Beratungsstelle Extremismus: Wien führend

Symbolbild Anrufannahme
Symbolbild AnrufannahmeClemens Fabry
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Zwei Drittel aller Anrufe, die bei der vom Familienministerium finanzierten Beratungsstelle eingehen, kommen aus Wien. Die Mehrheit der Anfragen betrifft Islamismus.

Wien. Überraschend waren die Erkenntnisse nicht. Und dennoch sind die Details, welche die vom Familienministerium finanzierte Beratungsstelle Extremismus am Freitag vorgelegt hat, bemerkenswert. Vor 15 Monaten wurde die kostenlose Hotline eingerichtet, um Angehörigen und Lehrern, aber auch Freunden und letztlich Betroffenen Ansprechpartner für alle Formen von Extremismus zu sein. 1200 Mal wurde dieses Angebot bisher in Anspruch genommen.

Um das Phänomen besser beschreiben zu können, hat das Team von Leiterin Verena Fabris alle Kontakte ausgewertet. Auffällig war, dass exakt zwei Drittel (66 Prozent) aller Anrufer aus Wien kommen. Dabei stellt die Hauptstadt jedoch nur 21 Prozent der Gesamtbevölkerung. Für den überproportional hohen Anteil gibt es mehrere Gründe. So nimmt man im Ministerium an, dass allein die Existenz der Beratungsstelle und ihrer Hotline-Nummer (0800/202044) in Wien bekannter ist als in den Bundesländern. Ein weitere Erklärung ist, dass insbesondere islamistischer Fundamentalismus ein überwiegend städtisches Phänomen ist.

Und obwohl sich die Beratungsstelle ausdrücklich als Ansprechpartner für alle denkbaren Extremismen sieht, betrifft die überwältigende Mehrheit der eingehenden Meldungen den Islamismus. Offiziell ist von einem Anteil von 38 Prozent die Rede. Tatsächlich dürfte dieser jedoch noch deutlich höher liegen. Das hat damit zu tun, dass Kontakte mit islamistischem Zusammenhang auch in anderen Kategorien aufscheinen können. So etwa bei Anrufen mit dem Inhalt „Ausreisebefürchtungen“ (4 Prozent), unter „Meldungen Facebook oder Website“ (6), „Extremistische Einstellung“ (3) oder „Terrorismus“ (2).

Der Anteil der Meldungen wegen Rassismus (6) oder Rechtsextremismus (2) erscheint vergleichsweise gering. Nach den Erfahrungen der Mitarbeiter konzentrieren sich die Anfragen aus diesem Bereich auf die Länder Oberösterreich und Salzburg. „Das betrifft jedoch nicht nur Österreicher“, sagt Fabris. In der Kategorie Rechtsextremismus sind auch Fälle dokumentiert, die die türkische Partei der Nationalistischen Bewegung (Graue Wölfe) betreffen.

Kontakt zum Staatsschutz

Zur Einordnung der Zahlen ist es wichtig zu wissen, dass es in den wenigsten Fällen einen gefährlichen oder strafrechtlichen Hintergrund gibt. „Meistens rufen Angehörige, hauptsächlich Mütter, an, die sich um ihre Kinder sorgen“, sagt Familienministerin Sophie Karmasin. In einem Prozent der Fälle kommt es jedoch zur Kontaktaufnahme mit dem Verfassungsschutz. Hierfür gibt es eine eigene Kontaktstelle, wo der Sachverhalt zunächst noch anonymisiert besprochen wird. Erst wenn dabei klar wird, dass die Angelegenheit tatsächlich relevant für die Sicherheitsbehörden ist, gehen alle vorhandenen Informationen zu dem Fall an den Staatsschutz.

Dass es gar nicht so weit kommt, ist der eigentliche Zweck der Beratungsstelle, die vom Verein Boja (Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit) betrieben wird. Zur Prävention arbeitet man eng mit Einrichtungen wie dem Verein Wiener Jugendzentren zusammen. Ebendort nahm man in der Jugendarbeit zuletzt verstärkt wahr, „dass sich Muslime von der Gesellschaft in die radikale Schublade gedrängt fühlen“, sagt Manuela Smertnik, die die pädagogische Abteilung der Jugendzentren leitet. In den allermeisten Fällen zu Unrecht. Aber manchmal, erzählt sie, werden der Druck von außen und die Ohnmacht gegenüber der öffentlichen Meinung zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

Um diesem Frust ein Ventil und den Jugendlichen ein Sprachrohr zu geben, bevor es Extremisten tun, haben die Jugendzentren einen Versuch gestartet und haben gemeinsam mit einem Filmteam einen Clip gedreht, in dem junge Menschen mit Migrationshintergrund von ihren Erfahrungen erzählen. Der Film ist im YouTube-Kanal der Jugendzentren veröffentlicht. (awe)

Web: https://youtu.be/asFj9-0pPDs

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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