Wien: Der schwarz-pinke Rollentausch

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sie kämpfen um dieselben Wähler und haben nach der Wien-Wahl (zwangsweise) ihre Strategie geändert. Die ÖVP macht nun auf bayerische CSU während die Neos ruhiger wurden.

Wien. Es war ein lautstarkes Signal, im wahrsten Sinn des Wortes. Neo-ÖVP-Chef Gernot Blümel zog vor wenigen Tagen mit seinen Gemeinderäten zum Wiener Praterstern, um an dem sozialen Brennpunkt kleine Alarmgeräte an Frauen zu verteilen. Für den Fall der Fälle.

Die Aktion am Bahnhof Praterstern war ein Signal für die Neupositionierung der Wiener ÖVP. Die Zeiten der „konstruktiven Opposition“, als die Stadt-Schwarzen Probleme benannt und gleich praktikable Lösungen erarbeitet haben, sind vorbei. Denn beim Wähler ist das nicht angekommen. Zu brav, zu konstruktiv, zu wenig angriffig. Das habe zu dem Wahlergebnis vom 11. Oktober geführt, ist ÖVP-intern zu hören – nach dem die Wiener Schwarzen mit 9,24 Prozent erstmals in ihrer Geschichte nur mehr einstellig sind: „Unsere Wähler erwarten, dass wir die Stadtregierung angreifen.“

Und das wird nun getan. Neo-Parteichef Gernot Blümel erhöhte nicht nur die Schlagzahl in der Wiener ÖVP, sondern auch die Tonalität. „Die Mindestsicherung in Wien läuft völlig aus dem Ruder“, „Autofahrer sind die Melkkühe der Stadtregierung“, „Der blinden Sozialromantik wird nun endlich ein Riegel vorgeschoben“.

Die Tonalität der Wiener ÖVP ähnelt nun jener der FPÖ. Die Lautstärke auch – die Stadt-Schwarzen drängen mit den Themen Sicherheit und Ordnung auf jenes Feld, das bisher allein von der FPÖ bespielt wurde. Eine angriffige Law-and-Order-Linie in Zeiten des Flüchtlingsstroms – um klar rechts positioniert der FPÖ Wähler abzugraben. Bei der Wien-Wahl 2005 war diese Linie unter Christine Marek ein Desaster – „weil Marek als Liberale das nicht glaubwürdig vertreten konnte“, ist in der ÖVP zu hören. Nun kommt es zu einem Comeback dieser Linie, die an das Motto der bayerischen Schwesterpartei CSU erinnert: „Rechts von uns darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“

Die CSU als Vorbild der neuen Stadt-ÖVP? „Diese Links-rechts-Kategorien lösen sich auf“, meint Blümel zur „Presse“: „Wir sind eine Oppositionspartei. Damit ist unsere Linie klar – ohne Wenn und Aber.“ Und diese Linie ähnelt auch jener der Neos im Wahlkampf: hart, kritisch, durchaus mit populistischen Aktionismus. Blümel selbst bezeichnet die neue Linie als „nicht destruktiv, aber kritisch und laut. Wir wollen so viel Freiheit wie möglich und so viel Ordnung wie nötig“. Das sei die Grundpositionierung. Und dazu gehöre auch „Grenzen setzen“, so Blümel doppeldeutig. Nachsatz: „Nein, wir ahmen nicht die FPÖ nach. Sicherheit war immer eine bürgerliche Tugend. Wir lassen uns das Thema von der FPÖ nicht wegnehmen.“

Es ist eine verkehrte Welt: Die Wiener ÖVP klingt wie die Neos im Wahlkampf – die Neos klingen nun wie die Wiener ÖVP im Wahlkampf (zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung). Nämlich deutlich ruhiger, nicht mehr derart aggressiv-angriffig, dass Mitglieder auf Facebook die pinke Führung fragten, was los sei – weil man wie die FPÖ klinge. Einen Strategiewechsel will Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger nicht erkennen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass wir leiser sind.“ Nachsatz: „Die ÖVP geht in das Eck der FPÖ – wir bleiben auf unseren Themen.“ Dass im Zuge der Flüchtlingswelle de facto Neos-Funkstille geherrscht hat, sieht sie auch nicht: „Wir machen hier viel mit Matthias Strolz“ (also der Bundespartei).

Abseits der offiziellen Sprachregelung ist die deutliche Tonalitätsänderung mehreren Faktoren geschuldet: Im Wahlkampf mussten die Neos lauter auftreten als ursprünglich gewollt, um nicht im (fiktiven) Duell Häupl-Strache wie die ÖVP zerrieben zu werden. Nun sind die Wiener Neos zur Normalität zurückgekehrt. Zweiter Punkt: Die Mühen der Ebene. Als erstmals im Gemeinderat vertretene Partei benötigen die Neos naturgemäß etwas Zeit, um sich in diesem komplizierten Kosmos entsprechend einzuarbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2016)

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