Flüchtlinge: Kleiner Wetteinsatz für die große Hoffnung

Etliche ehemalige Spielautomatenlokale wurden mit dem Verbot des Kleinen Glücksspiels zu Wettlokalen, in denen sich hauptsächlich Flüchtlinge treffen (Symbolbild).
Etliche ehemalige Spielautomatenlokale wurden mit dem Verbot des Kleinen Glücksspiels zu Wettlokalen, in denen sich hauptsächlich Flüchtlinge treffen (Symbolbild).(c) Michaela Bruckberger
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Seit dem Aus für das Kleine Glücksspiel vor einem Jahr sind aus den ehemaligen Spielsalons in Wien vielerorts Wettlokale geworden. Rund um den Praterstern treffen sich hier vor allem Flüchtlinge.

„Ich habe einen Freund, der hat einen Freund, der hat aus einem Euro Zehntausend gemacht“, sagt Farid, küsst ein Stück Papier in seiner Hand und starrt in dem verrauchten Wettlokal am Praterstern wieder gebannt auf einen kleinen Bildschirm, auf dem gerade das Achtelfinale des spanischen Cups läuft. Valencia spielt gegen Granada. Farid hat auf Valencia gesetzt: 3:1 sollte das Spiel idealerweise ausgehen. Bisher sieht es gut aus. Es steht 2:0 – die Quoten sind allerdings nicht so berauschend, 10.000 Euro werden es aus seinem Einsatz von zwei Euro wohl eher nicht.

„Achttausend würden auch schon reichen“, sagt Farid. „Ich brauche das Geld wirklich dringend, und ich weiß nicht, wo ich es hernehmen soll. Ich versuche einen Job zu finden, aber ich darf nicht arbeiten.“ Farid ist 27 und aus Afghanistan geflüchtet. Seit acht Monaten ist er in Österreich, das Asylverfahren läuft noch. Mit dem Geld will er die Flucht für seine Frau, seinen dreijährigen Sohn und seinen kleinen 15-jährigen Bruder finanzieren. Seine Mutter sei schon vor Jahren gestorben, der Vater vor einigen Wochen ermordet worden. „Ich weiß nicht, wie lang das hier noch dauert, bis ich Papiere bekomme – und wie die Gesetze dann sind“, sagt Farid, der überraschend gut darüber informiert ist, dass gerade auf Bundesebene verhandelt wird, den Familiennachzug für Flüchtlinge zu erschweren. „Ich kann nicht mehr warten, sie könnten jeden Tag sterben, es ist viel zu gefährlich“, sagt er. Er brauche das Geld jetzt. Für 8000 Euro kämen alle sicher hier an.

Zweites Wohnzimmer. Farid ist nicht der einzige Flüchtling, der hier im Wettlokal sein Glück versucht. Sein Freund Ali aus dem Irak wettet, weil er Geld für die Kaution für eine Wohnung braucht. Er hat schon einen positiven Asylbescheid, darum muss er bald aus der staatlich zur Verfügung gestellten Unterkunft raus und eine Bleibe finden. „Ohne Geld für die Kaution wird das nix mit einer Wohnung“, sagt Ali. Heute habe er sogar schon 110 Euro gewonnen. Auf die Frage, wie viel er schon verloren hätte, winkt er unwirsch ab. Und der 34-jährige Mustafa, ebenfalls aus dem Irak und noch im Asylverfahren, spielt einfach, weil „er sein altes Leben zurückhaben möchte“. Ein wohlhabender Geschäftsmann sei er gewesen, bevor der IS ihn aus seiner Heimat vertrieben habe. Er schlafe jetzt mit fünf anderen Männern in einem kleinen Zimmer, mit denen es immer wieder Streit gebe. „Das ist nicht mein Leben.“

Das Wettlokal ist eine Art zweites Wohnzimmer für die Männer geworden. Sie treffen einander hier beinahe täglich mit anderen Arabern, sitzen auf den gemütlichen Sofas im warm beheizten Raum, rauchen, plaudern und setzen auch immer wieder ein paar Euro – das Geld dafür hätten sie meist gefunden oder geschenkt bekommen, sagt Farid, der laut Gesetz nur 40 Euro Taschengeld im Monat bekommt. Als es noch wärmer war, da habe er sich gern seine Zeit draußen in Parks vertrieben. Aber mit der zunehmend kälteren Jahreszeit habe er sich nach einem neuen Aufenthaltsort umgeschaut – und durch einen Bekannten das Wettlokal entdeckt. Hier ist es warm, es herrscht kein Konsumzwang – überhaupt ist kein Personal vor Ort, das ihnen auf die Finger schaut. Nur ein Getränkeautomat im Eck sorgt für die Verpflegung.

