendung zu überprüfen. Eine zusätzliche Prüfung erscheint mir nicht unmittelbar notwendig.

Hätten Sie etwas dagegen, wenn Prüfberichte, die ein Revisionsverfahren durchlaufen haben, veröffentlicht würden?

Ich sehe da kein großes Hindernis.

Nach der Causa Karl Wurm – der Gewog-Chef hat sich sozusagen selbst günstig Wohnungen verkauft – haben Sie Compliance-Regeln gefordert. Aber die sind ja bloß freiwillig. Reicht das?

Es sind alle gut beraten, das sehr ernst zu nehmen und Compliance-Regeln einzuführen. Die gibt es auch bei Banken oder Versicherungen. Es spricht nichts dagegen, dass man das auch bei Bauträgern und deren gewerblichen Töchtern so hält. Auch bei den Wohnungen von Herrn Wurm sind keine rechtlichen Rahmen überschritten worden. Es ist eher eine Frage der Optik.

Fanden Sie sein Verhalten in Ordnung?

Es ist sicher vernünftig, sich bei einem solchen Geschäft Organbeschlüsse, etwa vom Aufsichtsrat, zu holen.

Wien prüft derzeit, wie viele Grundstücke für den Bau neuer Wohnungen zur Verfügung stehen. Gibt es ein Ergebnis bzw. neue Standorte für die Gemeindebauten – abgesehen von den 17 bekannten?

Generell habe ich schon länger darauf gedrängt, dass wir unsere Immobilien nicht nur auflisten, sondern auch auf ihre Verwertbarkeit überprüfen, deshalb wurden auch solche Machbarkeitsstudien gemacht. Ich bin ja außerdem Präsident des Wohnfondswien, der Grundstücke für den geförderten Wohnbau requiriert. Wir haben dort ungefähr 2,2 Mio. m2 Grundfläche.

Wien wächst: Einen Teil des Zuzugs machen Flüchtlinge aus, die günstigen Wohnraum brauchen. Gibt es für sie einen Plan?

Im Unterschied zu anderen Bundesländern oder europäischen Städten hat Wien einen Plan. Bei uns schlafen keine Asylwerber in Zelten oder auf der Straße.

Die Frage zielte eher auf jene ab, die permanent hier bleiben und Wiener werden.

Wer anerkannter Flüchtling ist, hat auch Zugang zum geförderten Wohnbereich. Das ist mir wichtig. Gleichzeitig sage ich auch deutlich: Ich habe ein Auge darauf, dass es Wartelisten für Wohnungen für Menschen gibt, die schon länger in unserer Stadt leben. Daher habe ich vor Kurzem das Wiener Wohn-Ticket präsentiert: Es bevorzugt jene, die schon länger in Wien sind.

Sprich: Wer neu kommt, hat de facto kaum Chancen auf eine geförderte Wohnung.

Doch, aber wer neu ist, muss sich hinten anstellen.

Sie begründen das damit, dass Leute, die schon länger in Wien leben, etwas beigetragen haben. Was heißt das? Was trägt man bei, indem man hier bloß wohnt?

Ich glaube, es würde niemand, der lang hier lebt und arbeitet, verstehen, wenner von neu Dazugekommen – egal, ob aus einem Bundesland oder aus dem Ausland – überholt wird. Das ist wie bei der Supermarktkasse.

Aber um bei dem Beispiel zu bleiben: In Ihrem System hat schon der einen Vorteil, der den Supermarkt früher betritt.

Die Wohnberatung Wien (früher: Wohnservice Wien) vergibt ein Drittel der geförderten Wohnungen. Früher hatten jene die besten Chancen, die in der Früh als Erste am Computer saßen. Das fanden einige ungerecht, weil sie um die Zeit arbeiten mussten. Dann haben wir die Angebote nach Zufallsprinzip online gestellt. Auch da gab es Beschwerden. Jetzt haben wir das System so geändert, dass jene, die länger in Wien sind, einen Vorteil haben. Diese Menschen sind meine primäre Zielgruppe. Auf sie muss man im Besonderen achten, sonst gefährdet man den sozialen Frieden. Politik hat viel mit Grundsätzen und Humanismus zu tun, aber sie ist auch Interessenvertretung.

In Ihrer eigenen Partei soll diese Bevorzugung nicht so gut angekommen sein.

Mag sein, dass ich nicht immer alle glücklich mache. Aber wenn man von einer Maßnahme überzeugt ist, setzt man sie um. Diese Änderung war übrigens Teil einer lang vorbereitet und intern besprochenen Systemumstellung.

Ihre Parteikollegen hat wohl die Symbolik gestört: dass man eine Duftmarke in Richtung FPÖ-Wähler absetzt.

Ich orientiere mein politisches Handeln nicht danach, ob es der FPÖ gefällt oder den Grünen nicht, sondern danach, ob es den Menschen in unserer Stadt hilft.

Sie gelten als jener SPÖ-Stadtrat, der noch am ehesten mit der FPÖ kann. Gefällt Ihnen diese Rolle?

Man kann sich die Rolle oft nicht aussuchen.

Aber man kann sie mit Leben füllen.

Ich kümmere mich vor allem um jene Menschen, denen ich sehr nahe bin, weil ich täglich in zwei, drei Wohnhausanlagen unterwegs bin.

Könnten Sie sich vorstellen, mit der FPÖ zusammenzuarbeiten?

Im Wohnbauausschuss habe ich mit allen ein sehr gutes Einvernehmen. Aber eine Koalition mit der FPÖ ist derzeit in Wien und auf Bundesebene sicher nicht wahrscheinlich.

„Nicht wahrscheinlich“ klingt anders als „ausgeschlossen“. Ist es für Sie Rot-Blau in Wien denkbar?

Wir haben das ausgeschlossen in Wien, das hat unser Bürgermeister auch klargestellt.

Finden Sie das richtig?

Ich unterstütze ihn in allen Fragen.

Sie gelten als sein möglicher Nachfolger. Würde Sie der Job reizen?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Es hat mich auch nie jemand gefragt. Die Frage stellt sich auch nicht. Wir haben mit Michael Häupl den besten Bürgermeister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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