"Persönliches Großraumbüro": Mein Arbeitsplatz, das Kaffeehaus

Café Sperl
Café Sperl Die Presse
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Obwohl es mit Coworking Spaces moderne Alternativen gibt, werden die Wiener Kaffeehäuser immer noch als Orte des öffentlichen Arbeitens genutzt.

Sein Arbeitstag beginnt wie bei manchen im Normalfall um 9.00 Uhr. Doch sein Arbeitsplatz ist ein besonderer. Hinten im Eck in der letzten Loge auf der linken Seite des Café Sperl sitzt er, der Schriftsteller Thomas Sautner. Das Sperl in der Gumpendorfer Straße ist sein Arbeitsplatz, seit seiner Studienzeit kommt er hierher, um zu schreiben. „Es ist mein persönliches Großraumbüro“, erzählt der Waldviertler. Hier, bei Buttersemmerl und kleinem Mocca, sind schon viele Passagen seiner Bücher entstanden.

Das Sperl, aber auch das Prückel seien gute Arbeitsplätze, findet Sautner, denn in den Cafés sei es ruhig und doch auch wieder nicht. Hier werde er nicht abgelenkt, könne voll und ganz in der Arbeit versinken, werde mit Kaffee versorgt und lasse sich von der Atmosphäre und der vibrierenden Stille inspirieren. Einen seiner bekanntesten Romane, „Die Älteste“, hat er ausschließlich im Sperl geschrieben.

Laptop statt Notizbuch. Sautner ist damit einer von einer gar nicht so kleinen Zahl an Schriftstellern – auch Robert Menasse und Michael Köhlmeier sind regelmäßig im Sperl – und Künstlern, die das alteingesessene Wiener Kaffeehaus als das verstehen, was es früher noch viel ausgeprägter als heute war: Ein Ort für Künstler und Intellektuelle zur Inspiration, zum Arbeiten (auch wenn die meisten heute auf dem Laptop statt im klassischen Notizbuch schreiben), ein kreativer Schaffensort, aber auch Zentrum des Austauschs und des (politischen) Diskurses.

Nach wie vor gelten viele der Traditionshäuser als Künstlercafés – auch wenn die Dichte an prominenten Besuchern heute nicht mehr so groß ist wie früher: Thomas Bernhard liebte bekanntermaßen den Bräunerhof, Ludwig Wittgenstein debattierte lautstark mit dem schwerhörigen Adolf Loos im Café Imperial, wo etwa auch Rainer Maria Rilke, Oskar Kokoschka und Gustav Mahler ein und aus gingen. Von der Künstlerdichte im legendären Hawelka – Doderer, Artmann, Hundertwasser, Canetti – gar nicht zu reden. (Und ja, die Buchtel!) Auch das Anzengruber hat seine fixen Künstler-Stammgäste (Thomas Glavinic), im Café Rüdigerhof im Fünften konnte man vor einigen Jahren immer wieder Josef Hader, Wolfgang Murnberger und Wolf Haas beim gemeinsamen Schreiben an den Drehbüchern für die „Brenner“-Verfilmungen beobachten. Beliebt bei Filmschaffenden ist das Café Museum, die Kabarettisten (Simpl-Nähe!) findet man häufig beim Brainstormen im nahen Café Engländer.

Das Café Landtmann am Ring dient ebenfalls häufig als Arbeitsplatz, wird dabei aber weniger von Künstlern als vielmehr – dank der Nähe zu Rathaus, Parlament und der einen oder anderen Parteizentrale – als Treffpunkt von Politikern, Wirtschaftstreibenden und Journalisten genutzt, auch als Ort von Pressekonferenzen ist es eine Institution. Auch das Griensteidl und das Central, beide einstmals Literatencafés, sind heute – neben vielen Touristen – von Politikern und Geschäftsleuten okkupiert, die hier bei einem Kaffee oder Mittagessen manches Geschäft einfädeln. Wobei – allgemeiner Sparkurs hin oder her – das Geschäftsessen aus Kostengründen keineswegs dem günstigeren „Geschäftskaffee“ gewichen ist, wie man vielleicht glauben möchte, sagt Landtmann-Chef Berndt Querfeld. „Das Landtmann wird immer mehr ein Ort des Essens“, der Küchenumsatz macht mittlerweile 39 Prozent des Gesamtumsatzes aus.

Ein Stammgast, der das Landtmann regelmäßig beruflich nützt, ist der bekannte Soziologe Roland Girtler. Für den Professor an der Uni Wien ist das Landtmann seit 20 Jahren sein zweites Büro. „Ich finde die Atmosphäre hier besonders. Nicht nur das Interieur und die Geschichte des Gebäudes, auch die Kellner und das Publikum sind einzigartig.“ In den Nischen hätte man einen guten und ungestörten Raum, um zu arbeiten. Girtler hält sogar Vorlesungen, Seminare und Prüfungen im Landtmann ab. „Ich bitte meine Studenten hier ins Café, denn ich arbeite gern hier“, sagt er.

Sonst zählen Studenten eher nicht zur Landtmann-Klientel, sie sieht man mit aufgeklappten Laptops eher in anderen Lokalen in Uni-Nähe, wie dem Votiv beim NIG oder dem Café Stein. Oder auch in einer der Starbucks-Filialen, die sich mit den Traditionscafés jenes ungeschriebene Gesetz teilen, dass man bei einer Tasse Kaffee so lange sitzen bleiben kann wie man möchte, ohne weiteren Konsumzwang. Eine sehr hohe Laptop-Dichte findet man auch bei den tendenziell jungen Gästen des Phil vis-à-vis vom Sperl.

Café mit Drucker. Dass die traditionellen Kaffeehäuser nach wie vor als Orte des Arbeitens dienen, mag durchaus überraschen: Immerhin gibt es auch in Wien längst moderne Alternativen des öffentlichen Arbeitens: Viele Coworking Spaces, die gern auch Cafés mitbetreiben, wie etwa das Cocoquadrat auf der Wiedner Hauptstraße, bei dem man via App stundenweise Arbeitsplätze reservieren kann, sich aber auch nur so im Coffeeshop zu Meetings trifft.

Genutzt wird das Cocoquadrat laut Betreibern übrigens nicht nur von den diesbezüglich hauptverdächtigen Start-up-Menschen, sondern auch von Coaches oder Anwälten, die sich hier mit Klienten treffen. Man verstehe sich als Weiterentwicklung des klassischen Kaffeehauses, „mit dem Unterschied, dass wir wirklich für das Arbeiten konzipiert sind“. Für das moderne Arbeiten, möchte man ergänzen: Es gibt Telefonboxen, in denen man ungestört telefonieren kann, Besprechungsräume, Drucker, Steckdosen und, natürlich, Gratis-WLAN. Wobei Letzteres auch in den meisten alten Cafés längst Einzug gehalten hat.

In Zahlen

2200Kaffeehäuser in Wien.
Die Zahl der offiziell gemeldeten Kaffeehäuser erklärt sich durch die von neuen Pächtern übernommene Konzessionen. Wer eine Kaffeehauskonzession besitzt, kann beispielsweise auch ein Bierlokal damit betreiben.

130Kaffeehäuser

gelten dabei als Traditionscafés. Diese erfüllen die von der Unesco festgelegten Kriterien.

2011Weltkulturerbe.
Seit fünf Jahren zählen Wiens Traditionscafés zum immateriellen Weltkulturerbe der Unesco. Typisch dafür sind laut den Kriterien Marmortische, Thonetstühle, Logen und Details der Innenausstattung im Stil des Historismus. „Die Kaffeehäuser sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht“, so die UNESCO.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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