Bluttat bei AMS-Kurs: Angeklagter spricht plötzlich von Notwehr

Der Angeklagte am Donnerstag vor Gericht
Der Angeklagte am Donnerstag vor GerichtAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Ein 17-Jähriger steht vor Gericht, weil er einen 31-Jährigen mit einem Messer getötet haben soll. Beim Prozess machte er völlig andere Angaben als noch vor der Polizei.

Weil er im März bei einem Deutschkurs des AMS einen 31-Jährigen mit einem Messer getötet hatte, hat sich am Donnerstag ein 17-Jähriger wegen Mordes vor einem Wiener Schwurgericht verantworten müssen. Beim Prozess machte der junge Mann plötzlich völlig andere Angaben als noch vor der Polizei. Er will in Notwehr gehandelt haben, da er von dem 31-Jährigen zuvor mit dem Umbringen bedroht worden war.

Der Mann, den er bei dem Kurs kennengelernt hatte, habe ihn mehrfach bedroht, er habe Angst um sein Leben gehabt. Deshalb habe er die Messer zur Verteidigung eingesteckt. "Ich möchte mich entschuldigen. Ich bereue es, dass ein Mensch getötet wurde", sagte der Beschuldigte. Aber: "Ich wollte ihn nicht umbringen." Der 17-Jährige, vertreten von Martin Mahrer, bekannte sich deshalb nur teilweise schuldig.

Der 17-Jährige kam Ende 2013 gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Afghanistan nach Wien. Um in Österreich seinen Hauptschulabschluss nachzuholen - der Jugendliche war Analphabet -, besuchte er ab Dezember 2014 nebenbei einen Deutschkurs beim AMS in Liesing. Dort traf er auf sein späteres Opfer, einen 31-jährigen Afghanen, der leidenschaftlich gern Musik machte.

Angeblicher Streit um Musik im Koran

Im Zuge einer Aufgabenstellung innerhalb des Deutschkurses kam das Thema auf Musik und der 31-Jährige erzählte von seiner Leidenschaft. Da meinte der 17-Jährige, er höre keine Musik, da ihm das der Koran nicht erlauben würde. "Ich habe gehört, dass das nicht richtig ist", meinte der junge Mann zum Schwurgericht (Vorsitz: Norbert Gerstberger). Beim folgenden Streit kamen sich die beiden bedrohlich nahe, wurden jedoch von ihren Kollegen und dem Kursleiter zurückgehalten und zunächst beruhigt. Der 31-Jährige, ebenfalls Muslim, erklärte laut Anklage,"dass er eine Religion, die Musik verbieten würde, ficken würde".

Diese Aussage erzürnte den Jüngeren nach Angaben des Staatsanwalts Sebastian Kleibel dermaßen, dass er noch am Nachhauseweg darüber nachdachte, dass er den 31-Jährigen "fertig machen würde". In seiner Wohnung holte er heimlich zwei Messer, eines davon ein Keramikküchenmesser. Er steckte sie in die Innenseite seiner Jackentasche, um sie am nächsten Tag mit in den Kurs zu nehmen.

Tags darauf besuchte er seine Hauptschule, ging in die Moschee und dann zum Deutschkurs im AMS. Dort traf er auf seinen Kontrahenten, der gerade am Gang ein Telefonat führte. Wie Kleibel darlegte, zückte der 17-Jährige ohne ein Wort zu sagen das Messer und stach auf den 31-Jährigen ein. Dieser sprang nach dem ersten Stich auf und versuchte, sich zu wehren, doch der junge Mann ließ nicht von ihm ab. "Er hatte keine Chance", sagte Kleibel.

Angeklagter: Falsches Polizeiprotokoll

Der Angeklagte widersprach dieser Tatversion, das Polizeiprotokoll sei falsch und seine Unterschrift gefälscht worden. Die Beleidigungen - nach seiner Aussage Sätze wie "Ich scheiße auf Mohammed, den Propheten und den Koran" sowie der 17-Jährige sei ein "Zuhälter" und ein "Ehrenloser" und seine Familie bestünde aus "Eseln" - hätten ihm nämlich gar nichts ausgemacht. Vielmehr hatte er vor dem 31-jährigen Kurskollegen Angst, da er ihn im Zuge des Streits um die Musik auch mit dem Tod bedroht habe. Als er am nächsten Tag in den Kurs kam, sei der 31-Jährige auf ihn losgegangen, habe ihn gestoßen und gewürgt. Damit der 31-Jährige loslässt, habe er auf seine Hand stechen wollen, habe aber seinen Bauch erwischt, erklärte der Beschuldigte.

Der 17-Jährige selbst wurde durch den von ihm nun berichteten Angriff nicht verletzt. Vielmehr fügte er seinem Opfer 17 Schnitt-und Stichverletzungen zu, wobei das Messer bei einem Stich in die Schulter stecken blieb und abbrach. Sein Kontrahent starb noch am Gang des AMS, da laut Gerichtsmediziner Nikolaus Klupp Lunge, Leber und Magen angestochen und das Zwerchfell durchstochen worden waren. Durch die multiplen Verletzungen sei es schlussendlich zu einem Herz-Kreislaufversagen gekommen.

"Plötzlich hörte ich einen Schrei. Das werde ich im Leben nicht mehr vergessen. Wie wenn sich jemand vom Leben verabschiedet", sagte ein 32-jähriger AMS-Trainer. Die Ehefrau des Opfers, die dem Prozess tränenüberströmt beiwohnte, schloss sich dem Verfahren an, und machte ein Trauergeld in der Höhe von 25.000 Euro geltend. Der 31-jährige Musiker hinterließ zwei Kinder (drei Jahre und vier Monate alt).

Prozess vertagt

Obwohl alle am Donnerstag zu Gericht geladenen Tatzeugen aussagten, dass der 31-Jährige den Beschuldigten im Vorfeld weder attackiert oder mit dem Tode bedroht hatte, blieb der 17-Jährige bei seiner Aussage, in Notwehr gehandelt zu haben. Vielmehr bezichtigte der Angeklagte die Zeugen der Lüge. Daraufhin vertagte Richter Gerstberger den Prozess für weitere Aussagen auf November. Dem Beschuldigten drohen im Fall eines Schuldspruchs bis zu 15 Jahre Haft.

(APA)

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