Eine Endstation für Trinker

Nach 13 Jahren musste Wien seinen Widerstand aufgeben. Wolfgang Pucher (r.) und Architekt Alexander Hagner auf dem Vinzidorf-Baugrund in Hetzendorf.
Nach 13 Jahren musste Wien seinen Widerstand aufgeben. Wolfgang Pucher (r.) und Architekt Alexander Hagner auf dem Vinzidorf-Baugrund in Hetzendorf.(c) Stanislav Jenis
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Nach 13 Jahren Kampf im Rathaus hat es der Grazer Armenpriester Wolfgang Pucher geschafft: In Wien-Meidling entsteht ein Vinzidorf für Obdachlose, die sonst niemand aufnimmt.

Auch wenn ihm seine Mitarbeiter davon abraten: Wolfgang Pucher, der in ganz Österreich durch seine zahlreichen Sozialprojekte als Armenpriester bekannt gewordene Pfarrer aus Graz, will das Gefühl der Genugtuung nicht ganz verbergen. Dafür hat er zu lang und ausgerechnet in der Hauptstadt für jene Form von Obdachlosenhilfe gekämpft, die ihn zur Person der Öffentlichkeit gemacht hat. Jetzt hat er es geschafft. Wien bekommt eine Unterkunft für alkoholkranke Obdachlose. Ein Vinzidorf.

Seit über 20 Jahren versorgen er und seine Freiwilligen im Grazer Vinzidorf Menschen, die nicht einmal von Notschlafstellen genommen werden. Da sie ohne Suff nicht mehr können. Sich kaum mehr an Regeln halten, manchmal genauso laut wie ungehobelt sind. Aber für Pucher und sein Team einfach nur Menschen darstellen, die während ihres letzten Lebensabschnitts eine Portion bedingungsloser Nächstenliebe verdienen.

2002 wollten er und seine Mitstreiter die Idee des Vinzidorfs nach Wien tragen. Womit niemand rechnete, war der Widerstand aus Politik und Verwaltung. Mit Anrainern, die sich vor den von Obdachlosigkeit, Alkohol und Schicksal übel zugerichteten Männern fürchteten, hatten sie Erfahrung. Die Bockigkeit der Wiener Sozialdemokratie war ihnen fremd. Doch im Oktober entschied das Verwaltungsgericht: Der Baubescheid, den die Baupolizei aufgrund aller eingehaltenen Vorschriften schließlich erteilen musste, ist rechtswirksam, die unzähligen Einsprüche dagegen nichtig.

Module im Park. Dass Pucher es letztendlich geschafft hat, ist auch der Verdienst seiner Mitbrüder vom Lazaristenorden. Das Konzept der Dorfstruktur, das den oft schwierigen Einzelgängern unter den Obdachlosen gemeinsamen Raum genauso wie individuelle Rückzugsmöglichkeiten bietet, braucht nämlich Platz. Geeignete Grundstücke sind rar und teuer. Oder haben nicht die passende Flächenwidmung. In Hetzendorf in Meidling besitzt der Orden jedoch ein ehemaliges Exerzitienhaus (Marianneum) mit großer Parkanlage. Einen Teil dieser Anlage bekommt Pucher nun zur Verfügung gestellt.

Ein Streifen des Parks ist als Bauland gewidmet. Damit die Anlage der Bauordnung und den Bedürfnissen der künftigen Bewohner entspricht, hat sich Architekt Alexander Hagner vom Büro Gaupenraub ein Konzept für 24 Wohnmodule überlegt, die zwischen dem Altbaumbestand entstehen sollen. Hagner war es auch, der Pucher seit der ersten Idee im Jahr 2002 bei der Umsetzung und allen damit verbundenen Schwierigkeiten begleitete. Überwiegend ehrenamtlich. „Da ich dadurch etwas in dieser Stadt verändern konnte.“

Im Zuge seiner Karriere hat der 52-Jährige einiges erlebt. Der Widerstand beim Projekt Vinzidorf war ihm jedoch neu. Anrainer drohten ihm Gewalt an, Bürgermeister, zwei Stadträte und die MA 64 (rechtliche Bauangelegenheiten) straften das Engagement der Vinziwerke mit Ignoranz oder juristischen Winkelzügen. Da nützten auch Vorsprachen in höchsten Kreisen nichts. Dass es in Wien tatsächlich Menschen geben sollte, die nicht in das Schema der Obdachlosenhilfe der Stadt passen, wollte niemand akzeptieren. Peter Hacker, der Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien, drückte es in einem Interview im Jahr 2006 so aus: „In der modernen Obdachlosenhilfe ist Barmherzigkeit nicht alles und schon gar kein Konzept.“ Bei Pucher und seinem Team zündete die Äußerung sinnbildlich den Turbo: jetzt erst recht.

Dabei waren es Experten der Stadt Wien selbst, die akribisch Zahlen zu jener Personengruppe erhob, denen die Vinzenzgemeinschaft helfen will. 92Menschen schliefen zuletzt buchstäblich unter der Brücke, kamen wegen ihrer Alkoholsucht, ihres schwierigen Verhaltens oder des Grades der Verwahrlosung nirgends unter. Ein Drittel davon sind Österreicher. Für sie soll der Bau des Vinzidorfs im Frühling starten.

Spenden gesucht. Pucher und sein Team sind stolz darauf, dass sie für ihre kompromisslose Hilfsbereitschaft nicht auf öffentliche Gelder angewiesen sind. Die 38 Vinziwerke, sechs davon in Wien, erhalten sich durch private Spenden und freiwillige Helfer. Für das Vinzidorf sucht man deshalb Unterstützung. 38 Ehrenamtliche haben sich schon gemeldet, weitere sind willkommen. Architekt Hagner braucht auch noch Baumaterialien und Unterstützung sozial engagierter Baufirmen. Und natürlich Geld (siehe Infokasten).

Die Ehrenamtlichen der Vinziwerke zeichnet aus, dass sie ihren Gästen auf Augenhöhe begegnen. „Bei uns gibt es bewusst keine Sozialarbeiter, die von oben herab sagen, wie sich Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft zu verhalten haben. Unser Konzept ist das Mitgefühl von Menschen für Menschen“, sagt Pucher. Nicht toleriert werden nur Drogenkonsum und Gewalt. Wer das schafft, darf im Vinzidorf bis zum Tod bleiben.

Das Projekt

Das Vinzidorf in Wien wird ab dem Frühling nach Grazer Vorbild errichtet. Die Vinzenzgemeinschaft sucht nach Sachspenden (Baumaterial) und Hilfe beim Bau genauso wie nach Ehrenamtlichen und Geldspenden (Kontonummer: AT34 2081 5000 0196 5714). Kontakt: 0676/874 231 10 oder vinzihaus@vinzi.at. Dieser Ausgabe liegt ein Erlagschein der Vinziwerke bei.

Vinziwerke

1990. Gründungsjahr der Vinzenzgemeinschaft Graz-Eggenberg, die seither die Initiierung zahlreicher Vinziwerke in ganz Österreich betreibt. Mediales Aushängeschild ist Pfarrer Wolfgang Pucher.

38. Zahl der bisher gegründeten Vinziwerke. Darunter u. a. Notschlafstellen, Sozialmärkte, Projekte für Roma, Frauen etc.

700. So viele Ehrenamtliche betreiben in ganz Österreich die Vinziwerke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2015)

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