Es war einmal die Ringstraße

Wien moderne Wohnhausanlage Riverside Liesing Breitenfurter Strasze
Wien moderne Wohnhausanlage Riverside Liesing Breitenfurter Straszeimago/viennaslide
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Wiens Architektur ist weltberühmt. In den vergangenen dreißig Jahren wurden aber kaum Objekte gebaut, die in die Geschichte eingehen werden. Vor allem keine Wohnbauten.

Die Wiener Architektur ist weltbekannt und beschert Wien jedes Jahr hunderttausende Touristen. Doch der Glanz der Habsburger, der Wiener Moderne und der sozialistischen Bauten scheint verblasst und findet kaum noch würdige Nachfolger. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben es nur wenige Gebäude geschafft, prägend für das Wiener Stadtbild zu sein und im Reiseführer verewigt zu werden.

Als seltenes Glanzstück wäre das Museumsquartier zu nennen, das Anfang der 2000er-Jahre eines der größten Architekturprojekte des Jahrzehnts war und nun als Vorzeigemodell für die Verbindung von moderner und alter Bausubstanz gilt. Unter Aufsicht des Denkmalamts wurden in die ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen zwei Würfel gebaut, in denen das Museum Moderner Kunst und das Leopold Museum beheimatet sind.

Auch eine Ausnahme ist der 2013 fertiggestellte DC-Tower, der mit 250 Metern als höchstes Gebäude Österreichs die Skyline der Donaustadt prägt. Der futuristische, schlanke Glasturm mit den geknickten Glasfassadenbändern wurde von Dominique Perrault geplant und soll irgendwann einen Zwillingsturm bekommen.

Der 2013 eröffnete neue WU-Campus beim Prater im zweiten Bezirk ist wohl das jüngste architektonische Highlight Wiens, das futuristische Hauptgebäude von Zaha Hadid bildet das Herzstück des Areals.

„Wir befinden uns seit den 90ern im Krieg um Ressourcen“, sagt Gerhard Steixner, Professor am Architektur-Institut der Technischen Universität Wien. Die Zeiten für die Wiener Architekten seien nicht gut. Landmarks und qualitativ hochwertige Architektur entstehen fast nur noch dort, wo es einen Wirtschaftskonnex gibt – dort werde Architektur zum Symbol der Macht. Nicht umsonst hätte die Wirtschaftsuniversität diesen Prestigebau bekommen und nicht etwa die Universität Wien oder die Technische Universität Wien, glaubt er.

Schiefe Optik. Ein Beispiel für seine These wäre auch die Leopoldstädter Skyline, die den Donaukanal säumt. Hier regiert die moderne Architektur aus Glas, Stahl und Beton. Als herausragendes Gebäude kann etwa der bunt beleuchtete Uniqa-Tower genannt werden, der von Heinz Neumann entworfen und 2004 fertiggestellt wurde. Wenige Meter weiter steht an der Ecke Praterstraße seit 2010 das von Stararchitekt Jean Nouvel designte Luxushotel Sofitel mit der berühmten Skybar. Gegenüber, am Schwedenplatz fällt als eines der flacheren Gebäude die Schiffsanlegestation der Twin-City-Liners von Fasch und Fuchs Architekten auf, in dem auch das Restaurant Motto am Fluss beheimatet ist. Die Station wurde 2010 eröffnet.

Während es also im wirtschaftlichen Bereich noch herausragende Architektur gibt, sind im Bereich Wohnbau kaum Highlights zu finden. „Das letzte Gebäude, das wir als derart schützenswert und herausragend empfunden haben, war eine Siedlung in der Breitenfurter Straße von Rob Krier von 1992“, sagt dazu Oliver Schreiber vom Bundesdenkmalamt. Die Siedlung ist eine postmoderne Anlage, die als Rezeption des Roten Wien verstanden werden kann. „Wir würden aber auch ganz aktuelle Bauten unter Schutz nehmen, wenn sie besonders wären. Denkmalschutz heißt nicht, dass erst Jahrzehnte vergehen müssen, bis wir reagieren“, sagt Schreiber.

Auch Steixner fallen beim Thema Wohnbau eigentlich keine herausragenden beispielhaften Gebäude ein, die mit den Gemeindebauten des Roten Wien oder Siedlungen der Postmoderne – wie etwa dem von Harry Glück errichteten Alt Erlaa – mithalten können. Und das, obwohl es derzeit große Stadtentwicklungsgebiete wie Nord- und Südbahnhof oder Aspern gibt.

Alles ginge Richtung smart und kompakt. „Wir bauen für die Bedürfnisse einer sehr jungen urbanen Gesellschaft, aber nicht unbedingt für Familien“, sagt Steixner. Der Grünraum zwischen den Häusern sei meist nur noch der von der Flächenwidmung vorgeschriebene Mindestabstand, gemeinsame und vor allem wirklich gestaltete Flächen fehlten. Generell gelte: „So hoch wie möglich. Das ist aber nicht familiengerecht: Wie soll man hier Kinder gefahrlos spielen lassen.“

Das Argument, dass es in einer wachsenden Stadt eben nicht anders möglich sei, als möglichst hoch und eng zu bauen, um den Platz maximal zu nutzen – und das wegen wirtschaftlich schwieriger Zeiten auch noch möglichst billig –, will er nicht gelten lassen. Ein gutes Beispiel dafür sei eben der bereits erwähnte Architekt Harry Glück, der mit dem Satz „Luxus für alle“ berühmt wurde. „Jeder hat doch in Wahrheit den Traum eines Einfamilienhauses mit Garten“, sagt Steixner. Dieses Gefühl zu simulieren, habe Glück mit seinen terrassenartig angelegten Häusern und Pool auf dem Dach geschafft. „Und teurer war es auch nicht.“

In Aspern gebe es einige Objekte, die architektonisch interessant seien – aber hier fehle eine Gesamtgestaltung. Man habe, anstatt sich etwas zu trauen, auf bekannte Stadttypologien zurückgegriffen – Straßen, die von Häusern gesäumt werden. „Wir schauen in Wien immer zurück auf das, was wir schon kennen, anstatt uns etwas zu trauen und mutig zu gestalten“, sagt Steixner. Er hofft, dass die Wiener Architektur den Scheitelpunkt dieser Entwicklung bald erreicht hat und große Würfe à la Ringstraße wieder in die Geschichte eingehen.

Personen

Gerhard Steixnerwurde 1953 in Innsbruck geboren. Er ist Architekt, war Vorsitzender der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Er gewann etliche Preise und ist jetzt am Institut für Architektur der TU Wien Abteilungsvorstand für Hochbau, Konstruktion und Entwerfen.

Harry Glück wurde 1925 in Wien geboren. Als Architekt zeichnete er sich besonders im Sozialen Wohnbau unter dem Credo „Wohnen wie Reiche, auch für Arme“ aus. Sein wohl berühmtester Wohnbau ist der Wohnpark Alt Erlaa. Andere bekannte Gebäude: das Hotel Mariott, das Rechenzentrum in der Rathausstraße, das abgerissen werden soll – oder das Allianzgebäude am Hietzinger Kai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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