Das Wettlokal war bis vor wenigen Monaten noch mit Spielautomaten bestückt – mit dem Verbot des Kleinen Glücksspiels Anfang 2015 wurden sie durch die Wett-Terminals ersetzt. Rund um den Praterstern im zweiten Bezirk, der als sozialer Brennpunkt gilt, ist diese Verwandlung vielerorts geschehen. Und überall dort fanden sich beim „Presse am Sonntag“-Lokalaugenschein auch etliche Flüchtlinge, auf der Suche nach einem besseren Leben – oder beim Zeit totschlagen.

100 Prozent Männer. Neben den Wettlokalen ohne Konsumzwang und Bar gibt es aber ebenso jene mit gastronomischem Betrieb, wie sie etwa Admiral oder Wettpunkt betreiben. In der Nähe des Pratersterns gibt es auch eine derartige Lokalität. Das Publikum hier ist beim „Presse am Sonntag“-Lokalaugenschein wie in den meisten Lokalen zuvor zu hundert Prozent männlich, die meisten haben ebenfalls Migrationshintergrund. Laut einer Studie des Zentrums für internationale Suchtforschung Hamburg, das 2011 den österreichischen Glücksspielmarkt erforscht hat, gehören zur größten Problemgruppe die 18- bis 35-Jährigen mit Pflichtschulabschluss, Arbeitslose, gering Verdienende und Spieler mit häufiger Spielteilnahme und hohem Geldeinsatz. Zudem weisen Personen mit Migrationshintergrund ein deutlich erhöhtes Risiko auf.

Das Publikum hier stamme vorwiegend aus den EU-Oststaaten, sagt der Kellner. Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan finde man hier keine. „Araber haben bei uns Hausverbot“, sagt der Kellner. Sie habe man mit 1. Jänner 2015 gleichzeitig mit den Spielautomaten aus dem Lokal entfernt. „Das hat mit den Flüchtlingen nix zu tun. Die, die hier bei uns waren, waren ja vor der Krise. Das sind die Drogendealer vom Praterstern gewesen, und die will ich nicht mehr“, sagt er. Seitdem er das Lokalverbot ausgesprochen habe, habe es keine Überfälle mehr gegeben, es werde kaum gestohlen und auch die Drogen habe er aus dem Lokal gebracht. Die Toilette wird aber noch immer mit Blaulicht beleuchtet, unter dem man die Venen nicht sehen kann.

Zoran kommt aus Albanien und arbeitet auf dem Bau. Er spielt mehrmals pro Woche hier, oftmals um mehrere Hundert Euro pro Abend. „Du bist auch ein Idiot“, sagt Dano, der ursprünglich aus Rumänien stammt und Autos repariert. „Du verspielst so viel Geld.“ Er selbst setze immer nur einen Euro oder zwei – wenn er gewinnt, kaufe er sich davon ein Bier. Er kommt fast täglich. Zoran belächelt Dano für seine Mini-Einsätze. Auch er behauptet, jemanden zu kennen, der aus wenigen Euro Zehntausende gemacht habe. „Und irgendwann kommt der Tag“, sagt Zoran selbstsicher. Früher habe er auch gern an den Automaten gespielt – jetzt fahre er manchmal nach Niederösterreich, wo es noch viele Automaten gibt. „So tausend Euro nehme ich mir dann mit“, sagt er.

„Mir tut jeder leid, der gewinnt“, sagt der Kellner. „Weil dann muss er weiterspielen.“ Zu viele Existenzen habe er hier schon zugrunde gehen gesehen. Obwohl er das nicht dürfe, würde er jenen Gästen, die er lieb gewonnen hat, immer wieder empfehlen, eine Zeit nicht mehr zu kommen. „Das ist eine Sucht. Das Wetten ist eine Sucht. Es ist nicht so schlimm wie bei den Automaten, aber kann dich auch vernichten.“

Bei der Stadt Wien ist man sich der Problematik durchaus bewusst. Das Verbot der Spielautomaten sei nur ein erster Schritt gewesen, um die Spielsucht einzudämmen, heißt es aus dem Büro der zuständigen Stadträtin, Ulli Sima (SPÖ). Eine weitere Gesetzesverschärfung ist nun hinsichtlich der Wettlokale geplant und wird derzeit auf EU-Ebene begutachtet. Künftig sollen deutlich strengere Bedingungen für Betreiber gelten – Bonität sowie ein Strafregister sollen vorgelegt werden. Ein maximaler Wetteinsatz von 50 Euro soll ebenso Pflicht werden wie, dass Wetten erst ab 18 Jahren möglich sind.

