Krankenhaus Nord: Elektrosmog als Problem

Wolfgang Strenn vor den EMV- Schirmungen im OP.
Wolfgang Strenn vor den EMV- Schirmungen im OP.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Züge verursachen Magnetfelder, die medizinische Geräte stören könnten. Die Stadt Wien beruhigt, man hätte die Situation unter Kontrolle.

Es ist eines der größten Bauprojekte im Land: Das Krankenhaus Nord in Wien-Floridsdorf soll künftig 46.000 Wiener stationär und 250.000 ambulant pro Jahr versorgen. Die Baustelle soll so schnell wie möglich fertiggestellt werden – jedoch vor Ort tun sich immer wieder neue Baustellen auf. Nach der Pleite der Fassadenfirma, angeblicher Fehlberechnungen der Statiker und einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren mit den Haustechnikfirmen vergangenes Jahr müssen sich die Planer des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) nun einer wichtigen Aufgabe widmen: der Ausschreibung medizinischer Geräte.

Doch gerade die Frage, ob diese schlussendlich auch einwandfrei im Krankenhaus funktionieren, darüber sorgen sich die Mitarbeiter jener Firmen, die hochtechnologische Medizintechnik vertreiben. „Die Geräte könnten durch die spezielle Lage des Krankenhauses ernsthafte Probleme bekommen“, sagt ein Mitarbeiter von Siemens zur „Presse“, der aus Angst, seinen Job zu verlieren, anonym bleiben will. Das Gebäude ist auf drei Seiten von Bahngleisen und Zügen umgeben – auf der vierten Seite fährt die Straßenbahn. Diese erzeugen Erschütterungen, „aber noch problematischer sind die elektromagnetischen Felder, die dadurch entstehen und die empfindliche Geräte massiv stören könnten“, erklärt der Siemens-Mitarbeiter.

Auch Zivilingenieur Roman Rost, der bis zu seiner Pensionierung medizintechnische Geräte für Hewlett Packard verkaufte, bestätigt der „Presse“: „Unter den elektromedizinischen Geräten sind besonders bildgebende Einrichtungen wie Magnetresonanz- oder Computertomographie-Geräte in ungünstigen räumlichen Konstellationen besonders störanfällig. Speziell Züge, Straßenbahnen, aber auch schwere Lkw, können das Image stören.“

Zwar besitzen viele dieser medizinischen Geräte eine Abschirmung, „sobald aber Kabel zu Sensoren führen, wirken diese Leitungen unter Umständen als Antennen und können Störungen einschleppen“, sagt Rost. Daher müssen Gebäude, in denen die Geräte stehen, manchmal baulich von den Feldern (die in der Umgangssprache auch als Elektrosmog bekannt sind) abgeschirmt werden. Grundsätzlich gelte dabei: „Eine Abschirmung elektromagnetischer Felder ist teuer und aufwendig.“

Maßnahmenbündel. Im Krankenhaus Nord versucht man zu beruhigen. „Wir haben bereits beim Grundstückskauf von elektromagnetischen Feldern gewusst und den Problemen, die sie verursachen können. Wir führen regelmäßige Messungen durch und haben auch bauliche Maßnahmen dazu ergriffen“, sagt Wolfgang Strenn, für den Bau zuständiger Projektleiter des Krankenhaus Nord in der Generaldirektion des KAV. Er legt der „Presse“ ein Gutachten aus dem Jahr 2008 vor, wo auf das Phänomen hingewiesen wird. Die elektromagnetische Strahlung sei für den Menschen unbedenklich, das Grundstück für den Bau des Krankenhaus Nord geeignet, heißt es in dem Befund von Arsenal Research, einer Forschungseinrichtung, die 2012 mit dem Austrian Institut of Technology (AIT) verschmolzen wurde.

Fakten

Das Spital. Weil sich kein Generalplaner fand, übernahm der KAV die Projektleitung des Krankenhaus Nord selbst – es gab in der Vergangenheit Probleme mit der Statik, der Haustechnik und eine Fassadenfirma ging pleite. Die Kosten sind von 825 Mio. Euro auf eine 1 Mrd. Euro geklettert. Die geplante Eröffnung hat sich um zwei Jahre auf 2018 nach hinten verschoben.

Die Strahlung. Das Spital ist auf allen Seiten von Schienen für Züge und Straßenbahn umgeben – diese erzeugen elektromagnetische Felder, die medizinische Geräte stören können. Um das Problem in den Griff zu bekommen, werden etliche Maßnahmen ergriffen.


Allerdings wird in dem Schriftstück auch explizit darauf hingewiesen, dass der Standort für die medizintechnischen Geräte zu einem Problem werden könnte. Beim Bau des Gebäudes müsse daher darauf geachtet werden, die empfindlichen Geräte in die Mitte des Gebäudekomplexes zu verlagern. „Daran haben wir uns in der Planung gehalten“, sagt Strenn. Auf die Frage, warum für das Krankenhaus Nord überhaupt dieser Standort ausgewählt wurde, wenn es solche Risikofaktoren gibt, antwortet Strenn: „In ganz Wien gibt es elektromagnetische Felder, und eigentlich hat man immer eine U-Bahn oder eine Straßenbahn in der Nähe.“

