Simmering: Der Prügelknabe der Wiener Bezirke

Die Neusimmeringer Kirche ist eines der markantesten Gebäude an der Simmeringer Hauptstraße.
Die Neusimmeringer Kirche ist eines der markantesten Gebäude an der Simmeringer Hauptstraße.Fabry / Die Presse
  • Drucken

Der elfte Bezirk hat ein schlechtes Image. Zwar ist Wohnen billig wie sonst nirgendwo in Wien, doch zieht es kaum Menschen hierher, die für eine Aufwertung sorgen könnten.

Nehmen wir einmal alles, was eine Stadt zwar braucht, man aber nicht unbedingt vor der eigenen Haustür haben möchte. Einen großen Teil davon wird man in Simmering finden. Da gibt es die Entsorgungsbetriebe, die Müllverbrennung, man findet eine Kläranlage, eine Tierkörperverwertung, das Krematorium, Wiens größten Friedhof. Dem Bezirk wurde also, so könnte man meinen, die Rolle des Prügelknaben zugeschoben, mit dem man alles machen kann.

Allein, für viele Standortentscheidungen gab es gute Gründe. Weil in Wien eine Westwetterlage vorherrscht, ist es sinnvoll, Betriebe mit Abgasen im Südosten anzusiedeln, damit die belastete Luft nicht quer durch dicht besiedeltes Gebiet gejagt werden muss. Und dass eine Kläranlage am tiefsten Punkt der Stadt liegen sollte, dürfte auch physikalischen Laien einleuchten.

Es ist die Rolle des Prügelknaben, des Verlierers, die sich unter anderem aus solchen geografischen Gegebenheiten speist. Auf der Wunschliste von Wohnungssuchenden steht Simmering in der Regel jedenfalls nicht an erster Stelle. Was sich auch an diversen Mietpreisspiegeln ablesen lässt, in denen der Bezirk regelmäßig den letzten Platz einnimmt.

Gut, billiger Wohnraum an sich ist ja eher kein Problem. Am Anfang von so manchem städtischen Boomgebiet standen auch niedrige Mieten. Und doch tut sich Simmering schwer, es etwa Ottakring nachzumachen, wo Brunnenmarkt und Yppenplatz innerhalb weniger Jahre zu Trendvierteln wurden. Auch das Karmeliterviertel im Zweiten hat einmal klein angefangen. In Simmering sind von einem solchen Boom noch kaum Zeichen zu entdecken. Das Wort „Trendbezirk“ fällt da höchstens ironisch.

Doch was fehlt, um Simmering trendfähig zu machen? Die migrantische Durchmischung, die beim Brunnenmarkt als Erfolgsgeheimnis gefeiert wurde, gibt es hier genauso. Auch Altbauten mit Potenzial für Dachausbauten wären da. In Verbindung mit niedrigen Mieten und U-Bahn-Anschluss müssten doch irgendwann Studenten, Künstler und Kreative auf die Idee kommen, auch hier einen Prozess der Aufwertung zu starten.

Simmering hat keinen Markt

Viele Wiener Boomviertel sind rund um einen Markt entstanden. Mit den Einwohnern hat sich das Angebot verändert, hat die Gastronomie zugelegt. Irgendwann sind auch Menschen aus anderen Bezirken zu Besuch gekommen. Simmering hat keinen solchen Markt. Nicht mehr.

In den Achtzigern, als das Einkaufszentrum (EKZ) nahe dem Simmeringer Markt errichtet wurde, gingen nach und nach die Marktstände zugrunde. Bis 2011 anstelle von Käse-, Wurst- und Gemüseständen ein Bildungszentrum eröffnet wurde. Mit Volkshochschule, Musikhochschule und Bücherei. Was zwar sinnvoll ist und gut funktioniert – doch als Zentrum, um das herum sich etwas entwickeln kann, eignet es sich nur bedingt.

Parallel zum Markt hat auch der Rest von Kern-Simmering, den Straßenzügen um die Simmeringer Hauptstraße, zunehmend den dörflichen Charakter verloren. Der kleine Elektrohändler, der Fleischhauer, sie sind so gut wie alle verschwunden. Die Lücke wurde gefüllt mit Wettbüros, Callshops und Kebabbuden. Ein Buchgeschäft sucht man dagegen vergeblich.

Ja, auch all das hat seinen Charme. Aber es ist ein Charme, den man erst langsam herausschälen muss. Der aber viele vorher abschreckt. Damit wird das Bild eines Problembezirks, das Image des Verlierers, immer weiter verbreitet. Was sich auch politisch niederschlägt. In keinem anderen Bezirk hat die FPÖ stärker zugelegt als in Simmering. Und könnte die einstmals tiefrote Hochburg Simmering bald als erster Bezirk einen blauen Bezirksvorsteher haben.

Neue Bewohner, neue Hoffnung

Und doch gibt es Hoffnung. Auf den ehemaligen Mautner-Markhof-Gründen ist zuletzt ein Wohnviertel entstanden, das eine neue Klientel nach Simmering gebracht hat. Ein junges, urbanes Publikum, das vielleicht auch einen Hauch von Bobo in die Straßen Simmerings bringen könnte. Noch gibt es für sie kein hippes Lokal, noch müssen sie zum Fortgehen rein in die Stadt fahren. Aber wer weiß – in Zeiten immer höherer Wohnkosten könnte Simmering seinen Trumpf ausspielen und mit günstigem Wohnen auch bald vermehrt kreatives und studentisches Publikum anziehen. Und so die Ironie aus dem Wort Trendbezirk verdrängen. Träumen wird man ja noch dürfen.

Serie: Wiens Bezirke

Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Sanfte Verweigerung: Zu einem Trend wollte die Alpenmilchzentrale, die Kreativbüros beherbergt, nie werden.
Wien

Wieden: Unentschlossen - und das ist gut so

Der vierte Bezirk weiß oft nicht so recht, was er will. Das macht Wahlen spannend und das Leben dort erstaunlich angenehm - außer man liebt Bäume.
Der Kahlenberg und seine Nachbarn in Wien-Döbling.
Wien

Döbling: Leben im Alpinraum Wiens

Wiens 19. Gemeindebezirk vereint Österreichs ersten Fußballverein, Ludwig van Beethovens dritte Symphonie und den Schlüssel zu Sigmund Freuds berühmten Traumdeutungen. Und er beweist: Er ist mehr als bloß nobel.
Der Millennium Tower als Landmark der Brigittenau – trendig ist der Bezirk nur nahe des Augartens in der Leopoldstadt.
Wien

Brigittenau: Der Ausläufer der Leopoldstadt

Der 20. Bezirk wird als neuer Trendbezirk gehandelt, doch das betrifft nur einen kleinen Teil um den Augarten. In den anderen Grätzeln wird noch auf den Aufschwung gewartet.
Weithin sichtbar: Die Kirche am Steinhof in Penzin.
Wien

Penzing: Der Bezirk, den keiner beim Namen nennt

Viele Wiener denken beim vierzehnten Bezirk vor allem an Hütteldorf. Tatsächlich ist Penzing mehr- größer und grüner: Fast die Hälfte des Bezirks besteht aus Wald. Das Pendlerproblem gibt es immer noch, die Prostitution ist dafür fort.
Eine Landmark im Bezirk: das Haus des Meeres im Esterhazypark.
Wien

6. Bezirk: Vom roten Mariahilf, das austauschbarer wird

Am Schluss verärgerte die Fußgängerzonen-Debatte eigentliche Nutznießer: Anrainer. Doch darum geht es bei der Wahl gar nicht, sondern um den Kampf verschiedener Stadtlebensgefühle und -erwartungen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.