Livewetten sollen gänzlich verboten werden – künftig soll man nur mehr auf Endergebnisse setzen können. Wetten auf die nächste gelbe Karte, einen Eckball oder Ähnliches sollen dann nicht mehr möglich sein, denn laut Ansicht der Stadt sei auch das reines Glücksspiel und hätte mit einer strategischen Wette – die eine gewisse Kompetenz wie Wissen voraussetzt – nichts zu tun. Der Gesetzesentwurf soll noch dieses Quartal dem Landtag vorgelegt werden – und somit könnte der nächste Streit mit den mächtigen Glücksspielkonzernen losbrechen.

Neben neuen Gesetzen geht auch der Kampf gegen illegale Automaten und illegale Wettlokale weiter. Laut Experten gibt es noch immer geschätzte 700 illegale Glücksspielautomaten, die sich vor allem in Hinterhoflokalen und Kulturvereinen befinden sollen. Im Jahr 2015 gab es seitens der Stadt sechs Betriebsschließungen und die Beschlagnahme von 244 Wett-Terminals, es gibt wöchentliche, gemeinsame Razzien mit der Finanzpolizei

Durch das neue Glücksspielgesetz und die damit einhergehende Abschaffung der Einarmigen Banditen entgingen der Stadt 2015 Steuereinnahmen von rund 50 Millionen Euro – und auch bei Novomatic, dem größten Glücksspielautomatenbesitzer Österreichs hat sich das neue Gesetz „bemerkbar gemacht“, wie auf „Presse am Sonntag“-Anfrage mitgeteilt wurde. Man werde dieses Jahr dennoch ein Umsatzplus verzeichnen. Der Konzern musste rund 1700 Automaten in Wien abbauen, die laut Angaben von Novomatic weder in anderen Bundesländern noch im Ausland aufgrund der unterschiedlichen Gesetzeslage nutzbar sind. Man wolle die Hardware so gut wie möglich weiterverwenden. Was die Sportwetten betreffe, sei man, was den Geschäftsverlauf in Wien anbelangt „sehr optimistisch, weil das Euro-Jahr 2016 höhere Umsätze erwarten lässt“.

Streit um Lizenzen.Was die Automaten in Wien betrifft, ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Derzeit dürfen diese nämlich nur in offiziellen Casinos stehen – das einzige Wiener Casino ist in der Kärntner Straße in der Inneren Stadt und gehört den Casinos Austria, dort gibt es noch Automaten. Um weitere drei Casino-Lizenzen, im Palais Schwarzenberg, im Böhmischen Prater und im Prater tobt ein Rechtsstreit. Zwei davon sind nämlich an Novomatic vergeben worden – die Casinos Austria haben dagegen Einspruch eingelegt, und die Causa ist zurück an das Finanzministerium gegangen, das die Lizenzen vergibt. Das Match, bei wem der Rubel künftig rollen wird, ist wieder völlig offen.

Das Match Valencia gegen Granada ist mit einem 4:0 für Valencia zu Ende gegangen – Farids favorisierte Mannschaft hat gesiegt, aber nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Er knüllt den Wettschein zusammen, wirft ihn ins Eck, kramt den nächsten Euro hervor, küsst ihn und schmeißt ihn in den Automaten. „Aus dir werden jetzt 10.000“. Die Hoffnung heißt diesmal Sevilla.

Studie

Wer spielt?Laut einer Studie des Hamburger Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung haben 42% der Bevölkerung innerhalb von zwölf Monaten gespielt. Am häufigsten werden Lotterieprodukte erworben. Sportwetten und Spielautomaten werden überdurchschnittlich oft von Männern zwischen 18 und 35 Jahren, Personen mit Pflichtschulabschluss und Arbeitslosen nachgefragt.

Wer ist gefährdet?Männer mit Migrationshintergrund, Arbeitslose, Geringverdiener und Menschen mit niedriger Bildung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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