Strahlenschutz. Allerdings umschließen diese selten ein Krankenhaus von drei Seiten. Der KAV beauftragte im Zuge der Projektentwicklung mehrere Experten, die Messungen durchführten und laut Strenn durchwegs zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.
Anfang 2011 sollte dann unter Mitwirkung der TU Graz eine Strategie zur Abschirmung entwickelt werden. Ein Projektbeteiligter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, erinnert sich an die Planungen: „Es war nicht so klar, dass die Maßnahmen funktionieren würden, und es hat sich auch erst sehr spät eine Arbeitsgruppe gebildet.“

Laut Strenn standen bereits mit dem Einreichplan im März 2011 die konkreten Maßnahmen zur Schirmung fest, interne Dokumente, die der „Presse“ vorliegen, zeichnen ein anderes Bild. Sie unterstreichen die Aussagen des Projektbeteiligten, dass vieles im Ungewissen lag. Noch Monate später, im November 2011, ist darin von „Kostenunsicherheiten: EMV-Maßnahmen“ (Anm. Elektromagnetische Verträglichkeit) die Rede, und es finden sich Maßnahmen in den Papieren, die später nicht umgesetzt wurden.

Schlussendlich beschloss man, bestimmte Zimmer – wie Behandlungsräume in der Radiologie – zur Gänze mit Blech auszukleiden, um die Strahlung abzuleiten. Eine derartige Auskleidung ist in manchen Bereichen wie OPs ohnedies gesetzlich vorgeschrieben. Von 600.000 Quadratmetern Fläche wurden laut KAV 13.000 Quadratmeter mit Metall verkleidet.

Tageslicht in allen Räumen ist ein wesentlicher Bestandteil der Krankenhaus-Architektur – damit die Strahlung nicht durch die Fenster dringt, wurden diese mit einer Metalllegierung bedampft. Das soll ebenfalls strahlungsabweisend wirken.

Dass die ÖBB die neue S-Bahnstation für eine bessere Erreichbarkeit des Spitals näher zum Gebäude verlegte – nämlich 150 Meter Richtung Osten –, macht die Situation nicht einfacher. Um die Erschütterungen zu dämpfen, wurde eine sogenannte besohlte Schwelle eingebaut. Vereinfacht gesagt, wurden die Querstreben, auf denen die Schienen liegen, an der Unterseite mit einer Sohle aus Kunststoff versehen. Um den elektromagnetischen Feldern entgegenzuwirken, wurden von der ÖBB laut Strenn Vorrichtungen an den Fahrdrahtmasten der S-Bahn angebracht, an denen weitere Abschirmungen befestigt werden können – derzeit ist das noch nicht passiert. „Weil es noch nicht notwendig war“, sagt Strenn.

2012 schrieb der KAV eine weitere geplante Schirmungsmaßnahme europaweit aus und vergab den Auftrag an ein Schweizer Unternehmen: Ein armdicker Kupferring sollte um das gesamte Gebäude gelegt werden. Im Abstand von 2,5 Metern sind an diesem Ring Kupferspieße angebracht, die 15 Meter in die Erde reichen. Diese sollen das elektromagnetische Feld in die Erde ableiten.

„Diesen Ring haben wir bisher nur zu einem Teil gebaut – die aktuellen Messungen ergeben, dass die Maßnahmen am Gebäude bisher so gut sind, dass das nicht notwendig ist“, sagt Strenn. Nachsatz: „Die Werte der Messungen ändern sich immer wieder – bis zum heutigen Tag.“ Gründe dafür sind etwa, mit welchen Zügen die ÖBB gerade auf der Strecke fährt. Je schwerer diese sind und je mehr Kraft sie brauchen, um wegzufahren, desto stärker ist die Strahlung.

„Tatsächlich werden wir erst in der technischen Probephase – also bevor die Patienten behandelt werden – sehen, ob die Maßnahmen reichen. Wir gehen zum heutigen Zeitpunkt davon aus“, sagt Strenn. Sollte dem nicht so sein, könne der Kupferring jederzeit geschlossen und weitere Schirmungen an den Fahrdrahtmasten der S-Bahn errichtet werden.

Kostenfaktor. Bisher wurden 3,2 Millionen Euro für Schirmungsmaßnahmen ausgegeben. Für die Fertigstellung des Kupferrings würden weitere 1,5 Millionen Euro an Kosten anfallen – laut KAV handelt es sich hier nicht um Zusatzkosten, sondern um von vornherein budgetierte Geldmittel. Sollten die Tests der medizinischen Geräte negativ ausfallen – und weitere Abschirmungsmaßnahmen nötig werden – ist nicht auszuschließen, dass dies eine weitere Verzögerung der Spitalseröffnung bedeuten könnte.

Durch die Pleite einer Fassadenfirma, angebliche Falschberechnungen bei der Statik und das Clearing-Verfahren mit den Haustechnikfirmen verschob sich diese bereits um zwei Jahre nach hinten auf 2018. Insider sprechen davon, dass ein Vollbetrieb überhaupt erst 2020 möglich sein wird. Vom KAV wird das dementiert, ebenso, dass die Kosten noch weiter auf 1,5 Milliarden Euro steigen könnten. Budgetiert waren ursprünglich 825 Millionen Euro. Ein Verfahren gegen die Fassadenfirma ist gerichtsanhängig, wie viel Geld der KAV fordert, wollte man nicht genau preisgeben. „Es handelt sich um mehrere Millionen Euro“, wurde auf „Presse“-Anfrage mitgeteilt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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