Die Mär von der nachhaltigen Mobilität

Verkehr in Wien
Verkehr in Wien(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Weg vom Auto, hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Fahrrad. Dafür investieren Politiker Steuergeld. Aber: Real fahren wir Auto wie noch nie.

Umweltfreundliche Mobilität ist zu einer Art Lebenseinstellung geworden. Weg vom Auto, hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Fahrrad soll es gehen. Dafür investieren Politiker Steuergeld, davon leben Lobbying-Organisationen, daraus entstehen Geschichten in Massenmedien, die die Erfolge dieser Programme darstellen sollen. Die entscheidende Information bleibt jedoch stets unerwähnt: Das Auto ist in Österreich als Verkehrsmittel beliebt wie nie zuvor.

Dessen angeblich sinkende Popularität und die zunehmende Bedeutung alternativer Verkehrsmittel wird fast immer relativ in Prozent veröffentlicht. Datenbasis hierfür sind jedoch nicht Fahrleistungen, sondern die Zahl der Wege. 100 Meter Fußweg zum Zigarettenautomaten sind in dieser Rechnung (Modal Split) genauso ein Weg wie 600 Kilometer Autofahrt von Bregenz nach Wien. Was bedeutet es dann, wenn ein Umweltminister von fünf Prozent Radverkehrsanteil in Österreich berichtet oder eine Wiener Verkehrsstadträtin von 39 Prozent öffentlichem Verkehr oder von 26 Prozent Fußgängeranteil in der Hauptstadt schwärmt?

Ein Drittel mehr Pkw-Kilometer

Umweltwirksam sind nämlich nur real geleistete Fahrleistungen. Was wenige wissen: Seit vielen Jahren schon errechnet das Umweltbundesamt die jährlich in Österreich geleisteten Personenkilometer pro Verkehrsträger. In die Rechnungen fließen händische und automatisierte Verkehrszählungen genauso mit ein wie der Energieverbrauch und das Ablesen von Kilometerzählern. Gegenchecks ergaben, dass Qualität und Aussagekraft des Rechenmodells außerordentlich nahe an der Realität liegen.

Demnach leisteten Pkw im Jahr 2013 in Österreich (die Berechnung für 2014 ist noch nicht verfügbar) 74,8 Milliarden Personenkilometer. Zur Erklärung: Ein Auto mit einem Insassen leistet auf zehn Kilometern auch zehn Personenkilometer. Mit zwei Insassen wären es dagegen 20. Seit 1990 entspricht das einem Zuwachs von einem Drittel. Dabei sitzen heute im Schnitt gerade einmal 1,16 Personen in einem Pkw. Damals waren es 1,25. Der Pkw-Verkehr wickelt damit 70 Prozent der heimischen Personentransportleistung (Flugverkehr ausgenommen) ab. Von einem Umsteigen auf andere Verkehrsträger kann keine Rede sein. Vielmehr erklärt sich der – auf deutlich niedrigerem Niveau – leicht steigende Anteil von Alternativen damit, dass die Menschen insgesamt mehr Einzelwege machen, die kurzen davon wohl mit dem Fahrrad oder eben öffentlich.

(c) Die Presse

Rechenspiele mit Busverkehr

Ende 2014 waren in Österreich 4,7 Mio. Pkw zugelassen, so viele wie noch nie. In Wien waren es 683.000, ebenfalls ein Rekord. Der Anteil der elektrisch betriebenen Fahrzeuge betrug – trotz Förderprogrammen und Steuererleichterungen – 0,1 Prozent. Mit 12.766 Kilometern jährlich fährt ein in Wien angemeldetes Auto übrigens nur unwesentlich weniger als im Österreich-Schnitt (13.114).

Auch am Sektor der öffentlichen Verkehrsmittel entspricht die – politisch erwünschte – und veröffentlichte Meinung in vielen Details nicht der Realität. Mitte September verschickte der Kfz-kritische Verkehrsclub Österreich (VCÖ) eine Analyse, wonach die Österreicher pro Kopf und Jahr 3080 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen und damit europaweit im absoluten Spitzenfeld lägen. Tatsächlich schaffte es die Presseinformation ungeprüft in zahlreiche Medien. Inklusive Unschärfen.

Die Rohdaten, die der VCÖ von der EU-Kommission übernahm, beinhalten nämlich die Fahrleistungen von Charter- und Reisebussen. Ohne diesen nicht mit dem öffentlichen Linienverkehr vergleichbaren Sektor sinkt die jährliche Fahrleistung pro Person auf etwa 2000 Kilometer. Das entspricht einem Öffi-Anteil an der Gesamt-Personenfahrleistung im Land von schmalen 16 Prozent. Ein Wert, der bereits 1990 erreicht war.

Die vielen Milliarden Euro für Netzausbau und Subventionen werden von der Politik lauter vermarktet als diese Zahl. Zwei Beispiele: Die Wiener Linien verkaufen dank gestützter Preissenkung mit 650.000 Stück doppelt so viele Jahreskarten wie 2009. Die ÖBB konnten die Zahl ihrer Fahrgäste mithilfe der neuen Hochleistungsverbindung auf der Westbahn seit damals von 206 auf 235 Mio. steigern.

Rad-Anteil gesunken

Wie weit Medienwirklichkeit und Realität auseinanderklaffen können, zeigt sich beim Radfahren. Seit Jahren investieren Bund, Länder und Gemeinden – vor allem Wien – viel Geld in Radwege, Förderprogramme, Kongresse und Werbung für das Fahrrad. Mit dem Ergebnis, dass die Österreicher ihre Fahrleistung pro Kopf und Jahr seit 1990 von damals 158 auf zuletzt 175 Kilometer erhöht haben. Das entspricht pro Tag einem Mehrweg von 47 Metern. Weil seit damals vor allem die Fahrleistung des Pkw-Sektors stark stieg, sank der Anteil des Radverkehrs an der Gesamtfahrleistung sogar leicht, von 1,5 auf 1,4 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2015)

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